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Biel

Sie tanzen durchs Museum

Und plötzlich gehören die Bilder an den Wänden zur Performance: Das Bieler Collectif Zéa und Daniel Erismann führen am Sonntag mit Tanz und Musik durchs Kunsthaus Pasquart.

Was macht es mit dem Raum, wenn in ihm getanzt wird? Und was macht das mit mir? Bild: zvg/Laurence Hänni
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Hannah Frei
 
Ihr Tanz wirkt wie ein Gebet, eine Begegnung mit dem Überirdischen, dem, was sich nicht erklären lässt. Daniel Erismann trägt sie mit den Klängen des Flügelhorns, mit dem Rhythmus einer Conga, bewegt sie hin und her, lässt sie atmen, schneller werden, verstummen. Sie, das sind fünf Tänzerinnen des Collectifs Zéa aus Biel. Sie wagen etwas Neues: Mit dem Bieler Musiker führen sie am Sonntagabend mit einer Performance durch die Ausstellung im Kunsthaus Pasquart.
 
Trilhas Sonoras heisst das Stück, entstanden im Rahmen der Cadenza der Musikschule Biel. Dabei greifen sie auf, was sie an den Wänden sehen, was sie in den Räumen wahrnehmen, was sie hören, fühlen. Ausgestellt sind die Werke von Emma Talbots, einer britischen Künstlerin, und der Genferin Vanessa Billy. Ihre Kunst wird mit Trilhas Sonoras ummantelt. «Wir möchten die verschiedenen Kunstformen zusammenbringen und sie miteinander spielen lassen», sagt Tänzerin Pauline Staubli.
 
Die Liebe zum Tanz vereint sie
Der afro-brasilianische Tanz ist, was sie alle verbindet. Collectif Zéa fand durch ihn zusammen, genauso wie Erismann und das Kollektiv. Sowohl er als auch die meisten der Tänzerinnen verbrachten schon einen Zeit lang in Brasilien, unter anderem, um der Tanzform näher zu kommen. Dieser Tanz ist geprägt vom Spirituellen, von der Beschäftigung mit den Elementen der Natur, mit sich selbst, mit dem Traditionellen. Jeder Heiliger hat seinen eigenen Tanz.
 
Und die Gruppe verbindet das Interesse für zeitgenössische Kunst, auch wenn der Besuch in einer klassischen Galerie für manche von ihnen etwas starr und beengend ist. Mit ihrer Performance möchten sie dies ändern. Bei den Tänzerinnen selbst hat es jedenfalls bereits gewirkt. Durch das Projekt hat etwa Laetitia Roulin ihren Zugang zur visuellen Kunst gefunden. Gleichzeitig habe sich auch die Art, wie sie dem Tanz begegnet, verändert. «Ich habe gelernt, wie sich diese Kunstformen gegenseitig befruchten können», sagt Roulin.
 
Vor drei Jahren hat alles angefangen. Auslöser war Melanie Manchot, eine bildende Künstlerin aus London, die ihre Ausstellung durch die Bieler Altstadt mit einer Performance mit Perkussion und Tanz ummanteln wollte, und zwar mit Künstlerinnen und Künstlern aus Biel. Erismann stiess auf die Ausschreibung. Sie weckte Sehnsucht in ihm. Sehnsucht nach dem Zusammenspiel von Tanz und Perkussion, nach einer Darbietung, die mehrere Sinne weckt und sie miteinander verschmelzen lässt. Und die Sehnsucht nach afro-brasilianischem Tanz. Der Musiker kennt beides, Tanz und Musik. Früher tanzte er selbst, Afro-Dance, Modern-Dance, alles Mögliche. Musik macht er ebenfalls seit seiner Kindheit, Perkussion, Trompete, Gitarre. Er unterrichtet an der Bieler Musikschule, spielt in verschiedenen Formationen mit allerlei Instrumenten. «Ich habe jedoch noch nie so viele Instrumente in einer Aufführung gespielt wie in dieser Performance», sagt er.
 
Strukturierte Freiheit
Es dreht sich also alles um Improvisation. Oder doch nicht? Die Performance ist zumindest so entstanden. Einen Choreografen gibt es nicht. Das Kollektiv entwickelt und bestimmt gemeinsam. Wie viel während der Aufführungen noch improvisiert wird, ist für die Gruppe schwierig zu beantworten. «Die Performance ist immer noch frei, aber strukturiert», sagt Tänzerin Denise Herren. Ein Grossteil von dem, was Erismann spielt, entsteht intuitiv. Er beobachtet die Tänzerinnen, trägt sie, stützt sie, begleitet sie. «Es fühlt sich manchmal so an, als wären wir seine Notenblätter», sagt Tänzerin Manuela Scheck. Erismann sieht das Zusammenspiel als Energiefeld. Zum einen seien die Tänzerinnen für ihn ein visuelles Notenblatt, zum anderen aber vermitteln sie mit ihren Bewegungen auch Gefühle, die Erismann treffen und die er in seiner Musik aufnehmen kann. Für die Tänzerinnen ist es hingegen schwierig, als Gruppe auf Erismann zu reagieren. «Trotzdem ist es ein Geben und Nehmen», sagt Scheck. Das sei etwas ganz anderes, als wenn man «ab der Konserve» tanze. «Wenn wir als Tänzerinnen ein Signal geben, kommt sofort etwas zurück. Dadurch entsteht etwas Neues.»
 
Einen roten Faden gibt es dennoch: der Weg, Trilhas Sonoras, was auf Portugiesisch so viel heisst wie «Soundtrack». Eine Musik, die ein Werk, ein Stück umrahmt, begleitet, es an der Hand nimmt. Im Pasquart ist Trilhas Sonoras Musik und Tanz zugleich. «Wir haben den roten Faden gefunden, weil wir einen gemeinsamen Weg eingeschlagen haben», sagt Denise Herren.
 
Zweimal verschoben
Bereit gewesen wären die sechs bereits im April 2020. Ihre Performance hätte am 5. April im Pasquart gezeigt werden sollen, zu einer anderen Ausstellung. Etwa zwei Wochen zuvor machte jedoch alles dicht. Kurze Zeit später war die Ausstellung weg, und mit ihr auch die Performance. Die Ausstellung kam zum Glück noch einmal zurück, für einen Auftritt reichte es jedoch zeitlich nicht. Immerhin bot dies Raum dafür, die Performance zu filmen und auf diese Weise festzuhalten. «Das war für uns sehr wichtig. Sonst hätte sich unsere Arbeit einfach auf einen Schlag in Luft aufgelöst», sagt Anita Neuhaus. Am Sonntag starten sie also mit dem dritten Versuch.
 
Die Zeit des Wartens nahm die Gruppe als zweischneidiges Schwert wahr: Zum einen war es eine Farce, zum anderen bot dies viel Raum, um sich intensiv mit der Performance auseinanderzusetzen. Und damit, was sie mit den Tänzerinnen und Erismann macht, und wie sich die Gruppe und jedes ihrer Mitglieder entwickelt hat. «Für erfahrene Tänzerinnen ist es manchmal schwierig, sich zu entwickeln, vorwärtszukommen und dies auch wahrzunehmen», sagt Scheck. Durch das Projekt machte jedoch jede von ihnen einen Schritt, zusammen und für sich selbst.
 
Am Sonntagmorgen zeigt die Gruppe ihre Performance in einer verkürzten Version für Kinder. Für die Kleinsten dauert das Stück etwas mehr als eine halbe Stunde.
 
Und was kommt danach? Vielleicht arbeiten Erismann und das Kollektiv weiter zusammen, vielleicht für ein nächstes Projekt. Lust darauf haben jedenfalls alle. «Für mich ist ein Produkt nie fertig, auch wenn es aufgeführt wird», sagt Erismann.
 
Stichwörter: Biel, Pasquart, Kunst, Tanz, Kultur

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