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Biel

Sie sind in den 90er-Jahren stecken geblieben

Zwei von ihnen machen Beats, drei von ihnen rappen: Die Bieler Gruppe Crastinus Pro frönt dem Oldschool Hip-Hop. Sie verschieben zwar gerne Dinge auf morgen, machen sie dann aber doch. So auch ihren Gig von heute im Le Singe.

Sie sind zwischen 20 und 25 Jahre alt, klingen aber wie Wu-Tang Clan und Nas. ZVG
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Hannah Frei
 
«Ist es ok, wenn wir rauchen?», fragt Jämu. In ihrem neuen Proberaum im X-Project am Rennweg in Biel setzen sich die fünf Bieler auf ihre Couch, lassen die Deckel ihrer Getränke durch die Luft spicken, Bier, Mate, Apfelschorle. Gekifft werde aber nicht, «nicht vor den Proben». Das komme erfahrungsgemäss nicht gut, sagt KaBlan. Die restlichen drei heissen BZAR, D.E.M.O und NOPE – zumindest nennen sie sich so. Für die Musik, die sie machen, brauche man Energie. Das gehe bei ihnen bekifft nicht. «Wir wollen immer 120 Prozent geben», sagt KaBlan. Er redet am meisten, hat wohl auch am meisten zu sagen. Er ist seit Beginn dabei, als sich die fünf – damals noch zu dritt – Crastinus Pro tauften. KaBlan brennt für Rap, kann kaum auf der Couch sitzen bleiben, wenn er einen Beat hört, ja, gar schon nur, wenn er an ihn denkt. «Es gibt keine andere Plattform, die der Sprache so dermassen viel Kraft gibt, wie der Beat zu einem Rap», sagt KaBlan und wippt nach vorne und wieder zurück.
 
Es scheint, als wären die fünf Jungs irgendwo zwischen Nas, Wu-Tang Clan und Jurassic 5 stecken geblieben. Sie sind zwischen 20 und 25 Jahre alt, ein angehender Koch, ein künftiger Sozialarbeiter, ein Jazz-Student, ein Zimmermann und ein Junge für alles. Ihre Art des Raps sei zeitlos, sagt KaBlan. «Solange wir sie fühlen, solange die Musik nicht aufhört, jedes Mal aufs Neue durch unsere Körper zu pumpen, solange lebt die Musik weiter», sagt er.
 
Heute steht für die fünf jungen Männer ihr bisher grösster Auftritt an: Sie spielen im Le Singe in der Bieler Altstadt. Sie taufen dort ihr «X-Tape», benannt nach dem X-Project und nach den Audiokassetten, die für die Hip-Hop-Kultur der 90er-Jahre eine grosse Bedeutung hatten.
 
Boom Bap, Samples, Beats
Dass ihre Musik alt klingt, wissen sie. Ja, sie freuen sich sogar darüber, wenn sie an solche erinnert. «So soll sie auch sein», sagt D.E.M.O. Sie wollen mit ihrer Musik an die 90er-Jahre anknüpfen, also an die Zeit, bevor aus Kassetten und CDs MP3-Dateien wurden, bevor Klänge und Töne mittels Computer innert kürzester Zeit produziert werden konnten. Eben noch Oldschool. Was D.E.M.O anspricht, nennt sich Boom Bap, eine Produktionsweise, die vor allem in den 80er- und 90er-Jahren zur Herstellung von Rap-Beats verwendet wurde. Aufgebaut sind die Beats immer gleich: Ein harter Kick und eine hohe Snare Drum wechseln sich ab. Das Tonmaterial stammt meist von sogenannten Samples, einem kurzen Ausschnitt einer Melodie, kopiert von Schallplatten oder CDs. Der Melodieausschnitt wird dann bearbeitet, in Endlosschlaufe wiederholt und bildet so einen neuen Beat: die Basis für den Rap.
 
 «Nichts gegen die neuen Produktionen», sagt Jämu, «die wollen wir nicht schlechtreden. Aber das, was davor war, ist real.» Es sei die nachhaltigste Form des Hip-Hops und werde wohl noch in Jahrzehnten gefeiert, sagt NOPE. Und sie werde Spuren hinterlassen. «Wohl mehr, als irgendein Trap-Lied, das kurz nach der Jahrtausendwende entstand.» Und das passt zur Haltung der fünf Jungs: «Crastinus Pro will keine Eintagsfliegen produzieren, sondern Songs, die wir auch in ein paar Jahren noch feiern», sagt BZAR. Dafür streiten sie sich auch gerne, verhandeln über Wörter, Silben, Klang und darüber, was er ausdrücken soll. Sie rappen über das, was ihnen am nächsten ist: Liebe, Hoffnung und Biel. «Wir wollen Materie erschaffen.»
 
Ein grosses Ziel für die noch jungen Männer in der Rapszene. Auch wenn man bedenkt, dass gerade BZAR erst vor rund zwei Jahren zur Gruppe stiess. Davor hatte er nichts mit Rap am Hut. Aber er zeichnete gerne. «Und ich brauchte ein Hobby», sagt BZAR. So fing er an, gemeinsam mit den restlichen Jungs der Gruppe im Proberaum zu chillen, zu hängen, zu sprayen. Damals habe BZAR noch kein Taktgefühl gehabt, sagt Jämu. Trotzdem liess er nicht locker, wollte bei Crastinus Pro mitmachen. KaBlan schüttelte da nur den Kopf. Er und Jämu haben bereits Jahre davor angefangen, Texte zu schreiben, Beats zu machen, beides zu vereinen. «Wir waren schon mittendrin. BZAR war bei Null. Wir sagten ihm, er könne nicht mitmachen», so KaBlan. Doch plötzlich war BZAR mittendrin – und lernte schnell. «Dieser Typ hatte es plötzlich einfach voll drauf», sagt KaBlan, dreht sich zu BZAR um, hebt seine Hand und schlägt ein. «Wichtig dabei ist einfach, dass es Spass macht, dass man es will. Dann funktioniert es auch», sagt BZAR selbstbewusst.
 
Mögen gelernt haben sich die Jungs eigentlich erst durch den Rap. BZAR und KaBlan waren in derselben Klasse, Jämu eine Klasse oberhalb, alle drei in der Bieler Steinerschule. Die beiden Klassen mochten sich anfangs nicht, Jämu mochte die beiden nicht, bis KaBlan eines Tages einen «Diss-Track» gegen einen Lehrer der Schule geschrieben hat. Den Lehrer mochte Jämu nicht. Und so mochte er plötzlich KaBlan und seine Klassenkameraden. Ein paar Wochen später rappten KaBlan und Jämu zum ersten Mal gemeinsam. D.E.M.O und NOPE kamen später dazu. Und dann eben von zwei Jahren noch BZAR.
 
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Crastinus Pro soll künftig nicht nur Musik machen, sondern eine offene Gruppe für jegliche Form des Raps und des Hip-Hops sein: Tanz, Graffiti, hauptsache Kunst. «Unsere Musik soll integrieren, nicht exklusiv sein», sagt KaBlan. Und so wird auch ihr Auftritt am Samstag im Le Singe: Wer sich am Samstag im Testzentrum an der Zentralstrasse in Biel für das Konzert testen lässt, erhält einen Bon, den er an der Kasse im Le Singe einlösen kann. Crastinus Pro übernehmen also die elf Franken für den Test. Denn: Für die Jungs ist es wichtig, dass alle an der Kunst- und Kulturszene teilnehmen können, unabhängig vom Budget und von der ihrer Haltung.
 
Trotz des Auftritts im Le Singe sagt NOPE: «Crastinus Pro steckt immer noch in den Kinderschuhen.» Und ihre Ziele sind ambitioniert: Royal Arena Festival, Auftritte im Ausland, Virus Bounce Cypher. «Unsere Ansprüche an uns selbst sind riesig», sagt KaBlan. «Wir möchten es mit unserer Musik so weit bringen, dass man den Text nicht verstehen muss, um sie zu lieben.» «Word», sagen die anderen.
Info: Konzert heute Abend ab 20 Uhr im Le Singe, Biel.
 
 

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