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Grenchen

Sie scheitern stetig, aber mit Charme

Die Männer seien nicht das grosse Übel, sagen die vier Frauen. Männer seien vielmehr der Grund, weshalb die vier zusammenfanden: Als «Exfreundinnen» spielen, singen und tanzen sie seit acht Jahren gemeinsam auf der Bühne, mit viel Witz – und viel Drama.

Die drei Sängerinnen werden auf der Bühne von Musikerin Sonja Füchslin begleitet. Bild: zvg/Lukas Pitsch
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Hannah Frei

Ach, wär doch da nicht diese Wut, die jeweils kurz vor den Menstruationstagen auf die Bühne tritt, diese Schwerkraft, die den weiblichen Körper mit den Jahren in die Knie zwingt, dieser Haushalt, der gemacht werden muss, am besten jetzt, sofort, natürlich von der Frau, der Hausfrau, der Ehefrau, der Liebhaberin, der Frau für alles. Und wären da nicht diese Männer, die einmal da waren, es nun aber nicht mehr sind. Ja, dann gäbe es wohl die Exfreundinnen nicht. Sie heissen Anikó Donáth, Isabelle Flachsmann, Martina Lory und Sonja Füchslin. Sie stehen seit acht Jahren gemeinsam auf der Bühne – mit stetig wachsendem Erfolg.

Am Freitag spielen sie im Parktheater in Grenchen. Ihr Konzept: Sie packen sich bekannte Hits, wandeln die Texte ab, interpretieren sie neu, mit viel Humor. «Wir wollen an bestehende Emotionen anknüpfen und sie in eine neue Richtung lenken», sagt Martina Lory. Das Publikum soll mitsingen, mittanzen, mitfühlen. «Die Menschen erkennen sich in dem wieder, was wir auf der Bühne zeigen», sagt Lory – und zwar nicht nur die Frauen.

Sie spielen mit Klischees
PMS – also das prämenstruelle Syndrom –, böse Ex-Freunde, dreckiges Geschirr. Das klingt erst einmal nach Klischee. Doch dahinter stecke weit mehr als das, sagt Lory. «All diese Dinge haben uns irgendwann einmal zutiefst erschüttert und verunsichert», sagt Lory. Auf der Bühne verarbeiten sie dies, machen sich darüber lustig, über sich selbst, über das Problem, selten auch über das Gegenüber. «Wir machen kein Männerbashing, sondern bashen vielmehr uns selbst», sagt Lory. Umso mehr sie mit den Normen brechen, umso lustiger werde es.

Doch was genau machen die vier denn nun auf der Bühne? Sie singen, zumindest drei von ihnen. Sonja Füchslin begleitet am Klavier, am Akkordeon oder mit der Geige. Und sie spielen, nennen wir es Theater, und tragen vor, nennen wir es Stand-up Comedy. Gesungen wird mit einer unheimlichen Wucht. Meist dreistimmig, meist schweizerdeutsch. Die vier sind Berufsmusikerinnen und Schauspielerinnen. Gefunden haben sie sich zu einer Zeit, als sie die Konkurrenz satthatten.

Sie waren damals als Solokünstlerinnen unterwegs, spielten in Musicals, etwa bei «Ewigi Liebe», bei Produktionen in Deutschland, Isabelle Flachsmann sogar am Broadway, und standen auf den grossen Bühnen. Die vier begegneten sich immer wieder, auf und hinter der Bühne. Doch mit den Jahren kam der Frust. Darüber, sich als Frau für jede Rolle wieder behaupten zu müssen. «Es gibt so viele Frauen in diesem Business. Wir wollten nicht mehr gegeneinander in den Castings antreten, sondern uns zusammentun», sagt Lory. Denn: «Gemeinsam sind wir stärker als alleine.»

Als dann auch noch die Tournee von Anikó Donáth abgesagt wurde, ging plötzlich alles ganz schnell: Die vier stellten aus der Not heraus ein Ersatzprogramm auf die Beine. «Es hat so gut funktioniert, dass für uns klar war: Wir wollen weitermachen», sagt Lory. Heute verdienen die vier als «Exfreundinnen» ihren Unterhalt. Jede hat innerhalb der Gruppe ihr eigenes Ressort, sowohl im künstlerischen Bereich als auch im Administrativen. «Wir sind eine Firma geworden, machen alles selbst», sagt Lory. Vom Schreibprozess übers Marketing bis zum Booking. Der Name, der ihr erstes Programm bestimmte, ist geblieben. Dieses entstand tatsächlich aus schlechten Erfahrungen mit ihren Ex-Partnern. Darauf scheint die Schweiz gewartet zu haben. «Es wurde ein Selbstläufer», sagt Lory.

Sie kombinieren Sekt mit Sekte
Das aktuelle Programm ist ihr drittes. Es geht um Sekten, und um Sekt. Diese Mischung wirkt erst einmal befremdlich. Der Name sei aber mehr als ein loses Wortspiel. «Es geht darum, im Moment zu leben, den Moment zu geniessen», sagt Lory. Der Sekt stehe dabei für die Lebensfreude, die Sekte für die Gemeinschaft – auch wenn diese ihre Schattenseiten hat. Entstanden ist das Programm-Thema aus einem Jux heraus. In den Intensivtagen, welche die vier jeweils im Frühling zum Proben und Entwickeln von neuem Material auf der Lenzerheide verbringen, haben sie sich ernsthafter mit dem Thema auseinandergesetzt und festgestellt, dass darin, besonders in einer Zeit, in der Gemeinschaft durch die angeordnete Isolation erschwert wurde, viel Potenzial steckt. Inspiriert worden seien sie dabei unter anderem von Homer, Steve Jobs und Uriella.

Die vier fragten sich, was sie in der Coronazeit am meisten vermissen, was Zusammenhalt ausmacht, was er ihnen gibt – und was er ihnen nehmen kann. Das verpackten sie in Ton und Witz, mit ganz viel Liebe zum Detail. «Unsere Shows sind Hochleistungssport», sagt Lory. Was fürs Publikum leicht und einfach wirkt, ist Präzisionsarbeit. Nach jeder Show wird reflektiert, zwischen den Shows wird perfektioniert. Sie sind alle Alphatiere und müssen miteinander verhandeln und abstimmen. In Pattsituationen entscheidet die Chefkarte. «Das ist anstrengend, aber wahnsinnig befruchtend», sagt Lory.

Neid gibt es in der Gruppe nicht
Die Zusammenarbeit sei immer herausfordernd. «Aber egal, wie sehr, es ist immer schöner zusammen, als alleine. Und am Ende wollen wir alle dasselbe: Speditiv vorwärtskommen, um gemeinsam ein tolles Produkt zu erstellen», sagt Lory. Neid gebe es in der Gruppe nicht, «wenn, dann nur inszeniert auf der Bühne».

Und wie geht es mit den vieren nach dieser Saison weiter? Ein nächstes grosses Projekt sei bereits in Planung. Mehr will Lory dazu aber noch nicht verraten. «Vorerst stehen die kommenden Shows im Fokus.» Ein Auftritt folgt dem nächsten, es wird nachgeholt, was das letzte Jahr verbockt hat. Klar ist aber: Mit den Exfreundinnen geht es weiter. «Wenn irgendwann nicht mehr auf der Bühne, dann eben immerhin noch privat», sagt Lory. Das sei ihr oberstes Ziel: Die Exfreundinnen sollen Freundinnen bleiben.

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