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Lyrik

Vom Rausch des Rauschenden

Markus Waldvogel hat sich in seinem Gedichtband dem Guadalquivir verschrieben – ihm folgte er von der Quelle bis zur Mündung: «Ein schimmernder Text auf dem Rücken des Hechts» ist entstanden.

Da liegt er: Der spanische Guadalquivir entspringt im Gebirgszug der Sierra de Cazorla und mündet am Golf von Cádiz in den Atlantik. Beim Stausee Tranco de Beas (im Bild) zügelt er sein Tempo und ruht für eine Weile aus. Bild: zvg/Markus Waldvogel

Clara Gauthey

Ob wir an Strauss’ schöner blauer Donau stehen oder an Smetanas wilder Moldau – fliessende Gewässer ziehen uns an, in ihrem Strom können wir uns verlieren, können in ihrem Dahinfliessen klein und leicht werden oder uns an ihrem Geheimnis berauschen. Ihr Wasser spiegelt Licht, Wolken oder was da sonst noch sein mag auf einer bewegten Leinwand, glitzert, plätschert, gluckert beruhigend. Und überrascht uns plötzlich mit seiner rauschenden Kraft. Dieser Faszination ist auch der Bieler Markus Waldvogel erlegen, «sein» Fluss ist der spanische Guadalquivir, ein Fluss, über dem er stellenweise F. Scott Fitzgeralds Stimme hören kann: «Klaus Kinski auf einem Dampfer winkt, und schon ist man in Lateinamerika.»

Der Fluss und die Lust: 
Ein bisschen Verliebtheit
Er hat ihn verfolgt, den andalusischen Fluss, von der Quelle bis zur Mündung. Von der Sierra de Segura, vorbei an den Städten mit den klangvollen Namen, Córdoba, Sevilla. Gebadet hat er in ihm. Flamingos, Kormorane, Reisfelder und Olivenhaine schauten ihm dabei zu. Oliven, er hat viel über Oliven gelernt, sagt er, die rostigen Ölpressen fotografiert. Bis dann am Ende der dem Fluss ureigene, modrig-süssliche Geruch in den frischeren Salzgeruch des Atlantiks übergeht. «Der Fluss liegt da, breit, in der Sonne. Du drehst dich um – und dann ist da plötzlich der Atlantik und der Fluss ist nicht mehr.»

Waldvogel hat ihn fotografiert. Und ihn schliesslich in Gedichten festgehalten. Dabei hat sich der promovierte Germanist und ehemalige Deutschlehrer vom Gymnasium Biel-Seeland ein bisschen verliebt, wurde gar zeitweise «erotisiert», ganz ohne es zu wollen. Davon zeugt auch seine Lyrik, die solch amouröse Verbindung mit dem fliessenden Wasser und seinen liebkosenden Strudeln mitunter evoziert und zu der die spanische Übersetzung ein übriges Lustvolles tut: «Deine Quelle / ist eine pornographische Romanze / im Rausch des Rauschenden / Nachts umarmen Liebhaber / Deine Töne ... En las noches los amantes abrazan tus sonidos ...»

Man kann nicht zweimal 
in denselben Fluss steigen
Es ist natürlich eine Liebe, die sich verflüchtigen muss. Der Bewegung hin zum Meer will man folgen – und wird doch nur immer abgeschüttelt, kriegt ihn nicht zu fassen, diesen Fluss, dessen Anfang, dessen Quelle schon ungewiss ist und der sich aus vielen Wassern speist, derer man nicht habhaft wird. Man kann nicht zwei Mal in denselben Fluss steigen, das wusste schon der alte Grieche Heraklit: panta rhei. Aus allem wird eins und aus einem alles.

Aber die menschliche Verbindung zum Wasser ist vielleicht auch deshalb so innig, weil wir selbst vor allem daraus gemacht sind. Wenn auch in der Tendenz abnehmend, altersbedingt. Wir werden weniger, werden trockener. Über den Fluss, dann ist Schluss. Der Vergänglichkeit nachsinnen, das geht auch am spanischen Gewässer: «Wohin treiben meine Gedanken / über Dich Guadalquivir / wenn ich nicht mehr da bin. Wohin trieb es sie / zu Lebzeiten». Die Fliessbewegung hat eine Macht, der man sich ergeben kann. Werden und Vergehen, sonst nichts. Über den Jordan und weg. Oder im Sinne der Verschmelzung: Teil werden von etwas. Sich dem Strom ergeben, auf die Gefahr hin, von ihm verschluckt zu werden. So wie alles von Vernichtung erfasst wird, um den Fluss herum, in ihm: «Ein Falter zittert / eine tote Biene / treibt mit Dir weg».
 
«La verdad es una bailarina» – niemand kann Deine Leben zählen
«Ein schimmernder Text auf dem Rücken des Hechts», so heisst Waldvogels deutsch-spanischer Gedichtband, erschienen im Verlag OSL, mit eigenen Bildern von der mehrwöchigen, teils motorisierten, teils per Schiff durchgeführten Flusswanderung. Wadi al-Kabir nannten die Mauren den Guadalquivir, der «grosse Fluss», 657 Kilometer lang, schiffbar bis Sevilla, einst bis Córdoba. Von Sevilla aus segelten Ferdinand Magellan, Christoph Kolumbus auf ihre Welttouren. Die lyrische Annäherung an einen Fluss ist natürlich immer auch eine lächerliche Sisyphos-Arbeit, das weiss Waldvogel. Denn «niemand kann Deine Leben zählen» und jede Wahrheit wird sogleich von einer anderen ersetzt: «Die Wahrheit ist eine Tänzerin / die wie Du ahnt / dass hinter dem Vorhang / auf der Bühne / bereits die Nächste / auf den Einsatz wartet». «La verdad es una bailarina», hallt es nach. Und die Wasser ersetzen sich fortwährend mit dem, was nach ihnen kommt. Wie lange noch? Und überhaupt, wer will schon einen Fluss begreifen mit Worten?

Der Fluss als Lieferant – 
wie Lavendel in der Sierra
Aber auch die wirtschaftlichen Zwänge, welche sich aus dem Fluss ergeben, sind dem Autor bewusst: Deine Apologie verhallt / in den Wetterprognosen / in den Bilanzen der Gemüsebauern (...) Regeln wird diesen Prozess / der göttliche Markt». Aufgewachsen ist Waldvogel ebenfalls an einem Fluss – am Rhein, in Schaffhausen. Den hat er schon mit dem Fahrrad abgefahren. Am Guadalquivir reizt ihn das Exotische, Amazonasartige, das Verunstaltete, Gezwängte ebenso wie das Idyll oder das  erotisch eingefärbte Geheimnis drängenden Lebens: «Die Sucht nach Leben will die Angst bezwingen / Die tiefste Berührung jedoch / weckt auf und führt durch die Nacht/ wie Lavendel in der Sierra / wie eine Quelle/ wie in Cazorla / die Deine / Guadalquivir.» Und dann ergibt sich der Guadalquivir ins Grosse, geht auf imAtlantik, als hätte es ihn nie gegeben. Alles muss zu Nichts zerfallen, um im Sein zu bestehen.
 

Info: Im Restaurant Schöngrün, Madretschstrasse 102, Biel, wird am Freitag, 1. März, zu Ehren des Guadalquivir Rotwein fliessen; musikalische Buchvernissage mit Sax, Apéro 18.30 Uhr, Lesung 19 Uhr (dt./span.); Reservation Nachtessen per Mail (info@schoengruen.net) oder telefonisch (032 365 21 31).

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