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Biel

Von Profi- und Proletentum

Im Vergleich mit ihren Provokationen sind die Schlagzeilen ums Vibez Peanuts. Die Frage, wie ihre testosteronschwangere Musik auf spannende Weise live umzusetzen sei, liessen Kollegah und Farid Bang allerdings unbeantwortet.

Kollegah und Farid Bang (v.l.): Die Stiernacken-Attitüde gerät ihnen zum Stolperstein. copyright: raphael schäfer/bieler tagblatt

Adrian Schräder

Die Kontroverse um das Vibez Festival hat in den vergangenen Wochen schon viele Schlagzeilen produziert. Im Vergleich mit der Anzahl all derer, mit welchen die deutschen Rapper Farid Bang und Kollegah in den letzten Jahren die Medien im deutschsprachigen Raum versorgt haben, ist das allerdings Peanuts.

Was darf Kunst?
Mit ihren Texten überschreiten die beiden Rapper immer wieder ganz bewusst die Grenzen des allgemein Akzeptierten. Verschiedene ihrer Alben sind inzwischen wegen jugendgefährdender Aussagen in Deutschland indiziert worden, ihr Song «0815» trat im April letzten Jahres mit nur einer Textzeile («Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen») gar eine Lawine los, die schlussendlich darin gipfelte, dass der deutsche Musikpreis Echo abgeschafft wurde. Die gesamte deutschsprachige Medienwelt diskutierte daraufhin mal wieder, was Kunst darf und was nicht – die Staatsanwaltschaft Düsseldorf entschied schliesslich, die Aussagen seien von der künstlerischen Freiheit gedeckt – und sie selbst zertrümmerten in einem Video demonstrativ ihre Trophäen.

Die Musikalität vergessen
Kurz: Sie sind streitbar und sie haben es auf Streitbarkeit angelegt. Wie allerdings zelebriert man diese provokative, testosteronschwangere Musik spannend auf der Bühne? Die Antwort auf diese Frage bleiben Farid und Felix Blume bei ihrem Auftritt am späten Freitagabend am Vibez-Festival schuldig. Er zeugt in ganzer Länge von der Unfähigkeit, ihre Stücke, die auf Portalen wie Youtube, Spotify oder Apple Music millionenfach gestreamt werden, musikalisch ansprechend zu präsentieren. Die Stiernacken-Attitüde, die sie zu ihrem Markenzeichen gemacht haben, gerät ihnen auf der Bühne vom ersten Moment an zum Stolperstein. Was man hört, sind dumpf dröhnende, unkontrolliert wirkende Stimmen, die sich in einem Dauerschwanzvergleich mit der Konkurrenz massen. Doch das dargestellte Selbstbewusstsein überragt die Leistung bei weitem.
Das könnte man vielleicht auch vom Franzosen Booba sagen, der wenig später auf der grossen Bühne steht und sich beim Vortrag seiner abgehackten Textzeilen im Energiesparmodus bewegt und höchstens mal die Whiskeyflasche anhebt, um einen Schluck zu nehmen. Allerdings gehört das bei ihm zur Ästhetik – der Sound kommt glasklar aus den Boxen, sein Rap lebt von dieser stockenden Reduziertheit. Während er Souveränität demonstriert, wirken die beiden Düsseldorfer schlicht hölzern. Da können auch die mit Reizwörtern gespickten Texte nichts ändern. Die sind genau wie die Ansagen, der Befehlston («Wir wollen jetzt Moshpit! Los, Schweiz! Grösser! Und passt auf die Mädels auf, die brauch ich später noch!») und die Sprüche über die angeblich so willige und billige Weiblichkeit keinesfalls überraschend.

Bei Kool Savas passt alles
Wie man es um Klassen besser machen kann, hat eineinhalb Stunden zuvor an gleicher Stelle Kool Savas bewiesen. Der 44-Jährige wirft seine gesamte Erfahrung – aber eben auch seinen Schalk und seine Spontaneität – in die Waagschale und liefert einen Auftritt ab, bei dem alles stimmt. Jede Silbe passt genau auf den Beat, jedes Wort ist verständlich, mit jedem Stück forciert er die Stimmung im leider nur etwa zu einem Drittel gefüllten Zelt ein bisschen mehr. So sieht Professionalität aus.
Gleichzeitig liefert er auch ein Statement zum Festival aus Künstlerperspektive ab: Die Berichterstattung im Vorfeld sei ja eher so so lala gewesen. Man habe immer wieder lesen können, dass sich hier ein weiteres Fyre-Festival – und damit ein Desaster – anbahne. «Aber das hat für mich mit dem Fyre-Festival gar nichts zu tun: Die Bühne steht, alle Acts sind da.»

Internationale Beliebigkeit
Tatsächlich läuft aus Besuchersicht alles weitgehend reibungslos. Man erlebt einen Grossanlass, der internationale Acts aus dem Bereich der Urban Music nach Biel bringt. Dass die Stimmung auch bei dem hochroutinierten Auftritt des Jamaikaners Sean Paul, der einen Hit nach dem anderen («Get Busy», «Got To Love Ya», «Like Glue», «Baby Boy» etc.) in die kühlen Seeländer Nacht hinauspowert, nicht annähernd den Siedepunkt erreicht, mag allerdings auch daran liegen, dass man dem Anlass seine Unpersönlichkeit und Beliebigkeit durchaus anmerkt.
 

 

 

 

Veranstalter ziehen positives Fazit

Die Vibez-Veranstalter zeigten sich in der am Sonntag verschickten Medienmitteilung mit der ersten Ausgabe des Festivals zufrieden. Insgesamt haben nach eigenen Angaben 32000 Besucherinnen und Besucher am Anlass teilgenommen. Damit und mit «einem grandiosen Line-Up feierte das Vibez-Openair eine gelungene Premiere und hat den Grundstein für die Zukunft gelegt», heisst es in der Mitteilung. Auch die Vibez-App sei auf äusserst positives Feedback der Besucher gestossen. Am letzten Openair-Tag habe sie gar Platz 3 im Bereich Unterhaltung im App-Store erobert. «Die Besucher haben ein äusserst positives Feedback zurückgegeben», wird Organisator Daniel Meili zitiert, und weiter:«Das war erst der Anfang.» Mit dem Resultat und dem reibungslosen Ablauf sei der Grundstein gelegt. mt/tg

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