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Bieler Filmpodium

Verloren in der Weite des Nichts

Das Bieler Filmpodium blickt dorthin, wo es mitunter heftig schmerzt. Der neue Zyklus, der morgen startet, erzählt Familiengeschichten. Eine davon ist «A White, White Day» aus Island.

Nach dem Tod seiner Frau macht Ingimundor eine Entdeckung, die ihn zu zerstören droht. zvg

von Raphael Amstutz

Plötzlich ist da ein Grab in der Nacht. Es ist leer, doch Ingimundur (Ingvar Sigurdsson) weiss, wer darin liegen sollte. Denn er hat das Loch ausgehoben.

Vor einiger Zeit hat der Polizist seine Frau bei einem Autounfall verloren;als er im Karton mit ihren Sachen wühlt, keimt ein Verdacht auf, der ihn nach und nach vergiftet:Seine Gattin hat ihn betrogen.

Ingimundur lebt irgendwo in Island. Es ist ein kleines, unspektakuläres Leben inmitten einer grossen, spektakulären Landschaft, die sich nicht um die Menschen kümmert. Seit seine Frau nicht mehr da ist, vegetiert der Mann mehr, als dass er lebt. Sein einziger Antrieb scheint seine Enkeltochter Salka (Ída Mekkín Hlynsdóttir) zu sein, mit der er viel Zeit verbringt. Doch als er, besessen und befeuert vom Gedanken an einen Treuebruch, mit seinen Nachforschungen beginnt, ist das kleine Mädchen die erste, die darunter leidet.

«A White, White Day» (im Original «Hvítur, Hvítur Dagur») ist formal ein grossartiges Werk – die Leere, in der sich die Menschen zu verlieren scheinen, das unerbittliche Wetter, das das Land fest im Griff hat, die Unmöglichkeit, miteinander zu reden. Der eigenwillige, ungewohnt langsame Film findet Bilder und evoziert Stimmungen, die lange im Gedächtnis nachglühen.

Auf der inhaltlichen Ebene verfügt er allerdings nicht über dieselbe Brillanz und Eigenständigkeit. Die Geschichte wirkt etwas aufgeblasen und ist aus den bekannten Versatzstücken zusammengebaut:der Übereifer, die Gewalt, die Sinnlosigkeit.

Was tut Familie mit uns? Alles, ist man versucht zu sagen. Und weil man selber oft hadert und ringt mit seinen Nächsten, tut es ab und an ganz gut, den Blick zu weiten und zu schauen:Wie machen das eigentlich die anderen? Eine schön kuratierte Möglichkeit bietet sich ab morgen im Bieler Filmpodium. Der neue Zyklus heisst schlicht «Family Affairs», im Untertitel sinnig «Patchwork, Parasiten und Patriarchen». Und so wird im nächsten Monat gestritten und gelacht, geliebt und gestorben, es kommt zu Tränen und Trennungen. Familienkonzepte werden aus ihren Angeln gehoben und neu justiert, das grosse Glück wird gefunden. Manchmal gibt es auch keine Lösung und am Schluss bleibt nichts als Asche.

Wie sagte der US-Schauspieler Jack Nicholson doch einmal in einem Interview: «Die ganze Familienideologie ist ein sehr regressives Konzept. Die grossen Werke der Weltliteratur handeln nicht von Familienglück, sondern von Familienhorror.»

Info: Der Film ist ab dem 27. Dezember viermal im Filmpodium zu sehen.

Die Filme aus der Schweiz
Das einheimische Filmschaffen istim Familienzyklus mit drei Werkenvertreten.
«Where We Belong» (fünfmalzwischen dem 8. und 22. Dezember): Jacqueline Zünd zeigt, wie Kinder auf die Trennung ihrer Eltern reagieren: verletzt, mutig und überraschend humorvoll.
«Wir Eltern» (dreimal zwischendem 8. und 16. Dezember): Was tun, wenn die Kinder renitent sind? Eric Bergkraut und Ruth Schweikert zeigen den ganz normalen Familienalltag. Am Montag, 16. Dezember, ist Schweikert um 18 Uhr zu Gast in Biel.
«Madame» (fünfmal zwischen dem 26. Dezember und dem 14. Januar 2020): Schwulenaktivist Stéphane Riethauser porträtiert seine Grossmutter – und dabei gleichzeitig auch sich. Er hinterfragt den Männlichkeitswahn und Geschlechterklischees. Der Film war als Vorpremiere im September bereits am Festival du Film Français d’Helvétie zu sehen.
Darüber hinaus wird, wie es am26. Dezember Tradition ist, «Drei Haselnüsse für Aschenbrödel» gezeigt.
Und am 2. Januar steht als Kindervorstellung «Aïlo:une odyssée en Laponie» auf dem Programm, der die abenteuerliche Reise eines Rentiersin Lappland zeigt.

Das ganze Programm
«Shoplifters»
Der Auftaktsfilm (Start morgen Freitag um 20.30 Uhr und anschliessend noch drei weitere Male) zeigt den Alltag einer Patchworkfamilie in Japan.
«Boy Erased»
Ein schwuler Junge wird therapiert – und dabei fast zerstört.
«The Invisible Life of Eurídice ...»
Zwei Schwester verlieren sich.
«Marriage Story»
Das Werden und Vergehen einer Ehe.
«Parasite»
Eine mitunter blutige Parabel über soziale Ungleichheit.
«Dolor y gloria»
Ein gealterter Regisseur blickt zurück.
«A White, White Day»
«Mon chien stupide»
Eine Midlife-Crisis und ein Hund verändern eine Ehe und eine Familie. (Silvestervorstellung)
«Midnight Family»
Lebensretter in Mexiko-Stadt.
«A Tale of Three Sisters»
Verknöcherte Strukturen in Anatolien.
«Die Deutschstunde»
Neuverfilmung des Romans von Siegfried Lenz.
«Ray & Liz»
Dysfunktionale Familie in England.

Info: Die Daten und Spielzeitensowie mehr zu den Filmen unter www.filmpodiumbiel.ch

Stichwörter: Bieler Filmpodium

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