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Von einem, der sich freigeschwommen hat

Der Berner Rapper Baze lässt sich nicht in Schranken weisen. Sein neustes Album hat mit herkömmlichem Rap nichts mehr zu tun.

Baze, Meister der Mehrgleisigkeit. Bild: zvg/ Jonas Moser

Adrian Schräder

Es klingt wie eine Sequenz aus dem Film «Koyaanisqatsi» von Godfrey Reggio und Francis Ford Coppola. Ein Chor aus Didgeridoos signalisiert Bedrohlichkeit in Form von flackernden Klangflächen. Dabei geht es hier nicht um die dramatische Umwälzung dieser Welt durch die Industriegesellschaft, sondern um Veränderungen im Gefühlszustand, von Abschluss und Abschied wohl. Denn es setzt alsbald eine Stimme ein und sie sagt, rhythmisch perfekt eingepasst: «Irgendeynisch isch dä Tag cho, woni gschnallt ha: I mues schiebä.»

«Karriere» wäre ihm suspekt
Wir sind in Bern, in der melancholisch-bitteren Welt von Basil Anliker, 38, besser bekannt als Rapper Baze. «Gfrässä» heisst der Song, der sein aktuelles Album «Gott» eröffnet. Ein Album, das den Zuhörer angenehm fordert. Mit Rap, so wie er in den Clubs aus dem Boxen drückt, hat das hier nichts mehr zu tun.

Dabei kann er auch das, wie er in den letzten 18 Jahren bewiesen hat. Anliker ist ein Meister der Mehrgleisigkeit. Er kann gar nicht anders, als sich immer wieder neu zu erfinden, neu zu formieren, immer neue Kapitel seiner Karriere aufzuschlagen.

Obwohl: Das Wort Karriere wäre ihm schon suspekt. Da würde er jetzt im Gespräch verächtlich stöhnen, die Augen verdrehen, vielleicht ein langgezogenes «neeei» platzieren. Karriere würde ihm viel zu sehr nach Absicht, nach Aufstieg, nach Eifrigkeit klingen. Er macht einfach, so wie der Bauch will, so wie die Wörter kommen.

So ist er gleichzeitig Mitglied der Berner Chlyklass, Mitglied des schändlich unterschätzten, mit der elektronischen Musik flirtenden Duos Boys On Pills, Mitglied des stetig wachsenden Temple-of-Speed-Verbunds, Mitglied der Tequila Boys – einer Coverband mit allerlei Mitgröl-Songs im Repertoire, die sich auf der Bühne immer mal wieder ein Glas Hochprozentiges genehmigt –, Gastrapper bei den zeitgeistigen Indie-Poppern von Jeans For Jesus. Und natürlich wandelbarer Solokünstler.

Peter Tosh und Mani Matter
Egal, in welcher Rolle: Baze, so sein Künstlername, bleibt immer der kauzige Hauptstädter, der sich keinen Zentimeter verbiegen lässt und sich in seinen Texten einer unverkopften Poesie bedient. 2016 hatte Anliker die Chuzpe, den jamaikanischen Reggaegott Peter Tosh und Mani Matter («I han es Zündhölzli azündt») zu covern: Besonders das Stück «I Bi», eine Abwandlung von Toshs «I Am That I Am», beeindruckte. Für knapp fünf Minuten schwimmt er sich über der Bassbegleitung von Produzent Don Li von jeglichem Erwartungsdruck frei.

Die Umsetzung überzeugt mit freischwebendem, uferlosem Groove. Textlich ist es ein Selbstbekennungstanz, frei nach Tosh. Ein Mantra dafür, sich nicht zu verknechten, sich vor keinen Karren spannen zu lassen. Auch nicht vor den von Hip-Hop oder Mundartrap. Als Fortsetzung dieses dubbigen Gedanken-Yogas hatte Baze damals ein Album versprochen, das aus nur einem Stück von sechzig Minuten Länge bestehen soll. Erschienen ist es nie.

Stattdessen hat er mit «Bruchstück» und «Gott» (2018) weiter daran gefeilt, Musik zu machen, die sich von jeder Zwangsläufigkeit und Regelhaftigkeit löst. Die Instrumentierung dient der Untermalung des Gesagten. Mal nimmt er dafür wie auf «Bruchstück» eine ganze Band zur Hilfe, mal sind es, wie zuletzt, digitale Klangwelten, die ihn begleiten. Ist das noch Hip-Hop? Ist das noch Rap? Alles spielt keine Rolle mehr, ausser der Geschichte und der Stimmung.

Lange Autofahrten durch Osteuropa
Baze war schon immer einer, der beschreiben konnte. Der Miniaturen aufbaut – das Pinkeln im Schnee fasst er genauso wie lange Autofahrten durch Osteuropa oder die Enge seiner Heimatstadt in wenigen Textzeilen zusammen. Die Situationen seiner Texte sind immer konkret. Sie geben die Stimmung wieder, sie versetzen den Zuhörer in ein Setting, können dann aber in alle möglichen Richtungen kippen. Dazwischen immer wieder schöne Sätze, schöne Zeilen. Darüber, dass man die schönsten Orte dort findet, wo man falsch abbiegt. Oder dass man beim Graskaufen wie ein feuchter Lappen über den Tisch gezogen wird. Lange war seine Sprache unmittelbar, direkt, verständlich, eine Poesie des Alltags (hier würde er übrigens wieder stöhnen: «Was, Alltagspoesie?»). Auf dem neuen Album nimmt die Sprache eine neue Qualität an.

Wo er sich einst in fadengraden Rapversen augenzwinkernd zum Proklamieren von neuen Naturgesetzen veranlasst sah, hört man ihn nun virtuoser mit den Bildern spielen, noch geschickter phrasieren. Nicht immer ist alles linear, nicht immer ist alles klar. Bitter-melancholisch die Stimmung, die Zügel der Sprache fest in seiner Hand.

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Zur Person
- Basil Anliker wird im April 1980 in Bern geboren.
- Zum Hip-Hop kommt er Ende der 90er-Jahre über DJ Skoob und den Rapper Thomes.
- Gemeinsam mit ihnen gründet er die Gruppe Thomes & Baze, die sich dem Chlyklass-Verbund anschliesst.
- Die erste Veröffentlichung ist die EP «Amoklouf» im Jahr 2000.
- 2003 startet er mit «Himutruurig» seine Solokarriere.
- Mit dem Produzenten und Rapper Elwont flirtet er unter dem Namen Boys on Pills ab 2007 auf drei Alben mit der Clubmusik.
- Sein aktuelles Album «Gott» steigt Anfang September auf Platz 9 in die Schweizer Hitparade ein.
- Im gleichen Monat wird ihm der Schweizer Musikpreis überreicht. as

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