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Ausstellung

Sie probieren Dinge aus

Ritzwirth, das sind die Architektin Katia Ritz und der Designer Florian Hauswirth. Im Kunsthaus Pasquart gewähren sie einen Einblick in ihr vielfältiges Labor – und durchbrenchen Grenzen.

Katia Ritz und Florian Hauswirth vor dem grossen Periskop, dass die Aussenwelt in den hermetischen Ausstellungsraum holt.  copyright: matthias käser/bieler tagblatt

Tobias Graden

Es ist unübersehbar:In den letzten Wochen ist am Kunsthaus Pasquart in den letzten Wochen eine Installation gewachsen, eine Art Tunnel, die an der Südwand hinaufragt und oben auf dem Dach irgendwie weitergeht. Von der Seevorstadt aus wirkt es, als hätte der neuere Trakt des Gebäudes einen improvisierten Lüftungsschacht erhalten, vielleicht im Hinblick auf kommende heisse Sommertage. Erst vor kurzem sind für das Bauwerk die letzten Arbeiten gemacht worden, gestern noch lagerte überschüssiges Holzmaterial am Boden ein paar Meter neben der Konstruktion.
Doch wozu dient dieses seltsame Objekt?

Es hängt alles zusammen
Um dies herauszufinden, ist der Besuch der neuen Ausstellung im Kunsthaus nötig. Sie heisst «anderswar» und zeigt einen breiten Überblick über das reiche Schaffen von Ritzwirth. Dieses Duo besteht aus der Architektin Katia Ritz und dem Designer Florian Hauswirth, die nicht nur je in ihren eigenen Bereichen arbeiten, sondern auch im Duo Ritzwirth diese Disziplinen noch mit der Kunst verbinden. Weil:«Es hängt ja immer alles zusammen», sagt Florian Hauswirth vor der 21 Meter langen Vitrine, die zu Beginn dieser ersten grossen Sammelschau zu Ritzwirth zahlreiche Objekte, Muster und Modelle zeigt, von klein zu gross, von Material zu Material. «Wir probieren viel aus», sagt Hauswirth zur Arbeitsweise, «es ist alles ein Labor. Wir betrachten auch ein Gebäude als Labor.» Insofern ist auch das Kunsthaus Pasquart für Ritzwirth nicht einfach ein Ausstellungsort, sondern auch ein Labor, ein Experimentierfeld, eine Gelegenheit für neue Ideen, wie sie auch die eigenartige Konstruktion an der Aussenwand darstellt.

Narben in der Natur
Einen ersten Hinweis zu deren Sinn und Zweck geben Ritzwirth, indem sie darauf aufmerksam machen, dass sie auch ein Gebäude nicht als abgeschlossenes Haus betrachten, sondern stets Innen- und Aussenraum gleichermassen miteinbeziehen, und dass sie fordern, die Natur stets mitzubedenken bei dem, was der Mensch in ihr so tut.
Diese Haltung verdeutlichten Ritzwirth beispielsweise in der Arbeit «dia» an der Freiluft-Skulpturbiennale Bex & Arts, von der eine grosse Fotografie ausgestellt ist. Die Elemente des skulpturalen Objekts scheinen direkt aus dem Boden gerissen, jedenfalls klaffen dort «Wunden» in genau derselben Form, die Natur hat Narben davongetragen. «Das ist der Abdruck des Menschen in der Natur», sagt Florian Hauswirth, «wenn man etwas in der Natur macht, sollte dieses mit ihr harmonieren, sonst lässt man es besser sein.»

Der «Chessu» im Museum
Wenn bei Ritzwirth also etwas auf den ersten Blick spielerisch, poetisch aussieht, kann es durchaus eine Haltung transportieren, mithin nicht einmal sonderlich subtile, sondern überaus konkrete (lokal)politische Aussage machen. So gibt es beispielsweise Reliefstücke des Bodens von der Expo-Brache zu sehen, die bekanntlich mit dem Projekt Agglolac hätte überbaut werden sollen. Damit wolle man «die letzten Freiräume der Stadt ins Museum bringen», heisst es seitens Ritzwirth.
Andernorts hat das Duo weniger Mühe mit Veränderung, sondern integriert deren Symbole positiv gewendet in sein Schaffen. So beginnt die Schau im Foyer mit selber konstruierten Möbeln aus Stücken von weiss-roten Baulatten. Diese stammen von der Coupole-Baustelle (Ritzwirth realisieren den neuen «Chessu»-Anbau) und symbolisieren – in den Worten Hauswirths – nicht nur die für Biel und ihr eigenes Schaffen typische «Durchmischung diverser Kunst-Kultur-Szenen», sondern auch die «stete Veränderung». Diese farbigen Lattenstücke ziehen sich denn auch als eigentlicher roter Faden durch die ganze Ausstellung.

Das Silo als Kunstwerk
Doch nicht nur holen Ritzwirth das eher kunstferne «Draussen» ins Museum, die Inspiration funktioniert auch umgekehrt:Vor einigen Jahren hat das Duo den Offspace Lokal-Int mit einer Art Schindeln aus Papier ausstaffiert – heute findet sich diese Gestaltungsidee als realisierte Fassade an einem Schulhaus in Savièse.
Veränderung kann aber auch stattfinden, wenn ein Objekt das gleiche bleibt. So geschehen mit dem Silo, das heute auf dem Terrain Gurzelen als Wassersammler und -spender dient. Ritzwirth sehen auch dieses als Symbol für den Wandel, ist das Betonsilo doch mittlerweile schon dreimal umgenutzt worden und hat auch seinen Standort gewechselt.Ritzwirth haben auch dieses Objekt ins Museum geholt, es aber dazu vorher zum Kunstwerk transformiert. Dazu haben sie von seinem unteren Teil einen Papiermaché-Abdruck gefertigt aus Planpapier, wie es Architekten verwenden. Das Modell hat den Massstab 1:1, ist also gleich gross wie das Original, Hauswirth sagt, es sei «eine Larve des Silos» – das Anfertigen jedoch eine ziemliche Arbeit gewesen.

Fenster zur Aussicht
Wahrlich, es ist überaus vielfältig, das Schaffen von Katja Ritz und Florian Hauswirth, und es ist durchzogen vom Gedanken sozialen Engagements. Ein Teil der Ausstellung zeigt eine kleine Wohnlandschaft, das Gerüst davon aufgebaut aus Reliefplatten vom Boden ihres alten Ateliers, das abgerissen wird, die Objekte darin sind Stücke aus Hauswirths Arbeit als Designer – «im alltäglichen Leben kann man am meisten bewegen», sagt der 45-Jährige dazu.
Und wie ist das nun mit dieser Installation am Pasquart? Wir kommen gleich dazu. Zuerst gilt es noch das Intro dazu zu betrachten: Auf dem Hohen Kasten, einem appenzellischen Ausflugsberg, haben Ritzwirth den Ankunftsbereich der Seilbahn-Bergstation gestaltet. Ein Element davon: Eine Vorschau auf die Aussicht, welche die Ausflügler bald geniessen können, in Form eines Periskops, welches mittels Spiegeln das reale Bild von draussen in den Berg hinein holt.

Es gibt stets eine Alternative
Und so ist es auch in der Salle Poma des Pasquart: Grosse Periskope haben Katia Ritz und Florian Hauswirth hier installiert. Eines ist Richtung Kongresshaus gerichtet und holt sozusagen die Stadt in den Innenraum. Das grösste leistet das Umgekehrte: Vom Aussenbereich lässt sich ein Blick ins Museum erhaschen, was wegen der Lichtverhältnisse allerdings vor allem in der Dunkelheit funktioniert. Damit durchbrechen Ritzwirth die Grenzen der Salle Poma, die als «White Cube» ja gerade möglichst abgeschottet sein soll, um die darin ausgestellte Kunst möglichst ohne Ablenkung zur Geltung zu bringen. «Wir stellen die Verbindung zur Aussenwelt wieder her», sagt Hauswirth. Und so ist denn auch der Ausstellungstitel programmatisch zu verstehen:«anderswar» ist ein althochdeutsches Wort, das für «anderswo» steht und so die Wahrnehmung darauf lenkt, dass es zu allem immer auch eine Alternative geben könnte.
Da ist es wieder, das Labor. Auch Stadtplanung verstehe sich heute zunehmend als Labor, sagt Ritz, «man probiert Dinge aus». Das wollen auch Ritzwirth weiterhin tun. Nicht im Museum, sondern auf dem Terrain Gurzelen, im Schlachthof-Areal, auf dem Agglolac-Gebiet – mithin in der ganzen Stadt eben, dort, wo das Leben spielt.


Info: Eröffnung heute mit Gratiseintritt. Künstlergespräch und Buchvernissage am 19. August, Podiumsgespräch am 25. August. Kunsthaus Pasquart, Seevorstadt 71, Biel. Dauer bis 29. August.


Zu Gast aus Litauen und Nigeria
Wer schon immer mal mit einer litauischen Künstlerin reden wollte, die extra Apnoetauchen gelernt hat, damit sie als Meerjungfrau in ehemaligen Nato-U-Boot-Basen in Nordnorwegen rumschwimmen kann, der sollte morgen ins Pasquart gehen und Emilija Škarnulytė treffen. Sie hat nämlich genau dies getan für ihre Videoarbeit «Sirenomelia», in der sie nördlich des Polarkreises dort das Wasser erkundet, wo früher nahe der Sowjetunion amerikanische Schiffe stationiert waren. Damit will sie am militarisierten Ort einen Gegenmythos erzählen. Die sehenwerte Ausstellung «Sunken Cities» bietet weitere höchst interessante Arbeiten.
Im Photoforum Pasquart vergleicht der Nigerianer Anthony Ayodele Obayomi in «Give Us This Day» Glücksspiel und Religion in Lagos – die Parallelen sind verblüffend. Škarnulytė und Obayomi sind morgen anwesend, Gespräche mit ihnen (englisch) finden um 14 respektive 17 Uhr statt.
 

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