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Wochenkommentar

«Was kann ich zusätzlich anbieten?»

Seit Januar leitet Bernadette Walter das Neue Museum Biel (NMB). Die Dauerausstellung will sie einer Verjüngungskur unterziehen. Auch sonst hat die Kunsthistorikern, die zuvor Leiterin der Abteilung Kunst und Sammlung Robert am NMB war, viele ehrgeizige Pläne für das Museum mit seinen drei Abteilungen Kunst, Geschichte, Archäologie,

Museumsdirektorin: Für Bernadette Walter ist Biel «ein kleiner lebendiger Kosmos, wo viel passiert.» copyright: peter samuel jaggi/bieler tagblatt

Interview: Alice Henkes

Bernadette Walter, Sie sind seit Anfang des Jahres die neue Direktorin des Neuen Museums Biel. Zuvor waren Sie für die Abteilung Kunst und die Sammlung Robert im NMB verantwortlich. Was hat sich in Ihrem Arbeitsalltag verändert?
Bernadette Walter: Ich bin nicht mehr nur für meine Abteilung, die Kunst, zuständig, sondern beschäftige mich auch intensiv mit den Bereichen Geschichte und Archäologie. Zudem gibt es auch die administrative Arbeit, mit der ich bisher nicht beschäftigt war. Ich habe mir vorher nicht vorstellen können, was für ein enormer Aufwand das ist. Aber es macht Spass.

Wie viel Zeit lässt die Administration für die inhaltliche Arbeit?
Es ist schon so, dass ich mich von den Alltagsgeschäften bewusst zurückziehen und sagen muss: Jetzt beschäftige ich mich zwei Stunden mit konzeptuellen Arbeiten. Natürlich reicht das nicht aus, um ein Ausstellungskonzept zu entwerfen. Aber ich bin daran gewöhnt, projektbezogen zu arbeiten. Ich kann relativ gut abschalten und mich auf eine Sache konzentrieren.

Als Sie diese Stelle antraten, haben Sie gesagt, die Bielerinnen und Bieler sollen das NMB mehr als ihr Museum begreifen. Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen?
Ich möchte Projekte realisieren, die unterschiedliche Personenkreise anziehen. Die Ausstellung «Mykologismus», die jetzt läuft, ist ein gutes Beispiel dafür. An dem Projekt sind viele Künstlerinnen und Künstler beteiligt, aus Biel, aus Bern, aus der ganzen Schweiz und sogar aus dem Ausland. Dieser Aspekt ist neu im NMB. Bisher haben wir nicht mit zeitgenössischen Kunstschaffenden gearbeitet oder nur in einem sehr kleinen Rahmen. Ausserdem überlege ich mir: Was kann ich zusätzlich zu der Ausstellung bieten? Wir haben zum Beispiel eine Pilzwanderung organisiert, die wir zusammen mit dem Pilzverein durchführen. Und ich habe einen Pilzkontrolleur gefragt, ob er ins Haus kommt. Man kann Pilze, die man im Wald gesammelt hat, ins NMB bringen und kontrollieren lassen. Und wer mag, kann sich auch noch die Pilzausstellung ansehen. Durch solche Angebote kann ein Dialog entstehen.

Sie setzen also auf eine grössere Öffnung des NMB?
Ja, sowohl intern wie auch extern. Wir richten Ausstellungen wie «Habalukke» ein, für die die Abteilungen Kunst und Archäologie eng zusammenspannen, was für beide sehr anregend ist. Ich konnte profitieren vom Wissen der archäologischen Abteilung, und die Archäologen von der kunsthistorischen Einordnung des Werkes. Wir suchen aber auch vermehrt die Zusammenarbeiten ausser Haus. Zum Beispiel mit der Ausstellung, die ich im Herbst mit Eva Inversini, Kunsthaus Grenchen plane: In Biel zeigen wir Werke von Lissy Funk und Adolf Funk, das Kunsthaus Grenchen konzentriert sich auf die Malerei von Rosina Kuhn und Cyril Kuhn, das waren Eltern, Tochter, Enkelkind.

Ausstellungen mit Gegenwartskunst – ist das eine neue Linie im NMB?
Gegenüberstellungen von Gegenwartskunst und Werken etwa aus der Stiftung Sammlung Robert, das wird es sicher vermehrt geben. Dabei muss es nicht so sein, dass jeder Künstler, jede Künstlerin eine Antwort auf die Naturillustrationen der Roberts geben muss. Das ist auch bei «Mykologismus» nicht so, denn wir stellten es den Kunstschaffenden frei, sich damit den Aquarellen von Paul-André Robert auseinanderzusetzen. Es geht mehr darum, den Fokus zu öffnen und zu schauen, was passiert, wenn man die Werke in einen anderen Kontext stellt, was für ein Dialog so entstehen kann.

Wildern Sie also im Gärtchen des Centre Pasquart?
Nein! (lacht) Ich habe schon gedacht, dass diese Frage jetzt kommt. Nein, ich würde nie eine monografische Ausstellung mit einem zeitgenössischen Künstler ohne konkreten Bezug zu unserer Sammlung einrichten. Ich denke, was das Pasquart zeigt, das sind Künstlerinnen und Künstler, die nicht hier gezeigt werden können und auch nicht hier gezeigt werden sollen und umgekehrt. Felicity Lunn würde wohl kaum im Kunsthaus eine Pilzausstellung inszenieren.

Sie haben auch ein anderes Publikum. Was interessiert Ihre Besucher besonders?
Das NMB hat ein Problem, das alle Museen mit einer Sammlungsausstellung haben: nach einer gewissen Zeit geht die Attraktivität verloren. Das merken wir dann auch bei den Besucherzahlen. Wenn wir keine Sonderausstellungen haben, haben wir weniger Besucherinnen und Besucher. Doch es gibt schon erste Konzepte für die Erneuerung der Dauerausstellung. Das wird mich in den nächsten zwei Jahren sehr beschäftigen.

Können Sie schon etwas über die neue Dauerausstellung verraten?
Sie wird ganz anders! Noch ist die Ausstellung so konzipiert, dass sie die Bieler Industriegeschichte abbildet: die Uhrenindustrie, die Indienne-Färberei oder General Motors etwa. Der Blick in die Geschichte soll breiter werden. Es ist geplant, mit verschiedenen Gruppierungen zusammenzuarbeiten, um die Sicht unterschiedlicher Menschen auf ihre Stadt einfangen zu können. Warum nicht einmal Vereine, den Fischereiclub, Hockey-Fanclub und andere, ins Museum einladen, um sie ihren Lebensort vorstellen zu lassen? Zweisprachigkeit wäre mal ein Thema. Oder: Biel als Migrantenstadt.

Welche Sonderausstellungen waren 2015 besonders erfolgreich?
Seit der Eröffnung des NMB 2012 gehen die Besucherzahlen kontinuierlich nach oben. Was gut läuft, sind Ausstellungen wie jene zum Glück, wo ein Thema breit aufgefächert wird. Letztes Jahr ist die Ausstellung zum Wiener Kongress 1815, die wir vom Schweizerischen Nationalmuseum Prangis übernommen haben, auf ein breites Echo gestossen. Die Ausstellung hier in Biel wurde mit einem Teil zur Geschichte Biels während dieser Jahre ergänzt. Das Thema hat auch ein überregionales Publikum angezogen, was sich in den vielen Führungen, auch für Schulklassen, niederschlug.

Welchen Stellenwert hat die Kunstvermittlung im NMB?
Da waren wir schon immer stark, und da werden wir noch stärker. Gemeinsam mit dem Pasquart planen wir zum Beispiel immer im Frühling und Herbst Aktionswochen mit besonderen Programmen für Schulklassen. Das funktioniert sehr gut. Zum Beispiel die Heinz-Peter Kohler-Ausstellung, da hatten wir einen Rekord, was Schulklassen anbelangt: 72 Schulklassen haben sich die Ausstellung mit einer Kunstvermittlerin angeschaut und an einem Atelier zu Aquarell-Technik teilgenommen.

Aber es gibt auch Programme für Besucherinnen und Besucher, die nicht mehr zur Schule gehen.
Natürlich, zum Beispiel unsere «Workshops für alle». Im Rahmen der Ausstellung «Habalukke» haben wir zum Beispiel eine Führung angeboten und anschliessend ein Atelier, wo man Ei-Tempera-Farben selber herstellen konnte. Was wir jetzt neu lanciert haben, ist die Veranstaltung «Sattsehen», die wir über Mittag abhalten. Wir führen in einer halben Stunde in die aktuelle Ausstellung ein, danach bieten wie eine Suppe oder einen Eintopf im Museums-Café an. Da gibt es dann noch einen Austausch zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, was ich sehr schätze. Beim gemeinsamen Mittagessen bekommt man andere Feedbacks als bei einer Führung.

Sie waren zuvor Kuratorin der Abteilung Kunst und der Sammlung Robert. Wird diese Stelle nicht neu besetzt?
Nein, diese Stelle habe ich noch immer.

Sie sind also Kuratorin und Direktorin in Personalunion?
Das war Pietro Scandola auch. Er war Leiter der historischen Abteilung und Direktor des Museums.

Also steckt keine verdeckte Sparmassnahme dahinter?
Nein, das war schon immer so. Die Stelle für die Abteilung Geschichte wird neu besetzt, diese wird in den nächsten Monaten ausgeschrieben.

Trotzdem ist NMB nicht vom Spardruck befreit. Im September hat Stadtrat gefordert, dass das NMB ab 2018 jährlich 190 000 Franken einsparen soll. Bedeutet das die Teilschliessung?
Ich hoffe es nicht.

Welche Sparmassnahmen sind sonst möglich?
Wir überlegen uns verschiedene Szenarien. Ich fände es jammerschade, wenn wir eine Teilschliessung vornehmen müssten. Es ist für mich unverständlich, dass man während Jahren daran gearbeitet hat, die beiden Institutionen Museum Neuhaus und Museum Schwab zusammenzuführen, und jetzt will man das wieder auseinanderreissen. Und wenn man eine Teilschliessung machen wollte: Was passiert dann mit den Gebäuden?

Die lassen sich nicht ohne weiteres umfunktionieren.
Nein, das Haus Schwab zum Beispiel ist ein denkmalgeschütztes Haus. Es ist der drittälteste Museumsbau in der Schweiz. Das ja so fantastisch, kann Biel so etwas vorweisen.

Müsste man das mehr publik machen?
Ja. Es ist unser Ziel mit den verschiedenen Ausstellungen, die wir im Haus Schwab einrichten, auch ein überregionales Publikum anzuziehen. Die Besucherinnen und Besucher sind jeweils erstaunt, ein solches architektonisches Kleinod hier in Biel vorzufinden.

Das Fabrikhäuschen, das im November 2015 verkauft wurde, stand das auch unter Denkmalschutz?
Ja. Die neuen Besitzer sind in engem Kontakt mit der Denkmalpflege und planen ihren Umbau sehr umsichtig.

Als es verkauft wurde, hiess es, dass auch andere Teile des Gebäudeensembles renovierungsbedürftig seien. Kann man renovieren, wenn gleichzeitig gespart werden muss?
Das eine ist das, was die Stiftung als Besitzerin der Gebäude machen muss, um den Unterhalt der Bauten zu gewährleisten. Etwa muss sie sich darum kümmern, dass sich nicht der ganze Gebäudekomplex neigt. Die Subventionsgelder hingegen, die an den Leitungsvertrag gebunden sind, dienen dem Museumsbetrieb und nicht dem Unterhalt der Gebäude.

Was heisst: Das Haus neigt sich?
Wir sind dabei, Messungen zu vorzunehmen. Das Gebäude ist auf Sandsediment gebaut und bewegt sich. Da müssen wir tätig werden. Der Bau lässt sich nicht einfach mit ein paar Gussbetoneinbettungen stabilisieren.

Dem NMB geht es so wie Venedig?
(lacht) So schlimm ist es nicht. Aber mir hat kürzlich ein Architekt gesagt, dass es hier im Quartier viele Gebäude gibt, die auf Eichenpfähle gebaut sind, weil das früher Schwemmland war.

Die Politik fordert oft, Ausstellungshäuser sollen sich selber vermehrt nach Geldgebern umsehen. Das betrifft sicher auch das NMB.
Das ist etwas, womit ich sehr beschäftigt bin. Was man sich dabei immer bewusst sein muss ist: Es ist leichter, Geld für bestimmtes Ausstellungsprojekt zu erhalten. Für die Betriebskosten, für das tägliche Funktionieren eines Museums, einen Sponsor zu finden, ist dagegen sehr schwer.

Sie leben in Bern – wie sehr können Sie sich mit Biel identifizieren?
Ich bin hier nicht geboren und nicht aufgewachsen, weshalb ich keine Bielerin bin. Ich bin aber auch keine Bernerin. Ich sehe mich als eine Person, die an einen Ort kommt und dort eintaucht, um möglichst viel darüber zu erfahren.

Wie nehmen Sie die Bieler Kulturszene wahr?
Das kann ich am besten mit einer kleinen Geschichte erläutern. Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit Marco Giacomoni, der die «Mykologismus»-Ausstellung mitkuratiert hat. Wir sprachen über Biel und er erwähnte, dass er hier im Vorkurs war. Da dachte ich plötzlich: Ich kenne so viele Leute, die durch dieses Biel gegangen sind. Es ist so eine offene Stadt. Ich weiss noch, wie ich als Studentin nach Biel gekommen bin. Es ist nur 25 Minuten von Bern entfernt und strömt ein völlig anderes Lebensgefühl aus. Ich erinnere mich, dass ich damals in die Rotonde gegangen bin, und absolut fasziniert war, vom Durcheinander zwischen Französisch und Deutsch. Ich denke, Biel ist eine Stadt, die selbstbewusst dastehen kann und sagen kann: Hey, wir haben eine gute Industrie, eine gute Kultur, die Zweisprachigkeit, die vieles ermöglicht. Wir haben viele innovative junge Leute, an der Schule für Gestaltung und am Schweizerischen Literaturinstitut. Ich bin gerne hier. Ich habe in Basel gearbeitet, in Zürich, in Bern – und Biel ist ein kleiner lebendiger Kosmos, wo viel passiert und wo man viel wahrnimmt.

Wie intensiv nehmen Sie am Bieler Kulturleben teil?
Sehr. Wenn ich nicht Zeit habe, an die Vernissagen zu gehen, gehe ich immer in die Ausstellungen.

Nicht nur in Biel vermutlich...
Selbstverständlich besuche ich in jeder Stadt, in der ich mich aufhalte, auch die verschiedenen Museen oder reise speziell für Ausstellungen an einen Ort. Das ist sehr inspirierend, denn ich schaue mir die Ausstellungen immer auch mit professionellen Augen an und entwickle dadurch neue Idee für das NMB.

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Zur Person

- geboren 1968 in Visp
- Studium der Kunstgeschichte, Architekturgeschichte und Philosophie in Bern, wo sie auch promoviert hat.
- Sie hatte Engagements an verschiedenen Museen in Bern, Basel und Zürich und war als Wissenschaftlerin an der Universität Bern und am Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft in Zürich tätig.
- Seit 2012 als Kuratorin der Abteilung Kunst / Stiftung Sammlung Robert am NMB Neues Museum Biel beschäftigt. Sie hat in dieser Funktion zahlreiche Ausstellungen realisiert.
- Seit Anfang Januar 2016 Direktorin am NMB. ahb

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