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Sie sind nicht stumm

Theaterspiel war seit jeher ihre Leidenschaft. Dann wurde sie Primarlehrerin. Erst mal. Seit 20 Jahren begeistert Daniela D’Arcangelo nun Kinder und Erwachsene mit ihren Figuren in ihrem Puppentheater in Ins.

Manche Puppen dürfen mitspielen, andere müssen zuschauen und darauf warten, dass ihnen Leben eingehaucht wird. Bild: Tanja Lander
  • Dossier
Vera Urweider
 
Die Königin von Schloss Dorn schwimmt jeden Tag im Schlossteich. Ein altes Buch verriet ihr, wenn sie da täglich baden würde, erfülle sich ihr sehnlichster Wunsch, der, nach einem Kind. Eines Tages findet sie einen bewusstlosen Frosch im Teich. Sie belebt ihn wieder und er verspricht ihr zum Dank, dass ihr grösster Wunsch in Erfüllung gehen würde. So weit so gut, diese Geschichte kennen wir. Doch dann, dann gebärt die Königin nicht etwa das Dornrösli, sondern einen Sohn. Prinz Andreas. Dorn-Resli, also.
 
Man meint, es zu kennen
«Dorn-Resli» ist das neueste Stück der Puppenspielerin Daniela D’Arcangelo aus Ins. Die Anlehnung an Dornrösli ist selbstredend gewollt. Neben ihren eigenen von Grund auf geschriebenen Geschichten bedient sie sich immer wieder bekannter Märchen. «Doch dann gebe ich den Märchen einen neuen Drive», sagt sie. Die meisten Märchen seien ja so aufgebaut, dass das Mädchen etwas blöd und blond und vor allem hübsch sei und der tapfere Prinz es retten müsse. In der Tat etwas aus der Zeit gefallen. Und so wird eben der Prinz Dorn-Resli einschlafen und mit ihm das ganze Schloss. Nach hundert Jahren schafft es ein mutiges und freches Mädchen, die Rosendornen zu durchqueren und soll nun Prinz Andreas wachküssen und heiraten. Ob die Puppe, die an eine Art «Ronja Räubertochter» erinnert, sich auf diesen Deal einlassen wird? Oder doch lieber die Freiheit wählt? Und wird Dorn-Resli für immer schlafen müssen?
 
Seit 20 Jahren baut D’Arcangelo nun Puppen, schreibt Geschichten und gibt ihren Figuren Leben auf der Bühne. Ihre Stücke seien für Menschen zwischen vier und 111 Jahren. «Für mich ist es ganz wichtig, dass ich die Kleinen nicht überfordere und die Erwachsenen nicht langweile», sagt sie. Das sei nicht ganz einfach. Jedoch genau das ist die Kunst des Erzählens. Neben den umgeschriebenen Märchen spielt sie die Geschichte des Bilderbuches «Drei Freunde», und eben von Grund auf selbst geschriebene. Es ist eine gute Mischung in ihrem vollgepackten Jubiläumsspielplan – acht Stücke innerhalb neun Monaten. Manche Stücknamen klingen sofort an, so wie das «Rotkäpli – nöi glismet» oder eben das aktuelle Stück «Dorn-Resli». Andere, wie beispielsweise «Mathilda» oder «Oha lätz!», bleiben dagegen überraschender.
 
Der Rattenschwanz
Normalerweise zeigt die ehemalige Primarlehrerin ein neues Stück pro Saison, zum Zwanzigjährigen sind es sogar zwei. Das aktuelle «Dorn-Resli» und «Oha lätz!» im April – eine Adaption des hässlichen Entleins. Ältere Stücke werden jeweils nach ungefähr drei Jahren wieder in den Spielplan aufgenommen, manchmal etwas abgeändert. «Mit manchen Stücken bin ich nicht mehr zufrieden, wenn ich sie wieder aus der Kiste hole», so D’Arcangelo. «Also schreibe ich sie um.» Was jedoch so simpel klingt, ist tatsächlich aufwendige Arbeit. Denn D’Arcangelo ist eine Ein-Frau-Unternehmerin. Sie baut nicht nur die Puppen und spielt sie auf der Bühne. Sie spielt auch selber einige Rollen, also Gegenspielerinnen zu den Puppen. Und sie schreibt die Musik selber, oder schneidet bekannte Stücke, so wie sie sie braucht, timet sie genau. Ebenso die Lichtwechsel. Auf und hinter der Bühne ist sie alleine, geplant und eingespeichert wird vorher. Wird nun ein Stück umgeschrieben, hängt da also ein ganzer Rattenschwanz an Umschreibungen daran.
 
Apropos Rattenschwanz. Das nächste Stück, im November, handelt von einer Ratte. «Mathilda» ist eine Eigenkreation D’Arcangelos, also kein abgewandeltes Märchen. Mathilda ist klein und klug. Und eben: eine Ratte. Ihr Gegenspieler ist der schlaue Fuchs, der eigentlich nur eines will: Mathilda fressen. Ob es ihm gelingt? Oder ob es ihr gelingt, ihren viel grösseren und stärkeren Feind zu überlisten? Oder werden sie am Ende gar Freunde?
 
Wie kommt denn Daniela D’Arcangelo eigentlich zu ihren eigenen Geschichten? Wie kommt man dazu, ein Stück mit einem Fuchs und einer Ratte zu schreiben? «Bei Mathilda begann die Geschichte mit einem Fuchs», sagt sie. Irgendwann in einem Puppenbaukurs habe sie einen grossen Fuchs mit Klappmaul gebaut und wusste: Der muss ins Scheinwerferlicht. Dorthin übrigens, schaffen es längst nicht alle ihre Figuren. Der Fuchs also war geboren. «Nun brauchte er einen Gegenspieler», so D’Arcangelo weiter. «Und ich hatte noch eine arbeitslose Ratte, etwas kleiner als der Fuchs und ohne Klappmaul, dafür mit einem Teesieb im Hinterkopf, damit auch sie das Mäulchen öffnen kann.» Und auf einmal war klar: Das wird die Gegenfigur zum Fuchs. Das wird Mathilda. «Mit den Figuren kam dann die Geschichte.»
 
Puppen flogen aus
Mathilda hatte also Glück, dass sie es noch auf die Bühne schaffte. D’Arcangelo hat in den letzten 20 Jahren so viele Puppen verschiedener Grössen gebaut, sie kann längst nicht alle für Stücke verwenden. Die meisten waren gar lange versteckt. Wegen der Pandemie dann, als sie nicht mehr spielen konnte, hat sie den Vorderteil des Theaterkellers in Ins zu einem kleinen Laden umfunktioniert. Sie hat angefangen, diese Puppen zu verkaufen, die es eben nicht auf die Bühne schafften. So sitzt jetzt ein Stier als Maskottchen in einem Zentrum für Psychomotorik. Oder ein Rabe hilft in einer Schule aus. «Ich bin froh, haben die nun auch ein Plätzli gefunden», sagt sie.
 
Noch immer sitzen ein paar Figuren im Eingangsbereich des Kellers und warten auf ihre neuen Aufgaben. Der Preis von 500 Franken mag erst einmal erstaunen. Wenn man jedoch bedenkt, dass der Bau einer solchen Puppe eine gute Woche dauert und alles Handarbeit ist – auch genäht wird von Hand -, dann relativiert sich dieser schnell. «Alleine für die Augen brauche ich meistens einen ganzen Tag.» Diese übrigens bekommen ihren Glanz und somit die Puppe ihr Leben, durch durchsichtigen Nagellack, den sie darauf streicht.
 
Man kann also durchaus gespannt sein, welche Figuren D’Arcangelo in den kommenden Jahren noch zum Leben erwecken wird. Welche Geschichten in ihrem Puppentheater erzählt werden. In ihrem Keller, den sie bereits seit Kind auf kennt. Denn er gehörte, zusammen mit dem ehemaligen Restaurant «Rebstock» ihrer Grossmutter. «Hier, wo jetzt die Bühne ist, da waren die Sauerkrauttöpfe, vorne, wo jetzt der Laden ist, Bier- und Weinfässer. Und ganz viele ‹Spinnhumpelen›.» D’Arcangelo rümpft die Nase. «Ich hatte mich immer etwas gegruselt, wenn ich da runter sollte.» Ein Keller also, der für sie früh Geschichte schrieb. Ein Keller, in welchem heute ihre Geschichten leben.
Stichwörter: Raus, Theater, Kultur

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