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Ausstellung

Und immer halten sie uns den Spiegel vor

Die Gewölbegalerie zeigt derzeit die erste Retrospektive von Marcus Egli seit dessen Tod. Die massenhaften Ansammlungen seiner Figuren wirken beklemmend – doch es gibt witzige Kontrapunkte.

Eine Szene aus der Retrospektive. copyright: barbara héritier/bieler tagblatt

Tobias Graden

Das Anfertigen ist ihm ganz leicht von der Hand gegangen. Ein Film in der Ecke der Gewölbegalerie zeigt es. Schlafwandlerischer sicher bedient er seine Maschinen, jeder Handgriff sitzt, ist tausendfach eingeübt, die Bewegungen fliessen. Marcus Egli trennt das Aluminium in gleich grosse Blöcke. Er zeichnet die Linien für Füsse, Arme und den Kopf. Schneidet das überflüssige Material weg. Spannt den Rohling ein, biegt mit einer Zange den Kopf leicht nach hinten. Bearbeitet mit der Flamme die Oberfläche der Figur. Am Schluss poliert er die Stelle, wo das Gesicht wäre, spiegelglatt. Fertig. Die Figur wirft er in die Kiste zur Zwischenlagerung, so beiläufig wie ein Arbeiter in der Fischfabrik das ausgeweidete Tier weiterreicht.
Aberhunderte dieser Figuren hat Marcus Egli geschaffen, abertausende wohl gar. «Hominium» hat er seine Schöpfung genannt, ein Menschlein, weder Mann noch Frau, jedes gleich und jedes anders – die Flamme hat allen eine unterschiedliche Prägung gegeben, es ist wie bei den Fingerabdrücken.

Er sah sich als Schlosser
Und nun stehen, liegen, hangen sie da, diese Figuren, nur ganz wenige einzeln, sondern meist in Gruppen, in massenhaften Ansammlungen bisweilen. Sie liegen eingegossen in Blumentöpfe, als hätten sie es sich im Whirlpool bequem gemacht, doch sie schauen alle in die selbe Richtung, hin zu einer über ihnen thronenden, grösseren, goldenen Figur. Ist das Religionskritik? Oder steht dieses goldene Kalb für allzuweltlichen Götzendienst? Die Figur in der Vitrine sieht jedenfalls eine stattliche Anzahl Anhänger unter sich, nicht umsonst bedeutet der lateinische Begriff «Hominium» auf Deutsch auch «Gefolgschaft». Zu Dutzenden sitzen sie da in ihren Wannen, aber auch hier: Das ist nur ein Bruchteil der Menge, die der Künstler tatsächlich geschaffen hat.  
Wobei, Moment: Als Künstler hätte sich Egli selber nicht bezeichnet. Er redete von sich als «métallier», als Schlosser also, als Metallarbeiter. Dabei hat der gelernte Feinmechaniker und später selbstständige Aluminiumteile-Hersteller auch grosse, viel beachtete Kunstwerke geschaffen, beispielsweise das Relief «Opale Silhouette» für das Neuenburger Kantonsparlament. Die Liste seiner Ausstellungen und Messeteilnahmen führt Orte wie Bologna, New York, London, Paris oder Miami auf. Doch stets führte er neben seiner künstlerischen auch die ganz profane Arbeit weiter, fertigte Beschläge für Architekten, das war ihm wichtig.

Heitere Anfänge
Zurück in die Gewölbegalerie. Hier sind in «Cellophane» die Figuren festgezurrt. Jede einzeln in ihrem Rahmen, als ganzes jedoch auch wieder massenhaft. Bilder aus dystopischen Science-Fiction-Filmen kommen einem in den Sinn. In «Elevage intensif» dagegen wird Hominium herangezüchtet: Es sind sozusagen Menschenbäume für die Zucht, sie sind reif für die Ernte.
Die Anfänge von Eglis künstlerischem Schaffen dagegen sind heiter. Eine Skulptur zeigt verspielt mythische Szenen und Orte der Schweiz: Rütlischwur, Apfelschuss, Matterhorn – lustig-niedlich, es könnte fast als gelungenes Souvenirprodukt durchgehen. Noch sind die Figuren als Mann und Frau erkennbar, bald aber hatte Egli seinen geschlechtslosen Archetypen gefunden, der fortan sein ganzes Werk prägen sollte.
Marcus Egli hatte keine leichte Kindheit. Beide Eltern starben früh an Krebs, Egli kam zu einer Tante, diese starb ebenfalls an Krebs, es folgten Internat und Heim, bis er mit 15 bei einer weiteren Tante unterkam. Doch er war kein trauriger, schwerer Mensch, wie Martin Jegge betont, der ihn gut kannte: «Man konnte es mit ihm bis weit in die Nacht lustig haben – und ebenso tiefe Gespräche führen.» Die erbliche Vorbelastung aber blieb: 2016 starb auch Egli, nicht ganz 60-jährig, an Krebs.

Zurückhaltende Zärtlichkeit
Die gegenwärtige Ausstellung in der Gewölbegalerie ist nun die erste Retrospektive seit seinem Tod. Um die vier Tonnen Material hat Jegge an der früheren Wirkungsstätte im Neuenburger Jura abgeholt, wo Eglis Frau Rita heute noch lebt. Und er hat die Ausstellung so kuratiert, dass sie einen breiten Überblick vermittelt, ohne dass die einzelnen Teile respektive Ensembles an Kraft verlieren. Zusätzliche «Interventionen konnte er an drei weiteren Orten in der Stadt platzieren. In der Berner Kantonalbank beispielsweise findet sich die Installation «Billets Giacometti»: Auf jedem der gestapelten «Goldbarren» (sie sind natürlich nicht aus echtem Gold) ist die Hunderternote mit dem Konterfei des berühmten Bildhauers aufgedruckt – ein augenzwinkernder Kommentar zu unserem Verhältnis zum Geld und zur Erschaffung von Stars, war doch Giacometti selber lange mittellos.
Jegge deutet Eglis Schaffen ohnehin nicht so düster. Wenn in «Pupitre» die Figuren in einem Gestell lagern wie Champagnerflaschen, die ihre tägliche Vierteldrehung für die Reifung benötigen, dann betont der Galerist die für das Leben notwendige Bewegung, die bei den Menschen aber von innen her komme. Oder er sagt, dass eine Gesellschaft eine Herausforderung als Ganzes zu meistern habe, dass auf Schwächere Rücksicht zu nehmen sei:«Gegenüber seinen Geschöpfen – manche verloren und entfremdet – hegte Marcus zurückhaltende Zärtlichkeit», schreibt Jegge im Begleittext. Zu tragen haben sie allerdings bisweilen schwer, Eglis Menschlein, oder sie haben sich grossen Gewichten entgegenzustemmen. Manchmal sind sie schubladisiert, zurechtgeschnitten oder in gestapelten Gitterkästen gelagert wie zum Trocknen aufgehängter Fisch.
Hinzu kommt: Wer sie von Nahem betrachtet, dem fällt die Distanzierung umso schwerer. Die Figuren sind nämlich nicht gesichtslos – in der polierten Fläche ihrer Köpfe spiegeln wir uns selber.

Da lächelt eine Amöbe
Doch es gibt sie, die leichten, witzigen Kontrapunkte. Egli hat auch Kinderzeichnungen zu Skulpturen verarbeitet, und so lächelt plötzlich eine Sonne (oder ist das eine gutgelaunte Amöbe?) mit Armen und Beinen von der Wand oder es fährt eine kleine Familie in einem windschiefen Auto vorbei. Und im Schaufenster seines Verkaufsladens hat Jegge selber eingegriffen und ein Werk umgestaltet. Hier schweben die Käfige mit ihren Figuren darin, eine ist gar aus dem Käfig befreit, sie fliegt davon. Und so ist der letzte Eindruck in dieser Schau einer der Leichtigkeit.
Info:Gewölbegalerie, Biel, bis 21. Januar.

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