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Biel

Sie bekamen Besuch, unerwünscht, mit Hamster

642 Tage haben sie auf den Moment gewartet, morgen ist es endlich soweit: Die Bieler Liebhaberbühne feiert Premiere im Stadttheater. Gespielt wird in Mundart, mit dem Bühnenbild einer international bekannten Künstlerin.

Käthi Roth, gespielt von Karin Pott, ist verzweifelt. Ihr Mann, gespielt von Thomas Buser, will helfen – vergeblich. Bild: Julie Lovens
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Markus Dähler

Die Unesco meldet in diesen Tagen: «Bis Ende dieses Jahrhunderts wird die Hälfte der lebendigen Mundarten vergessen sein.» Das darf nicht sein, findet die Liebhaberbühne Biel. Seit rund 90 Jahren pflegt sie den Erhalt unserer sprachlichen Identität mit aktuell zwei Theaterproduktionen. Die Seniorinnen und Senioren sind seit September mit dem Stück «Wo isch d’Frou Baumann?» von Klaus Jenni auf Tournee.

Auch für das zweite Ensemble der Liebhaberbühne ist die Vorbereitung nach rund 100 Proben in den letzten 19 Monaten endlich geschafft: Morgen ist Premiere. Weitere neun Vorstellungen in Biel und Bern werden folgen.
Mit der Komödie von Ulla Kling «Chömed doch mou verby» wird dieser beliebten Abschiedsfloskel unter Ferien-Freunden Leben eingehaucht. Aber was, wenn doch mal jemand kommt? Und was, wenn die dann nicht mehr gehen?

Dann kommt noch die Nachbarin
Die Familie Roth geniesst gerade den ruhigen ersten Ferientag, als die Ferienbekanntschaft samt Tochter und Hamster auftaucht. Wenig begeistert stellen sich die Gastgeber auf ein bis zwei gemeinsame Tage ein. Die Gäste dagegen planen, die ganzen Ferien bei Roths zu verbringen und sich nach allen Regeln der Kunst verwöhnen zu lassen. Als wäre das nicht Stress genug, taucht auch noch die liebe Nachbarin auf. Wie in einer Komödie üblich, wird es den Geplagten wohl doch gelingen, ihren Besuch nach nervigen, aufregenden und stressigen Tagen endlich loszuwerden. Oder etwa nicht?

So viel zum Stück. Mehr zu den Menschen, die 642 Tagen auf den Auftritt gewartet haben. «Es ist eine wahre Freude, nach bald zwei Jahren wieder auf der Theaterbühne zu stehen» resümiert Thomas Buser, Präsident der Liebhaberbühne und Gastgeber Roth auf der Bühne nach Abschluss der Probenarbeit mit strahlenden Augen. Auch die restlichen Schauspielerinnen blühen nun wieder auf: Karin Pott etwa verbreitet in ihrer Rolle als gestresste unfreiwillige Gastgeberin mit ausdrucksstarker Gestik die pure Verzweiflung auf der Bühne. Und Rebecca Jutzi gelingt es bei ihrer Feuertaufe als Regisseurin vorzüglich, die Sprache zu pflegen und wo nötig die Rollen massgeschneidert umzuschreiben.

«Nicht alles war aber geplant», sagt sie und schmunzelt, «einige besonders wirkungsvolle Pointen wurden erst im Verlauf der intensiven Probenarbeit geboren». Dazu gehört auch der lupenreine Rollendialekt der Gäste-Frauen – Monika Strasser und Rachelle Furrer sprechen neben der Bühne eine breite Bieler Mundart.

Als besonderer Hingucker ist das ebenso funktionale wie wirkungsvolle Bühnenbild. Dank Jutzis Netzwerk in der Filmwelt konnte sie mit Maja Zogg die Bühnenbildnerin des oscargekrönten Kurzfilmes «Spielzeugland» gewinnen. «Es war eine besondere Freude der jungen Malerin Michela Beer aus Chur mit der Gestaltung des Bühnenbildes eine Einführung in die Theatermalerei zu geben», sagt Zogg. Im Januar will sie auch persönlich eine Vorstellung in Biel besuchen.

Was hinter der Bühne abgeht
Rund 80 Leute bilden bei der Liebhaberbühne Biel den aktiven Stamm an Theaterbegeisterten vor und hinter der Kulisse. So können die Rollen mit passenden Charakteren besetzt werden. Nach den Vorarbeiten der Spielkommission übernimmt die Regie aus den eigenen Reihen das Zepter. Diese besetzt dann die einzelnen Personen und überarbeitet auch wo nötig den Text. Keine Kompromisse gibt es bei der Sprache – ein Stück Butter bleibt «es Mödeli Anke». Während Jahren hatte besonders Hans Fuchs auf diesen statutarisch verankerten Grundsatz ein wachsames Auge gehalten. Er ist im September verstorben. Nun übernehmen andere diese Aufgabe.

Zu den bekanntesten Persönlichkeiten der Bieler Liebhaberbühne, und im aktuellen Stück auch als Maler im Einsatz, gehört Fritz Marthaler. Sein Wirken als Laienspieler von der ersten Rolle 1961 als Nachbarsbub im «Glückshoger» bis heute, aber auch als Chronist und verantwortlich für die Medienarbeit ist kaum gebührend in Worte zu fassen.

Dazu unterstützen er und weitere Mitglieder der Liebhaberbühne das Wirken in den Vereinen der Region. Wo Not am Mann oder an der Frau ist, springen die Bielerinnen und Bieler gerne für Rollen ein, helfen, ganze Theatergruppen in Dorfvereinen aufbauen, führen Regie auf der Bühne oder im Vorstand eines geplanten Projekts.

Prägend, vielleicht gar für sein späteres berufliches Wirken, bleibt Fritz Marthaler die «Belinda»-Inszenierung 1981 in Erinnerung. Als Vergewaltiger wurde er von seinem Opfer auf der Bühne erschossen. Rebecca Jutzi war damals für die Schüsse verantwortlich. Dazu spielte Marthaler in den Gotthelfstücken in «Annebäbi Jowäger», «Geld und Geist» und «Ueli der Knecht» unvergessliche Rollen.

Es soll «nüt theäterlet» werden
Heute sorgt Jutzi aufmerksam dafür, dass alle Details stimmen und auch die Sicherheit im Probenlokal wie auf der Bühne jederzeit gewährleistet ist. «Das Wichtigste ist ein guter und kreativer Teamgeist», beschreibt sie ihre Hauptaufgabe im Theater-Projekt. Und dann wacht sie mit einem besonders aufmerksamen Auge darauf, dass «nüt theäterlet» wird, wie sie das unnatürliche Um-herhüpfen oder Albern mit dem Publikum bezeichnet. Da lehnt sich der Anspruch an denjenigen des professionellen Stadttheaters an. Durch ihren beruflichen Werdegang im Büro Cortesi und später in der Schweizer Filmwelt kann Jutzi bei ihrer ersten Regiearbeit aus einem reichen Fundus an vielfältigen Erfahrungen schöpfen.

Hat die Liebhaberbühne Biel 1981 parallel zu «Belinda» als Gast auf den Bühnen über die Grenzen der Region hinaus noch drei weitere Stücke aufgeführt, so ist der Bedarf heute deutlich geschrumpft. Dafür klopft gelegentlich die lokale Filmindustrie bei der Liebhaberbühne an, wenn sie für einen Firmenfilm oder Werbespot Leute mit Bühnenerfahrung sucht.

Stichwörter: Stadttheater, Biel, Mundart, Kultur

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