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Rap

Unterwegs mit zwei Bieler Psychonauten

Mit Buds Penseur und Nativ haben sich zwei der umtriebigsten Rapper der Schweiz zusammengetan. Unter dem Namen Psycho’n’Odds zelebrieren sie ihre Vielseitigkeit und ihren Hang zur Melodie.

Buds Penseur (links) und Nativ aka Psycho’n’Odds: In Zeiten, in denen alle von Konzepten sprechen, legen die beiden einfach los und haben Spass. zvg/Jojo Schulmeister

Adrian Schräder
Heutzutage kann einen das Gefühl beschleichen, Hip-Hop habe sich in eine Sackgasse manövriert. Seit ein paar Jahren regiert die Spielart des Trap das Geschehen: die Stimmen werden unnatürlich verfremdet, die Tempi gedrosselt, die Bässe so tief wie möglich gelegt, nervöses Zischeln addiert. Und wo sich einst stolze Zeremonienmeister mit Eloquenz überboten, hört man vielfach nur noch hyperkurze Phrasen. Manchem Trap-Star reicht ein mehr oder weniger originell betontes Wort, um einen Song zu gestalten. Im Zeitalter von Instagram Stories und Tiktok-Choreografien wird der Mainstream von kurz aufflackernden Phänomenen beherrscht.
Gleichzeitig gibt es Künstler, die den Rap der 90er-Jahre wieder aufleben lassen und mit typischen Kopfnickerbeats von um die 90 Schläge pro Minute jene Rauheit und Wucht zelebrieren, die Künstler wie Nas oder Jay-Z einst grossgemacht haben. Nur wenige werfen alles in die Waagschale, lassen Musikalität und Spontanität, weiterführende Gedanken wie auch plötzliche Einfälle, alte wie neue Macharten zu.

Impulse für die Schweizer Musikszene
Vorhang auf für Psycho’n’Odds. In Zeiten, in denen alle von Konzepten sprechen, legen sie einfach los: Spass haben war das Motto, das sich der Berner Rapper Nativ und sein Bieler Kollege Buds Penseur bei ihrem bilingualen Projekt gesetzt hatten. Spass haben und alles zulassen. Das heute erscheinende Album «Radiation World», das über die Zeitstrecke von sieben Monaten entstand, ist eindrückliches Zeugnis davon. Ihre Songs scheren sich einen feuchten Betriebsabfall darüber, welchem Hip-Hop-Subgenre sie jetzt zugeordnet werden können. Unter der Ägide des Berner Produzenten Questbeatz sind jetztzeitige Stücke entstanden, die freigeistig in alle möglichen Richtungen ziehen.
Eine originelle Form zu finden, wie man die vielseitigen Möglichkeiten, die Hip-Hop heute bietet, für seine Zwecke vom Rap-Firmament pflückt, scheint den meisten Künstlern sehr schwer zu fallen. Thierry Gnahoré, 26, aufgewachsen in Niederscherli in der Gemeinde Köniz, Teil der Berner Szene, heute wohnhaft in Biel, kann schlicht und einfach nicht anders. Seit gut fünf Jahren gibt er der Schweizer Musikszene im Abstand von wenigen Monaten immer neue Impulse: Der Mann mit Wurzeln an der Elfenbeinküste ist die zentrale Figur der Emanzipation des Mundartrap in den letzten Jahren.
Unter dem Namen S.O.S. (Saviours of Soul) schüttelte er im Duo mit Rapper Dawill erst die Berner Szene, dann die Schweizer Szene und dann alle, die irgendeinen Bezug zu innovativer Musik haben, durch. Nach den beiden gleichzeitig veröffentlichten Alben «Akim» und «Imani» im Sommer 2017, schwenkten beide auf verschiedene Soloprojekte um. Während Dawill letztes Jahr auf dem Album «Moringa» mit Körperlichkeit und Rhythmik experimentierte, begann Nativ nach und nach eine ganze Auslegeordnung an kreativen Ausdrucksformen vorzunehmen.

Schlaflos an der Murtenstrasse
Der eindrücklichste Song seiner Solophase: «Parisienne Vert», ein Protokoll einer schlaflosen Nacht vom Balkon seiner Wohnung an der Murtenstrasse in Biel. Eine Zigarette zwischen den Lippen, die Musik von Bassist Bootsy Collins auf dem Ohr, melancholische Gedanken im Kopf, für ein paar Momente ganz bei sich.
Für Psycho’n’Odds (lies: Psychonauts) hat er diese Gedanken nun mit Nathan Veraguth alias Buds Penseur gepaart. Ihn kennt die Hip-Hop-Welt seit Jahren als Mitglied des Duos La Base. Der 29-jährige Urbieler brasilianischer Abstammung – Bruder von Pegasus-Sänger Noah Veraguth – hat sich mit Rap von einer gewissen Rauheit und einem deutlichen Neunziger-Jahre-Einschlag weit über die Landesgrenzen einen Namen gemacht. Er rappt und singt auf Französisch – und hat sich von seinem Mitstreiter in andere Gefilde entführen lassen. Seine melodiösen Refrains sind neben der Virtuosität und Vielseitigkeit von Produzent Questbeatz – Nativ produzierte etwa die Hälfte der Stücke mit – die eigentliche Entdeckung des Albums.
«An ihm ist bislang ein kleiner R&B-Gott verloren gegangen», sagt Gnahoré scherzhaft über seinen Kumpanen und ergänzt: «Ich habe nur ein bisschen kitzeln müssen.» Am besten gefällt ihm dessen Performance im Stück «Secteur»: «Da hört man die typischen Attribute seines Rapstils auf eine neue Art.»
Kennengelernt haben die beiden sich schon vor Jahren. «Das mit der Zusammenarbeit wurde aber erst zum Thema, als ich zu meiner Mutter nach Biel gezogen bin», erzählt Gnahoré über die Entstehung des Duos. Der erste Song entstand Ende 2018 bei einem Trip nach Paris, das erste Video ebenfalls. Die Flows ergänzten sich, die Harmonie stimmte. «Ich schätze an ihm in erster Linie seine Persönlichkeit», sagt Gnahoré über seinen neuen Mitstreiter. «Er ist ein Mensch mit Visionen. Jemand, der Träume hat und diese eiskalt verfolgt. Sein Hunger ist ansteckend.»

Überzeugende musikalische Vernetzungsarbeit
Entstanden sind in der Folge rund 50 Songs. 16 davon schafften es aufs Album. Ein Song für die Diaspora und für das Künstlerdasein, zwei, drei Songs im Zeichen der Zungenfertigkeit und des guten Gefühls, ein paar im Zeichen der Beklemmung und der inneren Rastlosigkeit. Am Stärksten ist jener, der die internationalen Einflüsse hervorstreicht: «Diaspora» mischt brasilianischen Baile Funk mit Trap und einem Rhythmus, der an gleichmässiges Wasserstampfen erinnert, mischt Positivismus, Französisch, Berner Mundart und Portugiesisch – und steht für Vereinigung über Landesgrenzen hinweg.
«Ich habe Wurzeln an der Elfenbeinküste, er in Brasilien. In diesem Stück wollten wir unsere Herkunft einbringen und uns irgendwo in der Mitte treffen.» Es ist eine überzeugende musikalische Vernetzungsarbeit, geboren im Spass und in der Experimentierfreude. Ihr simples Motto hat sie weit getragen.




 

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