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Ausstellung

«Sie machten sich 
über ihre forsche Art lustig»

Im Zentrum Paul Klee in Bern wird mit Gabriele Münter eine Wegbereiterin der Moderne wiederentdeckt. Kuratorin Fabienne Eggelhöfer über schwierige Recherchen und ungewöhnliche Posen.

«Zuhörerinnen», etwa 1925-1930, Öl auf Leinwand. Bild: Gabriele-Münter- und Johannes-Eichner-Stiftung/Pro Litteris

Interview: Xymna Engel

Fabienne Eggelhöfer, Gabriele Münter war Mitbegründerin der bedeutenden Künstlergruppe «Der Blaue Reiter». Als führende Köpfe gelten heute jedoch nur Franz Marc und Wassily Kandinsky, Münter ging vergessen. Wie konnte das passieren?

Fabienne Eggelhöfer: Es beginnt mit der Geschichte des «Blauen Reiters», was streng genommen keine Künstlergruppe war, sondern ein loser Zusammenschluss von avantgardistischen Künstlern und Künstlerinnen in München, die auf der Suche nach einem neuen künstlerischen Ausdruck waren. Das Ziel war, eine Programmschrift herauszugeben, in der eine globale Idee von Kunst vertreten wurde. Gabriele Münter lebte damals mit Wassily Kandinsky zusammen, und wir nehmen an, dass sie aktiv an inhaltlichen Diskussionen beteiligt war. Ausserdem kümmerte sie sich um die Beschaffung der Abbildungen und Texte. Als Herausgeber wurden am Schluss aber nur Franz Marc und Kandinsky aufgeführt. So nahm die Kunstgeschichtsschreibung ihren Lauf.

Einmal bezeichnete Franz Marc Münter sogar als «Motte». Wurde sie gemobbt?

Wir wissen es nicht so genau, wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass Münter mitreden wollte und zu dezidiert ihre Meinung kundtat. Das war für eine Frau ungewöhnlich und galt als nicht angemessen – übrigens nicht nur aus Sicht der Männer. Es gab auch Frauen von anderen Künstlern, die sich über Münter wegen ihrer forschen Art lustig gemacht haben.

 

Das Talent von Gabriele Münter zeigte sich bereits in der Schule. Im Rückblick schreibt sie: «Meine frühe Neigung zum Zeichnen kam ganz aus mir selbst und fand in meiner Familie so wenig Förderung wie in der Schule.» Welche Möglichkeiten blieben einer Künstlerin wie ihr?

An den staatlichen Kunstakademien waren Frauen Ende des 19. Jahrhunderts nicht zugelassen. Für Frauen wie Münter blieben nur die Privatschulen. Und dafür brauchte es Geld. Münter aber hatte Glück. Sie kam aus einer wohlhabenden Familie, ihre Eltern waren früh gestorben, sie hatte geerbt und war dadurch eine sehr unabhängige Frau. Und äusserst emanzipiert: Sie fuhr Velo, trug Reformkleider und lebte mit Kandinsky in einer wilden Ehe zusammen, wie man das damals nannte.

 

Welches Bild hatte die Gesellschaft damals von Künstlerinnen?

Oft wurde Künstlerinnen zugeschrieben, eher aus dem Bauch heraus zu arbeiten, ihre Werke galten als «ursprünglich», «primitiv». Sogar Kandinsky meinte einmal, er könne Münter nichts mehr beibringen, weil sie ein ­Naturtalent sei. Das kann man natürlich als Kompliment lesen, es bestätigt aber eben auch jenes Vorurteil.

Wie hat Gabriele Münter dieses Bild in ihren Werken widerlegt?

In vielen ihrer Fotografien, Zeichnungen und Gemälden kann man gut erkennen, dass sie sehr konzeptionell gearbeitet hat. Ihre Motive waren nicht aussergewöhnlich, sie hat oft das gemalt, was sie umgab: Menschen, Landschaften, Stillleben. Sie hat sich dabei aber immer stark mit der Frage auseinandergesetzt, wie man etwas darstellt. Sie hat ihren Stil ausserdem stetig weiterentwickelt, in ihren Werken sieht man Einflüsse des Spätimpressionismus, des Expressionismus, des Fauvismus und der Neuen Sachlichkeit.

 

Konnte sie von ihrer Kunst leben?

Münter hat zu Lebzeiten gut verkauft, auch nach ihrer «Blauer Reiter»-Phase. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs zog sie nach Skandinavien, wo sie grosse Erfolge feierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sie an der ersten Documenta ausstellen, war an der Biennale in Venedig dabei, hatte grosse Ausstellungen in ganz Deutschland. In den 50er- und 60er-Jahren hat man jedoch fast nichts mehr von ihr gehört.

Warum?

Ich nenne es die Machojahre: Die Kunst wurde von männlichen Kunsthistorikern, Kuratoren und Kritikern dominiert.

 

Nun soll Gabriele Münter in einer grossen Retrospektive wiederentdeckt werden. Sie ist damit eine von auffällig vielen Frauen, die in den letzten Jahren im Zentrum Paul Klee und im Kunstmuseum Bern zu sehen waren. Darunter waren Lee Krasner, Annemarie Schwarzenbach oder Meret Oppenheim. Wie beabsichtigt ist dieser Fokus auf Frauen?

Unser Blick ist diesbezüglich ­natürlich geschärfter als vor 10, 15 Jahren. Aber wir haben keine Frauenquote, wir wollen in erster Linie Kunst zeigen, die wir relevant finden, egal, ob sie von einem Mann oder einer Frau stammt. Unser Ziel wäre, dass wir irgendwann gar nicht mehr über dieses Thema sprechen müssten.

 

Welche Schwierigkeiten stellen sich in der Planung von ­Ausstellungen über Frauen?

In vielen Fällen ist das Gesamtwerk schlecht dokumentiert. Wir müssen also Nachlässe ausfindig machen und in Archiven nach Informationen suchen. Das ist natürlich eine sehr schöne Arbeit, aber auch sehr zeitintensiv.

 

2014 wurde Münters Landschaftsgemälde «Der blaue Berg» für 825 000 Euro verkauft. Gleichzeitig wurden für Werke von Kandinsky Millionenbeträge geboten. Wie lange wird es dauern, bis sich das angleicht?

Das ist schwierig zu sagen, aber wir sehen, dass Museumsausstellungen da natürlich einen grossen Beitrag leisten. Es war interessant, zu beobachten, wie während der Retrospektive zu Lee Krasner die Preise ihrer Werke hochgegangen sind. Das ist natürlich nicht unser Ziel, aber man erkennt daran, dass eine Kanonkorrektur stattfindet.

 

Wenn Sie eine Künstlerin wiederentdecken, bestimmen Sie auch mit, wie sie wahrgenommen wird. Welche Geschichte wollten Sie über Gabriele Münter erzählen?

Mir war wichtig, dass man ihre Kunst von Kandinsky entkoppelt. Ich wollte sie als emanzipierte Frau und Künstlerin zeigen. Natürlich sind ihre Werke aus heutiger Sicht klassisch von den Motiven her, aber wie sie sie umgesetzt hat, war für ihre Zeit ausgesprochen modern. Sie wählte ungewöhnliche Posen für Frauenporträts, erweiterte das klassische Stillleben mit Kinderzeichnungen und arbeitete zum Teil in Serien mit dem gleichen Motiv.

Info: Zentrum Paul Klee, bis 8. Mai.

 

Pionierin der Moderne

Während des Zweiten Weltkriegs versteckte Gabriele Münter (1877–1962) in ihrem Keller Werke von Wassily Kandinsky und anderen Künstlern und Künstlerinnen des «Blauen Reiters» vor den Nazis. 1957 vermachte sie ihre Sammlung dem Lenbachhaus in München. Das Museum wurde dadurch weltberühmt. Münter selbst aber ging vergessen, obwohl auch sie Teil der Künstlergruppe war. Ein Schicksal, das sie mit vielen ihrer Zeitgenossinnen teilt. In der ersten umfassenden Retrospektive in der Schweiz wird ihre Rolle als Wegbereiterin der Moderne betont.

Das Zentrum Paul Klee zeigt neben Gemälden, Zeichnungen und Drucken auch einen Teil ihres rund 1200 Objekte umfassenden fotografischen Werks, das ihre frühen Reisen nach Amerika und Tunesien und ihre Aufenthalte in Frankreich dokumentiert. xen

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