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Literatur

Warum musste Sophie sterben?

Ein überdimensioniertes Tourismusprojekt, undurchsichtige Machenschaften: Bernhard Schmutz siedelt sein Romandebüt in Grindelwald an – und liefert nachträglich den Krimi zur Trinkwasserinitiative.

Die Idylle auf der Bussalp auf einer Aufnahme von 2004 – und hier soll die «Honeymoon-Alp» entstehen?  copyright: daniel bernet

Tobias Graden

Die erste Attacke ist ja noch harmlos. Als Lisa Pelletier eines spätabends von einer Lagebesprechung in Thun zurückkehrt, sind die Reifen ihres Velos platt. Hinten und vorne. Die Gruppe Jugendlicher, die zu später Stunde am Bahnhof Grindelwald herumhängt, hat allerdings nichts gesehen. Sie war schliesslich mit Trinken und Rumhängen beschäftigt. Und vielleicht war das ja tatsächlich auch nur ein Nachtbubenstreich.
Die Bierflaschen, die sie kurze Zeit später im Dunkeln an den Kopf geworfen kriegt, lassen sich allerdings schon weniger gut relativieren. Die daraus resultierenden Verletzungen haben Lisa groggy gemacht, und in den Wurfgeschossen drin waren zusätzlich Zettel mit Warnbotschaften. Richtig beunruhigend wird es allerdings, als Lisa in ihrer kleinen Zweizimmerwohnung die Drohung an der Wand sieht, hingeschrieben mit Tierblut. Es ist klar: Lisa stört die Kreise mächtiger Leute, das passt diesen gar nicht in den Kram. Und das stachelt Lisa umso stärker an.

Bedrohte Idylle
Szenenwechsel. Die Bussalp ob Grindelwald kennen hierzulande wohl alle, die gerne etwas länger schlitteln als bloss am nächsten Kinderhügel. Wer es bequem mag, fährt mit dem Bus hierhin und rodelt bei guten Verhältnissen bequem bis ins Dorf hinunter. Und wer lieber dem Rummel in der weltbekannten Alpendestination entflieht, nimmt die Gondel bis nach Grindelwald First und wandert dann etwa zwei Stunden lang bis aufs Faulhorn. Von dort geht es mit dem Schlitten hinunter, laut Grindelwalder Eigenwerbung auf der längsten Schlittelpiste der Welt. Die Bussalp bietet schliesslich vor dem Endspurt eine willkommene Einkehrmöglichkeit. Kurz: In dieser Ecke Grindelwalds ist die Bergwelt noch heil, hierhin führt keine V-Bahn, der Ort ist vom Massentourismus noch verschont geblieben, auch wenn er mitnichten organisch gewachsen ist, sondern in den 70er-Jahren bewusst geschaffen wurde. Gleichwohl: Hier gibts Käseschnitte, Wurst und Bier, nicht Cüpli und Crevettencocktail.
Doch die Idylle ist bedroht, zumindest in «Schweizer Wasser», dem ersten Kriminalroman des Seeländers Bernhard Schmutz. Dieser hat die im Oberländer Ort lang anhaltende Kontroverse um die neue Seilbahnverbindung vom Talboden zu Eigergletscher und Männlichen quasi auf die andere Seite der Berglandschaft gespiegelt. Eine gewinnorientierte Allianz aus einheimischen Profiteuren und auswärtigen Financiers will nämlich die Buss-alp aufpeppen, will aus ihr die «Honeymoon-Alp» machen:Ein hochkarätiges Resort soll neben der währschaften Beiz entstehen, die Gemeinde soll es mitfinanzieren und gleich noch die Strasse ausbauen und die Zufahrtsregeln lockern.
«Noch mehr Beachtung für die Tourismusdestination. Ein echter Mehrwert für Gäste, die mehr erwarten als den Ausflug aufs Jungfraujoch. Noch mehr zahlungskräftige Touristen. Mehr, mehr, mehr.», heisst es am Anfang der Geschichte.

Schlagersternchen vergiftet
Erinnert das nicht sehr an die tatsächlichen Diskussionen um das grossdimensionierte V-Bahn-Projekt der Jungfraubahn AG und seinem umtriebigen CEO Urs Kessler? Bernhard Schmutz hat vorgesorgt: «Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt», heisst es eingangs zu seinem Krimi.
Das kann man ihm glauben oder auch nicht. Lisa Pelletier jedenfalls gehört zu jenen, die nicht so leicht annehmen, was ihnen vorgesetzt wird. Als einzige Einheimische wagt sie es, vor der entscheidenden Abstimmung an öffentlichen Veranstaltungen höchst kritische Fragen zu stellen. Dabei hat sie durchaus etwas zu verlieren, nämlich das Wenige, das sie überhaupt noch hat. Nach dem Tod ihres Partners ist sie allein, sie verantwortet die kulinarische Versorgung der Gäste auf einem Hof in Grindelwald Grund, der gerne von Schulklassen für Lager genutzt wird – und der dem gleichen Besitzer gehört wie die Bussalp: Heinz Grob. Als das Schulmädchen Sophie nach einem Aufenthalt auf dem Hof aus nicht restlos geklärten Gründen stirbt – war es eine Lebensmittelvergiftung? –, hat Lisas Ansehen weiter gelitten, dabei lebt sie ohnehin schon fast verarmt am Rande der Dorfgesellschaft. Es geht nicht mehr lange, und sie verliert auch noch ihre Teilzeitjobs. Doch als dann nach der Hochzeit eines Schlagersternchens auf der Buss-alp die halbe Festgesellschaft ins Spital eingeliefert werden muss, wird Lisa klar:Irgendwas ist faul im Dorfe Grindelwald.

Nestbeschmutzer mit Courage
Im Gespräch mit dem BT betont der Autor:«Die Geschichte könnte auch an manch einem anderen Touristenort in den Alpen spielen.» Zuerst verortete sie Schmutz nämlich in ein fiktives Dorf, doch der Verlag bestand darauf, sie an einem konkreten realen Ort spielen zu lassen. Und da sei Grindelwald ein gutes Beispiel für eine Destination, die im Dilemma stecke: «Grindelwald macht den Spagat zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen.»
Dabei geht es – ganz real – bisweilen handfest zu und her. Der Grindelwalder Peter Roth beispielsweise, der den Behörden in Sachen Zweitwohnungen ganz genau auf die Finger schaut, war für den diesjährigen «Prix Courage» der Zeitschrift «Der Beobachter» nominiert. Er erlebte in Grindelwald laut «Beobachter» «heftige Bedrohungen, wurde als Nestbeschmutzer und Verhinderer abgestempelt». Für Gesprächsstoff unter Einheimischen sorgte auch der Betreiber der Adi’s Skibar im Gebiet Grindelwald First. Er hatte sich kritisch über die Entwicklung in der Gegend geäussert, worauf Ratracs die Zufahrtspiste zu seiner Bar mit tonnenweise Schnee absperrten – mitten in der Saison.
Bernhard Schmutz selber lebt aber nicht in Grindelwald, sondern in Biel. Er kennt den Ort seiner Geschichte jedoch gut und hat alle Schauplätze recherchiert:«Ich weiss, wo auf der Bussalp der Miststock steht.»

Das Kapital gewinnt
Zurück zur fiktiven Geschichte. In Wim Peter findet Lisa einen Verbündeten. Dieser hat seinem Heimatort längst den Rücken gekehrt, weit ist er allerdings nicht gekommen. Er lebt auf einem Campingplatz in Thun und schlägt sich im Oberland mehr schlecht als recht als Vertreter für Bio-Gewürzmischungen durch. Ein depressiver Wallander, ein heruntergekommener Brenner? Bei Schmutz gibts die Looser als Ermittler gleich im Doppelpack, wenn auch heruntergedimmt fürs helvetische Mainstream-Publikum – nimmt der Alkohol überhand, merken dies die Protagonisten selber und geloben Besserung. Überdies, das ist ja absehbar, kehren die Lebensgeister in diese verlorenen Seelen zurück, nun, da sie gemerkt haben, dass sie doch nicht ganz allein sind auf der Welt.
Die Frage aber bleibt:Was ist wirklich passiert auf dem Bauernhof und auf der Bussalp? Lisa und Wim lassen nicht locker, und die Leserin, der Leser ahnt mit der Zeit ebenso wie die Protagonisten der Lektüre: Hier geht es nicht nur um ein Tourismusprojekt, hier geht es um viel mehr. Die Einblendungen in die geheimnisvollen Zusammenkünfte der ominösen Groupe Lac Démon sind nicht umsonst. In dieser beraten offenkundig einflussreiche Wirtschaftsführer, wie sie in der Öffentlichkeit umstrittene Projekte zum Erfolg bringen können. Auch in Grindelwald geht die Abstimmung um die Bussalp zugunsten des Kapitals aus:Die 35 Prozent Nein sind zwar ein Achtungserfolg, für Lisa aber doch eine empfindliche Niederlage. Es hat nicht viel genützt, dass sie im Vorfeld der eidgenössischen Abstimmungen das lokale Thema mit dem Klimawandel und der Trinkwasserproblematik verknüpft und es sogar geschafft hat, dafür die Eltern der verstorbenen Schülerin und das Schlagersternchen einzuspannen. Dabei hätte doch der Hitzesommer den Menschen die Augen öffnen sollen.

Liebenswerte Antihelden
Ja, Bernhard Schmutz liefert mit «Schweizer Wasser» gewissermassen noch den Krimi zur Trinkwasserinitiative. Deren Initiantin taucht gar in den Liner notes im Abspann auf. Lisa nämlich prangert nicht nur ein ungesund übersteigertes Wachstumscredo in der alpinen Touristik an, sondern sie ist illegalem Pestizidhandel auf der Spur, was sie schliesslich – der Plot braucht ja seine Zuspitzung – in allerhöchste Lebensgefahr bringt.
Mehr von der Story sei hier nicht verraten. Doch so viel sei gesagt: Bernhard Schmutz’ Geschichte gewinnt mit zunehmender Dauer an Drive. Ein literarischer Wurf ist «Schweizer Wasser» nicht, dafür ist die Sprache zu platt. Die Protagonistinnen und Protagonisten reden gerne so, wie der Autor schreibt – mit einem Hang zu überdeutlicher Ironie. Metaphern sind meist die erstbesten zur Hand, und der undurchsichtige Karrierist lenkt seinen Wagen im Dunkeln eben mit «schlafwandlerischer Sicherheit» und die Nebelschleier sind «mystisch».
Aber der Spannungsbogen ist gekonnt konstruiert, und das Unbehagen am Wachstumsglauben in einem Ort wie Grindelwald ist präzise geschildert. Es vermag zwar nicht wirklich zu überraschen, dass die «Guten» in «Schweizer Wasser» lange untendurch müssen, bis sie schliesslich Oberwasser gewinnen. Aber mitgefiebert hat man mit diesen Ü50-Antihelden dann schon. Wäre «Schweizer Wasser» einer dieser 20.15-Uhr-Krimis am Fernsehen, man könnte beim Zappen durchaus hängen bleiben. Anders gesagt: Als kurzweilige Lektüre in der Altjahreswoche taugt dieser Krimi allemal.
«Ich wollte auf unterhaltsame Weise auf ein Thema aufmerksam machen, das uns alle etwas angeht», sagt Bernhard Schmutz. Dabei sind ihm seine beiden Hauptfiguren Lisa Pelletier und Wim Peter ans Herz gewachsen:«Ich kann sie noch nicht loslassen.» Also arbeitet er an einem zweiten Roman, wann dieser abgeschlossen sei, könne er aber noch nicht sagen. Da seine Figuren im Oberland zuhause sind, wird es wohl kein Seeländer Krimi werden? Schmutz mag sich noch nicht gross in die Karten blicken lassen. Doch er sagt: «Das neue Abenteuer wird nicht im Oberland spielen, so viel kann ich verraten.»
Info: Bernhard Schmutz, «Schweizer Wasser», Gmeiner Verlag, Taschenbuch, 279 Seiten, Fr. 22.90.

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