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Oper

Was bleibt, wenn die barocken Hüllen fallen

Die erste Opernpremiere von Theater Orchester Biel Solothurn dieses Jahr entführt ins Reich der Feen. «Zaïs» von Jean-Philippe Rameau überzeugt dank mitreissender Musik und schlüssiger szenischer Umsetzung.

Bild: zvg

Annelise Alder

Das erste Bild ist eine Augenweide: Prachtvolle Kostüme, üppige Perücken, geheimnisvolle Masken. Das ist Barockoper wie aus dem Bilderbuch. Wir befinden uns schliesslich im Reich orientalischer Mythen, wo Luftgeister das Sagen haben.

Doch die Zauberwelt ist bereits in Auflösung begriffen, wie sich beim näheren Hinsehen zeigt. Zwar hält König Oromazès (Matteo Loi) immer noch an den Insignien des Sonnenkönigs fest und präsentiert sich als stimmkräftiger Herrscher über die Geister und die vier Elemente. Das Feuer aber, das einst kräftig loderte, ist auf ein klägliches Flämmchen eines Zündholzes zusammengeschrumpft. Und die einst lebhaften Luftgeister wirken in ihren zeitlupenhaften Bewegungen und weissen Perücken wie Greise (Einstudierung Chorsolisten: Valentin Vassilev).

 

Aus «musikalischer Ursuppe» entstehen tänzerische Rhythmen

Was hat uns Barockoper heute zu sagen? Das ist die Frage, von der sich Anna Drescher für ihre Inszenierung der Oper «Zaïs» von Jean-Philippe Rameau für Theater Orchester Biel Solothurn (Tobs) leiten liess. Eine Antwort liefert bereits die Musik Rameaus. Mit unerhörten Trommelschlägen und Dissonanzen setzt sie ein. Das war neu zu ihrer Zeit und löste kontroverse Reaktionen aus. Aus der «musikalischen Ursuppe» schälen sich bald aber tänzerische Rhythmen, rasante Streicherpassagen, glitzernde Flötensoli und farbenreiche Klänge heraus.

Tobs hat mit Andreas Reize einen Berufenen für diese Musik engagiert. Dieser legte die so reichhaltigen Facetten der Partitur mit Verve frei. Die historisch informierte Spielweise stand dem Sinfonieorchester Biel Solothurn dabei gut an. Die Streicher überzeugten mit vibratoarmem Spiel und kleingliedriger Artikulation, die Bläser brillierten mit zahlreichen solistischen Einzelleistungen.

Es ist zu hoffen, dass es nicht das letzte Mal war, dass der Solothurner Barockspezialist das Publikum mit seinem mitreissenden Dirigat beglückt, auch wenn ihm seine Ernennung in das ehrenvolle Amt als Thomaskantor in Leipzig nur zu gönnen ist.

Die Inszenierung knüpft an die Modernität der Musik an. Sie entblättert die dick aufgetragenen Schichten barocker Pracht Schritt für Schritt, bis der Kern der Oper offen daliegt. Am Schluss wird klar, dass sich hinter den Kostümierungen und Masken verletzliche Menschen verbergen.

Zu Beginn der Oper ist von allem noch nichts zu sehen. König Oromazès und Amor (Adi Denner) haben eine Wette abgeschlossen, wer mehr Macht über die Menschheit besitze.

Gegenstand ihres Spasses sind zwei Menschen und ihre Gefühle füreinander. Zaïs ist zwar ein Luftgeist und damit unsterblich. Er strebt aber nach menschlicher Liebe und glaubt, sie in der Schäferin Zélidie gefunden zu haben. Doch muss sie ihre Treue erst noch unter Beweis stellen. Ein Spiel im Spiel beginnt. Zuletzt bleibt Ernüchterung – und nicht etwa das vorgesehene Happy End. In glasklaren Settings zeichnen die Regisseurin und ihre formidable Ausstatterin Tatjana Ivschina die einzelnen Stationen bis zum bitteren Ende nach.

 

Auf die Naturidylle folgt eine schummrige Bar und Nüchternheit

Auf die barocke Üppigkeit des Prologs folgt eine Naturidylle. «Hier spürt man bereits den Einfluss von Rousseau», erklärt Andreas Reize im Programmheft. «Das geht schon Richtung Aufklärung und Französische Revolution». Im Mittelpunkt stehen die Liebenden und ihre Gefühle.

Das sind eine grossartige Marion Grange als Zélidie, welcher man die ganze Bandbreite von anmutiger, verzehrender bis zu verzweifelter Liebe gerne abnimmt. Zaïs ist mit Sebastian Monti ebenso überzeugend besetzt, zumal er der der Figur auch eine naive Seite abgewinnt. Die Szenerie wird nach und nach von liebreizenden Schäferinnen und Schäfern bevölkert (Choreographie: Damen Liger), derweil die Hohepriesterin der Liebe (Clara Meloni) die Ankunft Amors ankündigt.

Doch Zélidie hat Prüfungen zu bestehen, um ihr Liebesglück zu vollenden. Und die haben es in sich. Eine Bar löst die Schäferidylle ab. Alkohol, Geld und Koks ist die Währung, die hier zählt. Zélidie, die unvermittelt mit der vulgären Realität konfrontiert wird, muss nun die Zudringlichkeiten betrunkener Männer abwehren. Ein Höhepunkt des Abends: Das orchestrale Gewitter, das mit den rauen Sitten dieses schummrigen Orts kulminiert.

Unterstützung erhält Zélidie einzig von Cindor, einer zwielichtigen Gestalt (Wolfgang Resch). Sein Auftrag lautet nämlich, die Treue der Schäferin auf die Probe zu stellen. Er versucht sie deshalb zu verführen. Zélidie bleibt jedoch standhaft.

Noch ist das Spiel nicht zu Ende. In der nächsten Station ist die Verzweifelte auf sich alleine gestellt – wie auch das nüchterne, in tiefem Rot gehüllte Bühnenelement widerspiegelt. Diesmal ist es Zaïs, der ein übles Spiel mit seiner Angebeteten treibt.

Zélidie, ganz Frau von heute, lässt sich das nicht mehr bieten.

Barocke Pracht? Das ist nur Fassade. Dahinter verbirgt sich nüchterne Realität.

Info: Weitere Aufführungen in Biel am 30. Mai, 11., 12., 13. und 15. Juni. Karten im Offenverkauf eine Stunde vor Vorstellungsbeginn. Weitere Infos und die Daten in Solothurn unter www.tobs.ch

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