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Sie driften mit Dub ab in eine Traumwelt

Es mag manchmal wie Reggae klingen, ist aber mehr: Dub ist Improvisation und doch nicht, mystisch und doch nicht. Am Freitag spielen die Dub-Giganten Dub Spencer & Trance Hill im «Le Singe».

Eigentlich sind sie zu viert (Bassist Marcel Stalder in der Mitte), bei ihren Konzerten werden sie vom Sound-Spezialisten Umberto Echo unterstützt. Bild: zvg
  • Dossier
Interview: Hannah Frei
 
Marcel Stalder, Sie spielen Dub, eine Produktionsweise, die auf Reggae basiert. Wenn Dub ein Gefühl wäre, welches wäre es?
Marcel Stalder: Vielleicht Rausch, ein Abtauchen, ein Verschwinden, ein Träumen. Das würde Dub wahrscheinlich am nächsten kommen. Abdriften in eine Traumwelt.
 
Was reizt Sie an Dub?
Als Bassist der Band mag ich die wichtige Funktion des Instruments in diesem Genre. Der Bass ist sehr tief, sehr laut. Gleichzeitig sind die Bassläufe aber auch sehr melodiös. Das fasziniert mich sehr. Und ich stehe sowohl auf Groove-Musik als auch auf Improvisation. Dub kann man tanzen, ist aber nicht starr. Er bietet so viele Möglichkeiten, um zu interagieren, auf die anderen Musiker zu reagieren und um zu improvisieren.
 
Wie viel improvisieren Sie bei Ihren Auftritten?
Das ist bei jedem Stück etwas anders. Wenn ein Song neu ist, improvisieren wir deutlich mehr. Dann ist jeder noch auf der Suche nach der besten Form für seinen Part. Aber mit der Zeit wird es immer definierter. Grundsätzlich haben unsere Songs eine feste Struktur mit Übergängen, innerhalb der Teile ist jedoch jeder relativ frei.
 
Dub ist aus dem Reggae entstanden. Die Musik ist aber meist düster, ja gar mystisch. Zerstört man damit nicht alles, was Reggae ausmacht? Die Leichtigkeit, die Fröhlichkeit, das Gemütliche?
Das ist Ihre Sicht. Diese kann ich nachvollziehen. Aber für mich ist es genau umgekehrt: Reggae ist für mich mit der Zeit eher langweilig. Die Songs laufen immer etwa gleich ab, mit derselben Struktur. Meist variiert nur die Stimme, der Text. Dub macht das Ganze interessant. Er löst das Vorgegebene, das Starre auf und schafft Raum für Neues. Ich kann beispielsweise viel besser zu Dub tanzen als zu Reggae. Dub holt mich im Bauch ab, mit tiefen Bässen. Oben bleibt trotzdem Luft, um abzuspacen.
 
Wer ist eigentlich Ihr Publikum?
Es ist meist durchmischt. Wir machen handgemachte Tanzmusik. Wir sind jedoch auch interessant für diejenigen, die nicht Tanzen wollen, aber anspruchsvolle Musik mögen.
 
Wie würden Sie denn jemandem Dub erklären?
Es ist eine Mischung aus Bob Marley und Pink Floyd.
 
Spielen Sie denn ausschliesslich Dub?
Nein, wir haben ja auch noch «Trance» im Namen. Elektronische Elemente sind in unserer Musik sehr präsent. Solche, die man vom Dancefloor kennt, auch Goa-Sounds. Wir passen also auch sehr gut an ein Goa-Festival. Die richtig eingefleischten Reggae-Fans mit Dreads und einer Verbindung zum Gott Jah sind manchmal fast ein wenig enttäuscht, wenn wir an einem Reggae-Festival auftreten.
 
Und trotzdem haben Sie bisher öfter an Reggae-Festivals gespielt als an Goa-Festivals.
Es kommt beides vor, aber am häufigsten treten wir an Open-Minded-Festivals auf. An solchen, die nicht allzu gross sind und ein durchmischtes Programm anbieten. Wir haben während der Coronazeit neues Material erschaffen, neue Songs. Diese sind noch tranciger, weiter weg vom Reggae. Zurzeit spielen wir an den Konzerten praktisch nur noch neues Material. Der Goa-Einfluss ist also grösser geworden. Wir hoffen, dass wir dadurch für Goa-Festivals noch attraktiver werden.
 
Woher kommt diese Entwicklung weg vom Reggae hin zum Trance?
Es ist ein persönliches Interesse von uns allen. Wir haben bereits zahlreiche Alben veröffentlicht. Und jedes Mal fragen wir uns, was wir anders machen können. Wir hatten Lust auf etwas Neues. Ob es dann beim übernächsten Album wieder mehr Trance und weniger Reggae sein wird, wissen wir nicht.
 
Sie gehören zu den bekanntesten Dub-Bands in ganz Europa. Trotzdem hört man euch selten am Radio. Weshalb nicht?
Instrumentale Musik läuft kaum am Radio. Wir sind zwar regelmässig im Radio zu hören, aber meist nachts. Für uns persönlich ist das ohnehin kein Gradmesser.
 
Was dann?
Die monatlichen Hörerinnen und Hörer auf Spotify beispielsweise. Oder Plays auf Youtube und Facebook. Der Plattenverkauf ist hingegen gar nicht mehr aussagekräftig.
 
Auftritte wohl zurzeit auch nicht…
Wir hatten dieses Jahr bisher vier Auftritte. Und alle, die nun noch folgen, sind verschobene Termine aus dem letzten Jahr. Neue Aufträge gibt es schlicht und einfach nicht. Das ist für uns schon traurig. Es bräuchte eine normale Saison, um die Unregelmässigkeiten auszugleichen und um wieder Bookings im Voraus zu ermöglichen. Wir gehen nicht davon aus, dass für nächsten Frühling noch weitere Bookings folgen werden. Zwar kommen manchmal kurzfristige Anfragen. Aber da wir alle berufstätig sind und Familie haben, müssen wir diese meist ablehnen.
 
Hat sich die Pandemie in irgendeiner Form auch positiv auf Ihre Band ausgewirkt?
Wir haben noch nie so viel geprobt für ein neues Live-Set. Früher konnten wir meist nur so viel proben, dass wir nach einem Konzert jeweils manche Songs wieder aus dem Programm geworfen haben, weil wir erst da merkten, dass sie nicht funktionieren. Für die kommenden Auftritte wissen wir hingegen, dass alle Songs funktionieren. Das ist eigentlich neu für uns. Wir haben wegen Corona einen radikalen Schnitt im Repertoire gemacht.
 
Ihre Band gibt es seit fast 20 Jahren. Haben Sie noch ein Ziel, eine Richtung, die Sie ansteuern wollen?
Mein Traum ist, dass wir noch möglichst lange zusammen spielen können. Wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten.
 
Wie alt sind Sie und Ihre Bandkollegen denn?
Zwei von uns sind 50 Jahre alt, die anderen beiden 46. Aber der grosse Vorteil ist ja: Im Dub kann man würdevoll altern, ähnlich wie im Jazz. Als Rocker ist es schwieriger.
 
Weshalb?
Wir sehen immer wieder Rocker, die bereits 60 Jahre alt sind, auf der Bühne aber immer noch Röhrchen-Jeans und Glitzer-Shirts tragen. Im Rock geht es oft auch um eine gewisse Selbstdarstellung. Das kann rasch ins Lächerliche kippen. Im Dub oder auch im Jazz braucht es keinen solchen Firlefanz. Da kann man lange ehrliche Musik machen.

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