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Literatur

Stadt-Cowboy und Wohlstands-Küken

Die Bieler Autorin Regina Dürig erzählt in ihrem preisgekrönten Jugendroman «2 ½ Gespenster» von Heimatsuche und Aufbruch der Gefühle. Und das mit ebensoviel Lässigkeit wie Zartgefühl.

Der winterliche Hamburger Hafen bildet die Kulisse für den Jugendroman über Fremdheit und Sehnsucht. Bild: keystone

von Alice Henkes

Er hat halblange Haare, trägt rote Cowboystiefel und er sieht ziemlich gut aus. Er könnte Model sein, mutmasst Jonna, die mit ihren Eltern in einem Café im Hamburger Schanzenviertel sitzt. Am Nebentisch sitzt der Typ mit den roten Cowboystiefeln, der sich ziemlich merkwürdig verhält. Erst isst er drei Stück Mohn-Zitronen-Sahnetorte, und als es ans Zahlen geht sagt er nur, er habe kein Geld dabei. Auf dem Konto hat er angeblich auch nichts. Die Bedienung ist ratlos. Jonnas Mutter fassungslos. Jonnas Vater Dominik indes zückt einfach das Portemonnaie und zahlt die Zeche für den jungen Grossstadt-Cowboy.

Western-Schema

Ein Fremder kommt in die Stadt und sorgt für allerlei Irrungen und Wirrungen. Wenn er wieder verschwindet, hat er möglicherweise das ein oder andere Herz gebrochen aber auch einige wichtige Fragen aufgeworfen oder sogar lange schwelende Probleme gelöst. Regina Dürig spielt in ihrem neuen Jugendroman «2 ½ Gespenster» mit einem beliebten Western-Motiv, das sie auf heimelige norddeutsche Kleinfamilienverhältnisse runterbricht. Nur die roten Stiefel des jungen Mannes künden davon, woher er eigentlich kommt.

Ideengeschichtlich gesehen lässt er sich gut einordnen. Die Biografie des Zechprellers, der sich übrigens Leo nennt, bleibt indes weitgehend im Dunkeln. Auch wenn er schon sehr bald nach eindrucksvollen ersten Auftritt im Café wieder in Jonnas Leben auftaucht. Leo zeigt sich dankbar für die Grosszügigkeit Dominiks und jobbt in dessen kleiner Druckerei. Bei der Arbeit, aber auch bei Ausflügen an den Hafen und nach Travemünde, kommt er mit Jonna ins Gespräch. Er flirtet mit ihr. Er weist sie zurück. Er gibt Jonna so manches Rätsel auf.

Die allertraurigste Geschichte

Eines abends dann erzählt Leo Jonna «eine der traurigsten echten Geschichten, die ich je gehört habe». Es ist eine Geschichte von Verlassenheit und Sehnsucht. Von einer Mutter, die lange unglücklich war und sich nach den Kirschbäumen ihres Heimatdorfes zurückgesehnt hat. Und von einem Jungen, der sehr bald ahnte, dass der grosse Traum seiner Mutter nicht sein Traum war.

Doch diese allertraurigste Geschichte bleibt unvollständig. Wie ein nicht ganz fertig gestrickter Pulli, an dem hier und da noch ein paar Fäden heraushängen und der sich, je länger und gründlicher man ihn betrachtet, immer weiter aufribbelt. Und am Ende bleiben nur ein paar grosse Fragen.

Regina Dürig, die am Literaturinstitut in Biel studiert hat und als Assistentin dort arbeitet, wurde für ihren zweiten Jugendroman «2 ½ Gespenster» mit dem Peter Härtling Preis ausgezeichnet. Zu recht. Sie erzählt die Geschichte um Zugehörigkeit und Sehnsucht mit wunderbarer Leichtigkeit und Zartheit. Sachte tastet die Erzählstimme sich an Fragen nach Heimat und Verlorenheit heran. Es ist eine Sprache des Vermutens und Empfindens, die verspielt und doch klar wirkt. Und der man die jugendliche Ich-Erzählerin Jonna jeden Moment glaubt.

Romantisch und abgeklärt

Manchmal schwingt diese Jonna sich zu einer furchtbar grosssprecherischen Abgeklärtheit auf. Zum Beispiel, wenn sie die Ehezwistigkeiten ihrer Eltern als «lustig» bezeichnet. Sie ist noch märchengläubig genug, um sich abenteuerliche Theorien über Leo zurechtzulegen und dabei schon so realistisch, dass sie die eigenen Träume immer wieder fein säuberlich demontiert. Dann wieder spürt man hinter jedem Halbsatz das grosse Staunen, mit dem dieses behütete Kind den geheimnisvollen Leo mit den roten Cowboystiefeln und der fremdartigen Familiengeschichte beobachtet.

Denn auch wenn ihre Eltern sich gelegentlich so sehr streiten, dass Vater Dominik es anschliessend vorzieht, in der Druckerei zu übernachten, so lebt Jonna doch in einer Idylle, die Dürig mit wenigen sicheren Strichen im alternativen Milieu ansiedelt. Man kennt sich in der Nachbarschaft, man duzt sich. Die Bedienung im Café das ist die Liliane. Alles locker. Mutter Ines ist manchmal ein bisschen pingelig und besserwisserisch. Dafür ist der Papa ein echter Kumpel, wie ihn jeder und jede auch gern hätte.

Kann Jonna, die in der Geborgenheit ihres Elternhauses verwurzelt ist, einen Cowboy wie Leo überhaupt verstehen? Der sich in Pose wirft, nur um sich im nächsten Moment wieder zu entziehen? Einen, dessen Welt aus den Fugen geraten ist und der als Streuner durchs Leben zieht? Oder erzählt er das nur?

Schwieriges Miteinander

Viel erzählt Leo eigentlich nicht. Und das wenige, das er dann doch sagt, würde er gleich danach am liebsten wieder aufschnappen und herunterschlucken. «In deiner Welt gibt es niemanden, der echte Sorgen hat», sagt er zu Jonna. Und man kann sich da als Leserin und Leser durchaus mitgemeint fühlen - auch im Erwachsenenalter. Denn Menschen zu verstehen, deren Erfahrungshintergrund man nicht kennt oder teilt, das ist nie leicht. Ganz ohne Moralpredigerton und Gutmenschengestus gelingt es Regina Dürig eine Geschichte darüber zu erzählen, wie schwierig das Miteinander wirklich ist.

 

Info: Regina Dürig «2 ½ Gespenster», erschienen bei Beltz & Gelberg, 2015. 139 Seiten, ca. 18.90 Franken.

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