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Portrait

Seine Musik war zu schön für den ersten Preis

Das Hackbrett und Johann Strauss waren Schlüsselerlebnisse. Seine Kompositionen wurden in Burgdorf ausgebuht, aber in Kiew aufgeführt: Mit 80 blickt Alfred Schweizer auf sein reiches Leben als Musiker und Gemeindepräsident zurück.

Alfred Schweizer, Bild: Matthias Käser

Annelise Alder

Atari? Floppy-Disks? Nur ältere Leserinnen und Leser können mit diesen Bezeichnungen etwas anfangen. Gemeint sind Computer und Speichermedien. Sie standen Ende der 70er-Jahre für die Anfänge elektronischer Datenverarbeitung. Alfred Schweizer benutzte die Geräte auch, um Musik zu machen. In seinem Musikzimmer befinden sich auch Rechner und Laptop sowie zwei Synthesizer. «Der Yamaha SY99 gehört zu den ‹Rolls Royce› unter diesen Instrumenten», sagt er. Die Klänge, die er damit erzeugte, gefielen nicht allen. «Was ich damals komponierte, stiess in gewissen Kreisen auf Ablehnung». Das erstaunt nicht. Damals in der Schweiz hatte kaum jemand mit elektronischen Geräten Musik gemacht.

 

Er führte in Biel Minimal Music ein

Neuland betrat der damals junge Musiker auch mit einer Konzertreihe für zeitgenössische Musik. «In Biel in den 70er-Jahren gab es vor allem klassische und romantische Musik zu hören. Werke nach Bartok wurden selten aufgeführt.» Deshalb rief er zusammen mit befreundeten Musikern die Konzertreihe «Classic 2000» ins Leben. Zu hören gab es unter anderem Minimal Music. Auch dies ein Novum in Biel. Bis dahin war die meditativ-repetitive Musik der Amerikaner Phil Glass oder Terry Riley beinahe unbekannt. Alfred Schweizer war fasziniert von diesen Klängen, und er liess sich davon zu eigenen Werken inspirieren.

«Ich wollte nie nur atonale Musik komponieren», sagt er im Gespräch in seinem Haus hoch über Twann. Die damalige Musikwelt, die sich an strengen Dogmen orientierte, reagierte auf Alfred Schweizers musikalischen Stilpluralismus ziemlich erbarmungslos. «Mein Stück für Schwyzerörgeli und Sinfonieorchester wurde am Tonkünstlerfest im Jahre 1985 in Burgdorf ausgebuht», sagt er. Für sein Orchesterstück mit dem Titel «…cielo azzurro…» erhielt er am Festival von San Remo immerhin den zweiten Preis. Die Jury meinte damals: «Die Musik ist viel zu schön für einen ersten Preis.»

Offenheit, das ist ein Leitmotiv im Leben des inzwischen 80-jährigen Seeländers. Als Lehrer am damaligen Bieler Konservatorium unterrichtete er theoretische Fächer. Später lehrte er auch Komposition. «Meinen Schülerinnen und Schülern habe ich nie etwas aufgezwungen. Im Gegenteil: Ich ging von dem aus, was sie mir vorlegten und half ihnen, ihre Projekte umzusetzen.»

 

Politisches Engagement war ihm ein Anliegen

Alfred Schweizers Aufgeschlossenheit Neuem gegenüber liegt vermutlich in seiner Biografie begründet. Er verbrachte als Kind sieben Jahre in Hundwil. Hier hörte er erstmals ein Hackbrett, das in der traditionellen Appenzeller Streichmusik verwendet wird. Dessen Klänge schlugen ihn in ebenso in seinen Bann wie später der Walzer «An der schönen blauen Donau» von Johann Strauss, den er im Radio hörte. «Das war für mich ein musikalisches Schlüsselerlebnis». Seine musikalische Laufbahn nahm von da an seinen Weg. Sie führte ihn über ein Musik- und Sprachenstudium an die Musikhochschule Basel zu Klaus Huber, einer Koryphäe unter den Schweizer Komponisten. Er belegte auch Kurse am damaligen Schweizerischen Zentrum für Computermusik.

Der Musiker agierte dabei von Twann aus, wo er seit 1972 lebt. In der Gemeinde am Bielersee engagierte Alfred Schweizer sich auch politisch: «Das war mir ein grosses Anliegen.» Zunächst war er Mitglied des Gemeinderats. Von 2007 bis 2011 amtete er als Gemeindepräsident. In diese Zeit fiel die Fusion von Twann mit Tüscherz. «Es waren viele Kommissionssitzungen nötig, bis die Fusion vollzogen war», sagt er rückblickend. Die Arbeit hat auch Kraft gekostet. Vor zehn Jahren trat er zurück. «Ich wollte, dass eine jüngere Person die Fusion konsolidiert», sagt er. Im Interview damals mit dem BT begründete er seinen Rücktritt auch damit, dass er wieder vermehrt Zeit für Reisen haben wolle.

 

Insgesamt 13-mal reiste er nach Russland

Wohin? Nach Russland! Per Zufall und über die Politik nahm eine weitere grossen Leidenschaft des Musikers und Politikers ihren Lauf. «Es war eine Tradition, dass der Gemeinderat am Ende einer Legislaturperiode eine Auslandreise macht». Sie führte 1992 nach Prag. Dort am Radio hörte Alfred Schweizer erstmals slawische Sprachen. «Nach meiner Rückkehr in die Schweiz meldete ich mich bei der Migros Clubschule für einen Russischkurs an.»

1996 reiste er zum ersten Mal nach Russland. Das Land liess ihn nicht mehr los. Insgesamt 13-mal hat er das riesige Reich und die angrenzenden Länder der Ex-Sowjetunion besucht. In Lettland und Kiew weilte er als Komponist und Dirigent seiner eigenen Werke. Meistens aber war Alfred Schweizer als Tourist mit inzwischen fliessenden Sprachkenntnissen unterwegs. «Ich habe im Osten Freunde besucht, wollte aber auch das riesige Land kennenlernen. Mit dem Hotelschiff habe ich zwei Flüsse in Sibirien bereist.» Auf der Weltkugel in seinem Wohnzimmer zeigt er die grossen Distanzen, die er mit Schiff, Zug und Flugzeug durchmessen hat. «Dem Mittelstand geht es heute besser als früher», kommentiert er die Entwicklung in den letzten Jahren.

 

Interessiert beobachtet er das gegenwärtige Musikleben

Die Pandemie hat der Reisefreude Alfred Schweizers ein vorläufiges Ende gesetzt. Ob er sich deshalb nun wieder vermehrt der Musik widmet? Letztes Jahr habe er ein Werk anlässlich des Beethoven-Jahrs komponiert. Dies im Auftrag des Festivals «Murten Classics». Derzeit überträgt er die Noten von «Mantra avec Violon fou» für Violine und Orchester in den Computer. Der Berner Musikverlag Müller & Schade wird es wie alle übrigen Werke von Alfred Schweizer verlegen. «Es bedeutet mir viel, dass meine Musik auf diese Weise fortbesteht.» Nun bleibt Zeit, an Konzerte zu gehen. «Mich interessiert es sehr, was meine ehemaligen Schülerinnen und Schüler machen.»

Auch beobachtet er das gegenwärtige Musikleben mit grossem Interesse. «Es sind gute Leute an der Arbeit. Die Qualität ist teilweise sehr hoch.» Selber möchte er jedoch nicht mehr komponieren und als Musiker an die Öffentlichkeit treten. Er sagt zum Schluss: «Langsam lasse ich alles hinter mir.»

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Zur Person

  • Geboren am 4. November 1941 im st. gallischen Sevelen
  • Studium der Musik- und Sprachwissenschaft an der Uni Bern
  • Praktische musikalische Ausbildung an den Musikhochschulen in Bern und Basel
  • Weitere Studien am Schweizerischen Zentrum für Computermusik
  • 1970-2003 Dozent für Musiktheorie und Komposition am Konservatorium und an der Hochschule der Künste des Kantons Bern in Biel
  • 2007-2011 Gemeindepräsident von Twann, später Twann-Tüscherz
  • 1977 Preisträger am Kompositionswettbewerb «Gino Marinuzzi» in San Remo
  • 1987 Anerkennungspreis der Pro Arte Stiftung
  • 1995 Anerkennungspreis der Musikkommission des Kantons Bern
  • 2001 Kulturpreis Stadt Biel aa

 

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