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Meinisberg

Sie hofft, dass in Zukunft alle lieben dürfen, wen sie lieben

Kayla Strazza hat mit 15 Jahren ihren ersten Roman veröffentlicht.
 Er zeigt, was passieren kann, wenn jemand nicht sich selbst sein darf.

Kayla Strazza in der Buchhandlung Lüthy: "Als ich jünger war, war ich schüchterner." Bild: Yann Staffelbach

Sarah Grandjean

Wie aus weiter Ferne hörte ich Alex’ Stimme: «Aris? Hey, ist alles gut?» Nein. Nichts war gut. Und so tat ich, was ich immer tue, wenn ich jemand so richtig Tolles kennenlerne: Ich mache alles kaputt und renne davon.

Kayla Strazza aus Meinisberg schreibt Geschichten, seit sie denken kann. «Es war schon immer mein Traum, irgendwann ein eigenes Buch zu schreiben», sagt sie. Ein Traum, den sich die heute 15-Jährige schon mit 14 Jahren erfüllt hat. Im Juni ist ihr Roman «Cold Neighbourhood» beim Kiju-Verlag, Teil des Lehrmittelverlags Braintalent mit Sitz in Baselland, erschienen. Dieser veröffentlicht Bücher, die Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren geschrieben haben.

Kayla sitzt neben ihrer Mutter in der Buchhandlung Lüthy. Die Gymnasiastin spricht reflektiert und antwortet auf Fragen rasch, als würden sie ihr nicht zum ersten Mal gestellt. In ihrem Buch geht es um den Teenager Aris und seine beste Freundin Izzy, die gemeinsam Ferien in der lombardischen Stadt Crema machen. Zum ersten Mal ohne Eltern weg, eine Woche Sonne, Party und Freiheit: Während für Izzy ein Traum in Erfüllung geht, wünscht sich Aris, diese «höllische Zeit» wäre schon vorbei. Denn der Junge leidet an einer sozialen Phobie. In Menschenmengen bekommt er Panik, ständig hat er das Gefühl, dass andere über ihn lachen. Begonnen haben seine Angstattacken, nachdem er sich vor seinem damaligen besten Freund als schwul geoutet hatte. Dieser bezeichnete Aris als «krank» und wandte sich von ihm ab. Seither ist die Angst Aris’ ständiger Begleiter – bis er auf einer Party Domenico kennenlernt. Dies ist Kaylas Lieblingsstelle im Buch: «Das ist der Anfang. Die beiden wissen noch nicht, was passieren wird und wie wichtig sie füreinander sein werden.»

Von niemandem akzeptiert

Aris und Domenico verlieben sich ineinander. Aber in Domenicos Umfeld akzeptiert niemand seine sexuelle Orientierung, am wenigsten seine eigenen Eltern. Als die beiden Jungen zusammen im Bus unterwegs sind, beschimpft ein Fahrgast sie als «frocio», Schwuchtel. Aris kann Domenico gerade noch davon abhalten, den Mann zu verprügeln. Nachdem die beiden aus dem Bus gestiegen sind, sagt Aris: «Solche Dinge passieren halt manchmal! Es ist schrecklich, aber damit muss man sich abfinden. Man kann sich nicht sein ganzes Leben lang verstecken, nur weil man Angst hat, man selbst zu sein.»

Domenico aber erwidert, er könne nicht mit einem Jungen zusammen sein.

«Vielleicht irgendwann in der Zukunft, wenn die Leute sich damit abgefunden haben, dass wir nicht verschwinden werden und dass es okay ist, wen immer man liebt. Aber jetzt will und kann ich das einfach nicht aushalten.»

Kayla hofft, dass dies irgendwann Wirklichkeit sein wird. Sie ist diesbezüglich zuversichtlich: «Ich glaube, die Menschen werden immer offener. Wir sind ja jetzt auch offener als die Menschen vor 50 Jahren.»

Die Wahl des Themas erklärt die junge Autorin damit, dass sie über etwas Aktuelles habe schreiben wollen. Zwar kenne sie niemanden direkt, dessen sexuelle Orientierung gesellschaftlich nicht akzeptiert wird. Aber es sei ein Thema, dass sie und Menschen in ihrem Umfeld beschäftige. «Ich wollte Leuten eine Stimme geben, die keine haben», sagt sie. Es gehe in ihrem Buch aber nicht nur um Homosexualität, sondern ganz allgemein darum, dass man zu sich stehen solle. Und dass es okay sei, sich Hilfe zu holen, wenn man sich selbst nicht akzeptieren könne. Zuhinterst im Buch sind Adressen aufgeführt, an die sich wenden kann, wer Unterstützung braucht. Von sich selbst kennt Kayla diese Unsicherheit auch, obgleich sie sie nie so extrem erlebt hat wie die Figuren in ihrer Geschichte. «Als ich jünger war, war ich schüchterner», sagt sie. Es habe eine gewisse Zeit gebraucht, bis sie sich traute zu sagen, was sie denkt.

130 Seiten Gefühlschaos

Das Buch erinnert unwillkürlich an die eigene Teenie-Zeit: Die Figuren durchleben ein einziges Gefühlschaos. In einem Moment sind sie euphorisch, im nächsten niedergeschlagen, dann wieder unternehmungslustig und auf der nächsten Buchseite total erschöpft, sie verlieben sich, verletzen und werden verletzt, sie flirten, lachen und weinen. Und immer wieder taucht dieses Gefühl auf, anders zu sein als alle anderen. Von niemandem verstanden zu werden. «Ich schreibe gerne über Gefühle», sagt Kayla. Sie schreibe immer dann, wenn sie etwas beschäftige oder inspiriere. Dies sei nebst dem Tanzen ihre Art, sich kreativ auszudrücken, ihre Emotionen zu zeigen. So sei denn auch in allen Figuren ein Stück von ihr selbst. «Ich bin ein bisschen Izzy, ein bisschen Aris.»

Während der Anfang der Geschichte ruhig und geordnet ist, nimmt der zweite Teil Fahrt auf. Plötzlich gibt es Perspektivenwechsel und Zeitsprünge, alles passiert auf einmal. Aris, der zurück in die Schweiz muss, Domenico, der mit seinen Eltern in Streit gerät. Die Situation spitzt sich immer mehr zu und endet in einem Drama. Wie genau die Geschichte ausgehen würde, habe sie nicht von Anfang an gewusst, so Kayla. Aber ein Happy End habe sie nie gewollt. «Ich wollte zeigen, was passieren kann, wenn man sich keine Hilfe holt.» Zugleich möchte sie ihren Leserinnen bewusst machen, wie sie mit Menschen umgehen, die anders sind als sie selbst. Und was für Konsequenzen das haben kann.

Kayla hat ihr Buch innerhalb von vier Monaten geschrieben. Anfang 2020 hat sie bei einer Schreibrunde der Edition Unik mitgemacht. Dort kreieren Autorinnen in einer eigens für dieses Projekt entwickelten App während 17 Wochen ein Buch. Sie können sich untereinander austauschen und bei Bedarf die Hilfe eines Mentors in Anspruch nehmen. Am Schluss werden die entstandenen Bücher gedruckt und gebunden. Über die Deadline sei sie froh gewesen, sagt Kayla, denn sie habe schon oft Geschichten angefangen, sie aber nicht fertig geschrieben. Den Grossteil ihres Buches hat sie zuhause auf Papier gebracht. Klar habe es auch Schreibblockaden gegeben, aber in diesem Fall habe sie sich erst recht drangesetzt. Das Anfangen sei manchmal schwierig, aber wenn sie mal im Text drin sei, schreibe sie oft stundenlang. Ob sie beruflich etwas mit Schreiben machen möchte, weiss Kayla noch nicht. Aber sie weiss: «Ich möchte immer schreiben.»

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