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Ausstellung

Trautes Heim

Teppiche, Vorhänge und ein Hundehaus aus Stoff: Die Schau «Stitches Home as Composition» im Bieler Kunstraum «Krone Couronne» zeigt behaglich Unbehagliches.

Dystopische Halluzination: «Niche anthropogénique II» von Jessy Razafimandimby zwingt die Betrachtenden, sich zu bücken – das 
Hundehaus widerspiegelt, was der Mensch mit einem Zuhause verbindet. Bild: zvg

Helen Lagger

Verliert man den roten Faden, rutscht einem ein «verflixt und zugenäht» über die Lippen, weil man sich schon wieder verheddert hat. Wer uns betrügt, tut dies nach Strich und Faden; und wer schlecht diskutiert, hat meist fadenscheinige Argumente.

Die dem Textilen entsprungenen Redewendungen sind zahlreich und stammen aus einer Zeit, als Tuchherren noch wortwörtlich die Fäden in der Hand hatten. Zunehmend wurde aber das Weben, Sticken und Nähen zum Hobby degradiert, das Zuhause von Frauen ausgeübt wurde, die bekanntlich aus dem Nähkästchen plauderten.

 

Subversiv Gesticktes

Künstlerinnen, die das Textile nutzten, wie etwa Sonia Delaunay (1885-1979), hatten einen schweren Stand und wurden oft unterschätzt. Mit dem feministischen Aufschwung in den Sechzigerjahren wurde das Gewobene, Genähte oder Gestickte bewusst und subversiv eingesetzt.

Camille Regli, Kuratorin und Co-Leiterin des Kunstraumes «Krone Couronne», hat sich mit dem von Gabrielle Boder und Tadeo Kohan 2017 gegründeten Kollektiv «Détente», dem sie sich 2020 anschloss, im Rahmen des Rechercheprojektes «Stitches – eine Untersuchung der Verwendung von Textilien in der zeitgenössischen Kunst» unterschiedlichen Fragen gestellt. Warum plötzlich diese Renaissance des Textilen? Haben die heutigen Kunstschaffenden dieselben Anliegen wie ihre Vorgängerinnen? Eine erste Ausstellung fand in Genf statt, der zweite Teil mit dem Titel «Home as composition» ist nun in Biel zu sehen.

 

Politische Handarbeit

Das Buch «The Subversive Stitch – Embroidery and the Making of the Feminine» der britischen Psychotherapeutin und Kunsthistorikerin Rozsika Parker (1945-2010) war ein Schlüsselwerk für das Kollektiv. «Das Buch erzählt die Geschichte des Textilen und den Moment, als das Handarbeiten politisch wurde», so Camille Regli. Eindeutige Antworten, warum heutige Künstlerinnen sich wieder vermehrt mit dem Textilen auseinandersetzen, habe sie bisher nicht gefunden.

Nebst zeitgenössischen Positionen gibt es in der «Krone Couronne» auch Werke zweier bereits verstorbener Künstlerinnen zu entdecken. Das Kollektiv hat aus der Sammlung der Stadt Biel Arbeiten von Lissy Funk (1909-2005) und Elsi Giauque (1900-1989) aus dem Depot geholt. Giauque war eine in Prêles heimatberechtigte Textilkünstlerin und Schülerin von Sophie Taeuber-Arp (1889-1943), deren «angewandten Werke» (Bauskulptur, Teppiche und Ausstattung) ihr erst postum Ruhm einbrachten.

Von Giauque ist in der «Krone Couronne» die grosse Arbeit «Farbiger Saitenklang» von 1976 zu entdecken. Farbige aufgezogene Fäden ergeben einen Paravent, der den Raum strukturiert, aber in seiner Durchlässigkeit auch Blicke auf andere Werke gewährt. «Giauque hat das Medium emanzipiert, etwas Dreidimensionales geschaffen», so Regli. Von Lissy Funk stammt eine Arbeit, die sie kurz vor ihrem Tod geschaffen hat. «Das goldene Tor» (2004) ist ein Wandteppich, auf dem man einen Eingang – ob zu einer höheren Erkenntnis oder in ein Paradies, bleibt im Kopf der Betrachtenden – erkennen kann.

 

Kaminfeuer oder Brand?

Nebst diesen historischen Arbeiten einer älteren Generation gibt es zahlreiche Positionen von jüngeren Künstlern, die sich mit dem Thema «dekorative Einrichtung» auseinandergesetzt haben. Der 1995 in Madagaskar geborene und in Genf lebende Jessy Razafimandimby präsentiert mit «Niche anthropogénique II (floor)» von 2001 ein Hundehaus aus Spitzenstoff. Der Künstler setzt sich schon länger mit dem Häuslichen, mit bürgerlichem Geschmack und Dekoration auseinander. Er benutzt für seine barocken Arbeiten die unterschiedlichsten Medien wie Zeichnung, Installation oder Performance und schöpft dabei aus der Popkultur, dem französischen Kino oder aus Modemagazinen.

Als «dystopische oder utopischen Halluzinationen», sind seine Arbeiten zu verstehen. Das Hundehaus zwingt die Betrachterinnen, sich zu bücken. Im Haus befindet sich eine Zeichnung an der Wand. Das Zuhause des Hundes widerspiegelt hier das, was der Mensch damit verbindet.

Auch andere Positionen kreisen um das Thema Repräsentation, darum, wie wir unser Haus dekorieren, um kulturelle, soziale oder familiäre Geschichten zu erzählen. Die 1976 geborene Claire Kenny ist in Manchester in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen. Für ihre Kunst benutzt sie Materialien wie Gips, den sie allerdings mit Gold veredelt und ihm so einen höheren Status verleiht. Ihr Werk «Peeping Tom, 2017-2022» besteht aus einem drapierten Vorhang, der scheinbar von zwei Händen zusammengehalten beziehungsweise auseinandergezogen wird. Der Stoff hat keine eigentliche Funktion, da er an der Wand hängt und so weder ein Fenster schliesst noch einen Raum strukturiert. Vielmehr hat das Werk etwas Geisterhaftes. Jemand – man ahnt durch die Hände und die Drapierung eine Figur – scheint in die häusliche Sphäre eindringen zu wollen.

Behaglich unbehaglich ist auch die Arbeit «Fireplacish» (2021) von der 1985 in Genf geborenen Künstlerin Camille Farrah Buhler. Gleich beim Eingang liegt ein runder Baumwollteppich, auf dem «Home sweet» geschrieben steht. Aus einer Soundbox erklingt das Geräusch eines knisternden Feuers. Ein gemütlicher Moment zum Geschichtenerzählen oder eine gefährliche Situation, die zum Anrufen der Feuerwehr aufruft?

Info: Bis 26. Februar, Krone 
Couronne, Obergasse 1, Biel. 
Finissage am letzten Tag mit
 öffentlichen Führungen um 14 und 17 Uhr (französisch).

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