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Literatur

Spaziergang 
auf dem Ground Zero der Liebe

Werner Rohner umkreist im Roman «Was möglich ist» die Problematik dreier Neuanfänge. 
Dabei bringt er uns jede Gefühlsregung seiner Protagonisten so nahe, dass es zum Heulen ist.

Werner Rohner (45) hat 2012 das Schweizerische Literaturinstitut in Biel absolviert und lebt in Zürich. Bild: Christoph Oeschger

Clara Gauthey

«Was möglich ist», heisst der zweite Roman von Werner Rohner («Das Ende der Schonzeit»). Vielleicht hätte er ebenso gut heissen können «Was nicht möglich ist», denn er erzählt von den Schwierigkeiten, den Unmöglichkeiten, welche entstehen, sobald wir versuchen, unser Leben mit einer neuen Liebe oder nach dem Verlust einer solchen wieder aufzunehmen.

Weich werden, Härte spüren

Edith, Vera und Lena lieben, jede auf ihre Art: einen jüngeren Mann – eine verheiratete Frau – ihren Mann und ihre Kinder, die sie trotzdem über Nacht verlassen. Ob sie scheitern, lässt sich noch nicht einmal sagen. Klar ist aber, dass die Liebe nie nur ein warmes, beglückendes Gefühl sein kann, sondern dass in ihr immer auch das Gegenteil angelegt ist: Kälte, Brutalität, tiefe Traurigkeit. Demütigung, Verletzung und Abhängigkeit, denen wir uns aussetzen, wenn wir weich werden für das Eindringen eines anderen in unsere Welt. Zusätzlich zu Verletzungen, welche uns das Leben bereits zugefügt hat. Ist es am Ende die Konstellation der Verbindlichkeiten, die das Gefühl in die Enge treibt? Oder war es gar keines?

Glückselig sein ist nicht alles

Da ist zum Beispiel die Liebe zwischen Edith und dem viel jüngeren Chris. Man möchte meinen, es sei der Altersunterschied, der sie trenne, als sie trotz allem beschliessen, gemeinsam auszuwandern und eine Pension zu eröffnen. Aber ihr gemeinsames Jahr in Marokko scheint ausnahmslos von Glück geprägt zu sein, von vielen, kleinen Momenten tiefer Verbundenheit, einer Glückseligkeit, die nichts weiter verlangt. Nur, dass das nicht auch heisst, dass sie zusammen alt werden. Das Leben ruft, aus einer anderen Richtung, als man meint. Lieben allein reicht nicht, um zu überdauern. Es gibt anderes, was ebenso bedeutsam ist.

Und dann ist da Vera, gänzlich überrumpelt von der Liebe, die sie, bisher heterosexuell, zu einer Freundin entdeckt. Sie selbst ist im sechsten Monat schwanger, verheiratet mit einem Mann. Ihre Freundin Nathalie hat ihre Ehe aufgegeben, hat aber auch zwei Kinder und einst mit einer schweren Kindbettdepression gekämpft. Nicht gerade eine Konstellation, der man eine schöne Liebesgeschichte abringt, könnte man meinen, aber diese hier ist sehr berührend. Und so plastisch, dass wir den beiden Frauen folgen und sie begreifen können, in ihren Tiefen, Höhen und Kämpfen um Gefühle, von denen sie mitunter hoffen, dass sie von alleine wieder weggehen, «wie eine Krankheit». Nathalie und Vera scheinen zeitweise die Liebenden aus Ingeborg Bachmanns Hörspiel «Der gute Gott von Manhattan» zu werden: Eingeschlossen im Hotelzimmer eines New Yorker Hochhauses, wo sie sich auf einer vorgeschobenen Geschäftsreise absondern, als gebe es kein Morgen. Schadlos spazieren sie auf dem Ground Zero ihrer wolkenlosen Liebe, die eingestürzten Zwillingstürme praktisch in sich selbst angelegt und doch noch unsichtbar in ihrem Liebeswahn. Und wie die Protagonisten bei Bachmann werden sie an der harten Wirklichkeit des Draussen scheitern, der Gesellschaft, die sie erwartet als produktive Mitglieder, die funktionieren sollen, statt sich in ihrem gefühlsbeduselten Tunnelblick zu verlieren. Scheitern die beiden Frauen an den Konstellationen, Zwängen und Bequemlichkeiten, welche das konventionelle Dasein, die gesellschaftlich akzeptierte Liebe bereithält? Oder nicht?

Zwänge, Zerbrechlichkeiten

Und dann sind da ja nicht nur die Gefühle für den einen oder die eine, welche eine Liebe prägen, sondern auch die freundschaftlichen, geschwisterlichen, mütterlichen. Schamgefühle, Schuldgefühle, die Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit. Das Familienglück mit seinen Verpflichtungen und auch mit seinen seltsamen Einsamkeiten. Das Glück, unterstützt zu werden. Und die Not, die daraus erwächst, es nie ganz alleine zu schaffen. All diese Zwänge und Zerbrechlichkeiten zeichnet Rohner mit beeindruckender Empathie nach. Die Probleme seiner Protagonisten wagen wir dabei nicht ganz als «Midlife Crisis» abzutun, dafür scheinen sie zu dringlich und ernst.

Aber doch gehen sie alle auf diesen einen Gipfel zu, auf dem es kein Weiterkommen mehr zu geben scheint, kein Umdrehen. Und die Angst davor stürzt sie in noch mehr Bedrängnis. Die Frage, ob es denn nicht ohnehin nur diesen einen Moment gibt, um zu flüchten. Um neu anzufangen. Oder ob wir ihn bereits verpasst haben.

Info: Werner Rohner, «Was möglich ist», Lenos Verlag, 32 Franken. Buchvernissage am 14. September im «Kaufleuten» in Zürich.

Stichwörter: Werner Rohner, Literatur, Roman

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