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Musik

So wird ein Song zum Hit

Zwischen Kreativität und kalter Berechnung: Die Berner Volkshochschule gewährt 
einen Blick hinter die Fassaden des Milliardengeschäfts Musik.

Bild: Nicole Philipp

Michael Feller

Irgendwo in einem Gewerbebau am Berner Stadtrand. Es ist Winter, wenige Tage vor dem Lockdown. Ein kleines Grüppchen tritt durch einen Gang zwischen Betonwänden. Eine Tür später steht das halbe Dutzend inmitten von Perkussionsinstrumenten, Synthesizern, Mikrofonen und technischen Geräten. Und wird warm empfangen: Es ist das Reich von Samuel Baur, Musiker und Produzent.

Mit seiner Firma Audiokonzept spielt er mit Bands Alben ein und schafft für Geschäftskunden Klangwelten, die zur Förderung des Vertrauens bei der Kundschaft beitragen sollen. An diesem Abend empfängt er ein halbes Dutzend Schülerinnen und Schüler der Berner Volkshochschule.

 

Da steckt mehr dahinter

Der Besuch bei Samuel Baur ist der sechste und letzte Teil des Kurses «Facetten der Rockmusik», der von zwei Musikjournalisten durchgeführt wird. Einer von ihnen ist Markus Ganz, auch er ist an diesem Abend bei Samuel Baur zu Gast. Er unterrichtet ebenfalls an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und behandelt dort Fragen aus dem Berufsalltag wie: «Wie platziere ich meine Musik bei den Streaminganbietern?» Fragen für Profis also. Aber er und seine Kollegen der Musikpresseagentur Wohrt möchten ihr Wissen, das sie zum Teil über Jahrzehnte als Beobachter der Musikbranche gesammelt haben, auch jenen weitergeben, an die Musik gerichtet ist: den Hörerinnen und Hörern von Musik. Potenziell also: uns allen.

Hinter der Musik, die heute produziert wird, steckt so viel mehr, als wir beim ersten Lauschen wahrnehmen. Darum soll es gehen, hier in Baurs Studio. Der Produzent spielt zum Beginn zwei Stücke ab. «Please Read the Letter» von Robert Plant und Alison Krauss. Und «Bad Guy» von Billie Eilish. Die Songs haben eines gemeinsam: Sie haben einen Grammy Award für den Song des Jahres gewonnen. Ersterer 2009, letzterer im Januar 2020. Damit enden aber auch die Gemeinsamkeiten. Auf der einen Seite, bei Plant/Krauss, der so zeitlose wie ehrliche Stahlsaitengitarren-Folksong. Auf der anderen Seite das reduzierte und genial gekünstelte Werk von Billie Eilish, der jüngsten Trägerin der Trophäe, die als das Höchste der Gefühle in der Popwelt gilt.

 

Geldflüsse und Mythen

Die Teilnehmerin und die Teilnehmer des Kurses sind – abgesehen von einem 16-Jährigen, der mit einer Musikausbildung liebäugelt – durchwegs grau meliert. Sie analysieren nun. Hören da eine klar den üblichen Instrumenten zuzuordnende Klangwelt, da eine minimalistische Soundkulisse zwischen Fingerschnippen und Synthesizer. Trotz grosser musikalischer Fähigkeiten: «Bei beiden Beispielen steckt viel Arbeit im Studio dahinter», sagt Samuel Baur.

Das erstaunt niemanden im kleinen, aber gemütlichen Studio. Schliesslich haben die Teilnehmerin und die Teilnehmer vor der Exkursion in den Räumen der Volkshochschule allerlei Hintergründe über die Musikindustrie erfahren, die noch immer ein Milliardenbusiness ist, auch nach dem Einbruch der Verkaufserlöse seit der Jahrtausendwende. Sie haben von den Geldflüssen und den Mythen des Musikbusiness gehört, von der Bedeutung des Musikerauftritts bis zur Entstehung von Songs. In der Komposition eines Musikstücks liegt Kalkül und Hoffnung: In der Hitschmiede wird nichts dem Zufall überlassen. Ein absolutes Erfolgsrezept gibt es aber auch nicht, einen Hit zu schreiben, bleibt ein Kunststück, das allzu oft misslingt.

Aus der Theorie wird Praxis: Samuel Baur nimmt mit dem Grüppchen einen Song auf. Zuerst fordert der Produzent die Besucher auf, zusammen einen Grundrhythmus zu klatschen, dann wird an einem Synthesizer eine Melodie aufgezeichnet, es kommen Gitarren und ein Beat dazu. Jeder kommt einmal an die Reihe. Dass die Talente ungleich verteilt sind, spielt keine Rolle: Anhand der aufgenommenen Elemente führt Baur vor, wie viel sich am PC optimieren, transformieren und manipulieren lässt.

 

Die Berner Vorherrschaft

So begeistert sich die Gruppe reinhängt, so aufwendig war es für Markus Ganz und seine Kollegen, ein Zielpublikum für die Kurse zu finden. «Es ist schwierig, an Interessierte heranzukommen. Das Etikett ‹Volkshochschule› wirkt für viele Leute abschreckend.» Das etwas verstaubte Image lässt vergessen, dass das Angebot nicht nur für Pensionierte interessant sein kann.

Ein neues Angebot lanciert die Agentur Wohrt nun zum ersten Mal: Der SRF-2-Redaktor Eric Facon veranstaltet mit dem Berner Rockchronisten Sam Mumenthaler, der auch für diese Zeitung schreibt, den Kurs «Warum klingt Bern anders als Basel oder Zürich?». Darin gehen die beiden der Frage nach, weshalb sich die Berner Vorherrschaft in der Mundartpopmusik seit Jahrzehnten hält.

Info: Anmeldung bis zum 
4. Oktober bei der Berner 
Volkshochschule.

Stichwörter: Musik, Song, Kultur, Fantasie, Genie, Region

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