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Konzert

Verstärkt in den musikalischen Norden

Gastdirigent Joonas Pitkänen hat im sechsten Sinfoniekonzert von Theater Orchester Biel Solothurn zwei Highlights aus Skandinavien präsentiert. Und einen fabelhaften Solisten aus Andalusien.

Joonas Pitkänen ist nicht nur Cellist, sondern auch Dirigent – als solcher kommt er bisweilen gar ohne Partitur aus. Bild: Raphael Schäfer

Annelise Alder

Merklich mehr Musikerinnen und Musiker als sonst nahmen am Mittwoch auf der Bühne im Grossen Saal des Kongresshauses Platz. Gastdirigent Joonas Pitkänen war für das Programm des sechsten Sinfoniekonzerts nämlich auf Verstärkung angewiesen. Er holte sie beim Basel Festival Orchester, einem Ensemble, das bis vor ein paar Jahren projektweise in Erscheinung trat, heute aber nicht mehr aktiv ist. Seine Mitglieder präsentierten zusammen mit dem Sinfonieorchester Biel Solothurn drei gewichtige Kompositionen für grosses Sinfonieorchester aus dem vergangenen Jahrhundert.

 

Ankunft und Abschied mit Trommeln und Trompeten

Dem Programmtitel «Musikalische Tektonik» wurde vor allem das erste Werk des Abends gerecht. In der «Sinfonie RA» des Twanner Komponisten Alfred Schweizer bereiten Trommel und Pauke – ähnlich wie im «Bolero» von Ravel – den Boden für weitere musikalische Schichten, die sich zuerst punktuell, dann immer flächiger darüberlegen. So entsteht ein immer dichter werdendes klangliches Kontinuum, das nur an wenigen Stellen unterbrochen wird, unter anderem von orgelähnlichen Klängen eines Synthesizers.

Stilistische Anlehnungen an die amerikanische Minimal Music sind im 2001 an den Dresdner Musikfestspielen uraufgeführten Werk nicht zu überhören. Den Komponisten fasziniert dieser charakteristische Musikstil seit seinem Aufkommen in den 60er-Jahren (das BT berichtete). Die kreisenden musikalischen Motive der Sinfonie in Streicher und Bläser stehen für «rotierende Schichten aus Licht», wie der Komponist kürzlich im Gespräch mit einer lokalen Gratiszeitung erklärte. Der ägyptische Sonnengott Ra, auf den sich der Werktitel bezieht, verabschiedet sich am Schluss ähnlich, wie er sich einführte: mit leisen Trommelwirbeln, aber auch mit Fanfarenstössen.

 

Cellist, Kammermusiker, auch überzeugender Dirigent

Joonas Pitkänen ist dem Bieler Konzertpublikum bestens bekannt. In erster Linie als Cellist im Sinfonieorchester Biel Solothurn und als hervorragender Kammermusiker, wie im vergangenen Konzert von Theater Orchester Biel Solothurn (Tobs) mit der Pianistin Claire Huangci zu erleben war. Im coronabedingt eiligst umgestellten Konzertprogramm brillierte er zusammen mit weiteren Orchestermitgliedern und der Pianistin Claire Huangci im Klavierquintett von Antonín Dvořák.

Der finnische Musiker ist eine Doppelbegabung, nämlich nicht nur Cellist, sondern auch ausgebildeter Dirigent. Er leitet das Akademische Orchester Freiburg sowie seit letztem Jahr als Chefdirigent das Stadtorchester Zug. Im Klarinettenkonzert von Carl Nielsen erwies er sich zusammen mit dem verstärkten Sinfonieorchester Biel Solothurn als höchst einfühlsamer Partner des Solisten des Abends, dem Klarinettisten Pablo Barragán.

Die Klarinette sei der menschlichen Stimme ähnlich, sagte Mozart. Entsprechend variantenreich sind ihre Möglichkeiten, wie der spanische Musiker vorführte. Dazu wählte er das passende Werk: Das Klarinettenkonzert des Dänen Carl Nielsen, eine Musik also, die zwar harmlos tänzelnd beginnt, danach aber alle Facetten des musikalischen Ausdrucks auslotet. Ob keck, elegisch oder frech vorpreschend: Der spanische Musiker ist ein vielseitiger und hinreissend charmanter Kommunikator, sowohl mit, als auch auf seiner Klarinette: Nur selten erlebt man ein so klar herausgearbeitetes Zwiegespräch zwischen hohen und tiefen Tönen auf ein und demselben Instrument. Bei aller stupender Virtuosität: Am meisten beeindruckte, wie er die Töne scheinbar aus dem Nichts hervorzauberte und sie wieder in die Weite des Saals verschwinden lassen konnte. Für den Applaus bedankte sich der Solist mit einer Zugabe aus seiner andalusischen Heimat, einem vom spanischen Flamenco inspirierten musikalischen Kleinod von Paco de Lucía.

 

Zwei Komponisten finden ihren eigenen Weg

Wie Carl Nielsen, so ging auch Jean Sibelius zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts seinen eigenen musikalischen Weg, unabhängig von dem, den Arnold Schönberg vorgegeben hatte. Leicht fiel ihm dieser nicht, wie sein Ringen um die gültige Fassung seiner fünften Sinfonie belegt. Zumal er sich klanglich darin nicht an der finnischen Mythologie und Sprache orientieren konnte, wie er dies in seinen Tondichtungen tat.

Dennoch gelang dem Komponisten ein Werk «wie aus einem Guss». Das machte Joonas Pitkänen vom ersten Takt an deutlich. Auch schien der finnische Dirigent zutiefst vertraut mit dieser Musik. Er dirigierte sie ohne Notenpartitur. Mit weitausholenden Bewegungen riss er seine Kolleginnen und Kollegen im Orchester mit auf dieser eindrücklichen musikalischen Reise in eine ebenso kraftvoll vorwärtsdrängende wie auch geheimnisvoll flirrende Klangwelt, in der die Holzbläser eigentümlich melancholisch, die Blechbläser unheilvoll die dichten Klangflächen der Streicher überlagern. Es ist ein energetisches Auf und Ab mit lichten und dunklen Passagen, bis schroffe, von langen Pausen unterbrochene Akkorde am Schluss dem Ganzen ein eindrückliches Ende setzen.

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