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«Oh Yeah!»

Von Fräulein Grüninger zur Revolte

Heute öffnet im Berner Museum für Kommunikation die Ausstellung zur Geschichte der Popmusik in der Schweiz. Sie unterhält mit viel Musik und raren Exponaten.

Der Punk im Schaukasten: eine grellbunte Schau mit vielen Originalstücken und zahlreichen Songs. zvg

von Tobias Graden

Es war Anfang der Neunzigerjahre, als Kuno Lauener, Sänger von Züri West, in Barcelona weilte und dort auf den Maler Andreas dal Cero traf. Dal Cero zeigte Lauener die Skizze eines Bildes, sie zeigt einen Mann, der einer Frau sein Herz hinhält und sagt: No tengo más, ich habe nicht mehr.

Das Bild ist in die Schweizer Musikgeschichte eingegangen. Lauener liess sich davon nämlich für seinen grössten Hit inspirieren. «I schänke Dir mis Härz» stand 14 Wochen lang ununterbrochen an der Hitparadenspitze, im Jahr 1994, vor der Digitalisierung, als die Hitparade auch noch tatsächlich von grossen Verkaufserfolgen kündete. Ein Bild, eine Eingebung, eine halbe Stunde lang texten, und mit der Band zusammen entstand der Hit.

Das Bild ist nun Teil der Ausstellung «Oh Yeah! Popmusik in der Schweiz» im Berner Museum für Kommunikation, welche die Geschichte des Pop von 1954 bis heute nachzeichnet.

 

Honolulu-Girls fürs Fernweh

Die Idee zur Ausstellung stammt von Samuel Mumenthaler. Er war als Musiker Gründungsmitglied der frühen Züri West, ist langjähriger Musikjournalist und -chronist, nennt eine grosse Sammlung zur Schweizer Popgeschichte sein Eigen, und er ist nicht zuletzt ein Fan, der selber unzählige Objekte zur Schau beisteuern konnte. Zusammen mit dem Museum und den Berliner Szenografen von Gewerk Design hat er die Ausstellung gestaltet.

Fünf überdimensionierte CD-Hüllen dienen als Stellwände, sie symbolisieren grob unterteilt fünf Dekaden respektive Themenblöcke bis zur Jahrtausendwende. Als Geburtsstunde des Pop gilt 1954, Elvis Presley sang «That’s Allright Mama», und in der Schweiz öffneten sich nach dem Einigeln der Kriegszeit real und psychologisch die Grenzen. Reisen war aber noch nicht für die Masse möglich, darum bediente eine Szene von Hawaii-Bands das Fernweh. Wie brav sie waren! Originalbriefe zeigen es: Höflich bat Hannelore Bürgin, Mitglied der Honolulu Girls, den sehr geehrten Herrn Dumont vom Radio, er möge sie doch mal bei einer Probe besuchen kommen - offenbar erfolgreich, denn bald darauf wurde das sehr geehrte Fräulein Bürgin zur Produktion ins Studio geladen. Zehn Jahre später war die heile Welt gekippt: Gastspiele der Rolling Stones und von Jimi Hendrix mündeten in Krawalle.

Es sind neben der vielen Musik in der «Sound Lounge» vor allem die Exponate, welche die Schau sehr unterhaltsam machen. Der Brief von Timothy Leary, in dem er bei Hoffmann La Roche diverse Substanzen für Drogenexperimente bestellte - ab den 1960ern wäre viele Musik ohne LSD und THC nicht entstanden. Polo Hofers Skizze zum ersten Album von Rumpelstilz. Hazy Osterwalds Trompete «Susi», die Liebe seines Lebens. Die Halbstarken-Jeanskleider von Toni Vescoli. Der Marshall-Verstärker von Jimi Hendrix. Das T-Shirt von Gölä mit der Aufschrift «Fägts?» und dem Abdruck des Totalverrisses seines Debütalbums - 800 Stück verkaufte er davon. Die vielen Platten- und Zeitschriftencovers, die im «Backstage»-Bereich die Wände zieren.

 

Die Vielfalt bleibt

Die Ausstellung zielt also aufs Erleben, aufs assoziative Eintauchen in die Welt der Popmusik, auf das Öffnen dieser «Konserve ohne Ablaufdatum», wie es Museumsdirektorin Jacqueline Strauss nennt, und das Wiedererleben der Gefühle beim Wiederhören von Songs aus der Vergangenheit. Radiolegende François Mürner beleuchtet zwar jeweils in kurzen Beiträgen den historischen Kontext, doch analytisch-theoretisch geht die Ausstellung kaum in die Tiefe. Warum blieb etwa die Techno-Bewegung, die so viele Menschen mobilisierte wie keine andere zuvor, so apolitisch? Warum hat die Popmusik ihre aufrüttelnde Kraft verloren? Die Beantwortung solcher Fragen würde gewiss den Rahmen der Ausstellung sprengen - doch auch das bislang bekannte Rahmenprogramm verzichtet auf solche Themen.

Die Zeit von der Jahrtausendwende bis zur Gegenwart wird in einem gesonderten Raum abgehandelt, mittels projizierter Videos von Schweizer Künstlern (darunter die Bieler Puts Marie und Pegasus) und Informations-Schlagworten. Das Gut Musik ist mittlerweile entmaterialisiert, die Folgen sind bekannt, bald werden auch die Downloads nur noch einen marginalen Anteil in der Distribution ausmachen. Gleichzeitig, das zeigen die Clips, ist die stilistische und ästhetische Vielfalt grösser als zuvor in diesem kleinen Land.

 

Link: www.mfk.ch

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