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Kleinkunst

«Was man auch sagt, es ist falsch»

Wie thematisiert man die Pandemie auf der Kabarettbühne, ohne mindestens die Hälfte des Publikums zu vergraulen? Jedenfalls nicht, indem er sich zum Anti-Rima mache, sagt Bänz Friedli. Gut, hat wenigstens Elvis die Pandemie überstanden.

Bänz Friedli: "Weil ich im Radio SRF auftrete, bin ich für manche ein Gehilfe des Berset-Regimes." Bild: zvg/Vera Hartmann

Interview: Tobias Graden

Bänz Friedli, ist Ihnen derzeit zum Lachen zumute?

Bänz Friedli: Persönlich sehr, ich bin heiter und gelassen. Was jedoch meine Bühnentätigkeit betrifft, so bin ich zum ersten Mal doch etwas unsicher, ob und wie ich diese weiterführen kann. 

Wer derzeit zu Ihnen ins Programm kommt, der will einfach mal lachen, nicht? Man möchte diese ganze Coronawelt für einen Moment vor der Theatertüre lassen.

Anfangs Pandemie mochte es gar keinen Humor leiden, es herrschte fast eine heilige Stimmung. Ein paar Monate später wollten die Leute nur noch Witze über Corona hören, und wieder ein paar Monate später hatten sie das Thema so satt, dass sie gar nichts mehr hören mochten. Nun habe ich den ersten Auftritt seit zweieinhalb Monaten, es ist schwer zu sagen, wie die aktuelle Stimmung ist. Jene, die kommen, wollen sicher lachen – aber womöglich ist vielen Menschen nicht mal mehr zum Kommen zumute.

Eben erst mussten Ursus & Nadeschkin, ein sicherer Wert in der Schweizer Unterhaltungsbranche, ihre Auftritte in Bern absagen, weil kaum jemand ein Ticket gekauft hat.

Meine Tournee wäre ja im Mai zu Ende gegangen. Wir konnten aber an vielen schönen Orten noch nicht auftreten, wie in Biel. Darum wollte ich diese Auftritte im September nachholen und dachte, dann werde diese leidige Sache vorbei sein und die Menschen hätten wieder Lust auf Anlässe. Wenn ich aber gewusst hätte, in welche Zwickmühle wir im September geraten, hätte ich womöglich anders geplant. Ich bedaure es, dass die Kulturszene aufgerieben wird zwischen Massnahmengegnerinnen und Impfbefürwortern. Wir geraten in eine Front hinein, in die wir uns gar nie positioniert haben.

Aber warum ist das Publikum so zurückhaltend?

Es herrscht grosse Verunsicherung. Manche Menschen wissen gar nicht, welche Regeln nun gelten. Ich hatte zum Bespiel Rückmeldungen von Stammgästen, die nicht kommen wollten, weil sie fälschlicherweise dachten, sie müssten geimpft sein. Andere bleiben zuhause, weil sie sich gegen jegliche Massnahmen sperren. Und wiederum andere haben wohl keine Lust, zwei Stunden in einem Raum eine Maske zu tragen.

Das Open Air Gampel war ein grosser Erfolg, Fussballmatches finden wieder vor bis zu 30 000 Zuschauern statt. Warum ist das Kleinkunstpublikum ängstlicher?

Ich hätte auch gedacht, dass das Publikum voller Lust zurückkehrt. Diese Lust zeigt sich aber in den Theatern nicht. Es ist offenbar ein Unterschied, ob ein Anlass draussen oder drinnen stattfindet. Ich merke das ja bei mir selber auch.

Fürchten Sie, dass es für Künstler wie Sie nie mehr so sein wird wie vorher?

Wir müssen uns diese Frage zumindest stellen. Das Kino zum Beispiel wurde zwar schon oft totgesagt, aber mittlerweile haben sich eben tatsächlich auch die über 70-Jährigen an Netflix gewöhnt. Im Denken der Menschen und auch in meinem eigenen Leben hat sich in den letzten anderthalb Jahren so viel verschoben, dass ich nicht erwarten kann, dass künftig wieder alles so ist wie vorher. Es gibt keinerlei Garantie, dass der hiesige Kleinkunstbetrieb wieder so vital sein wird wie zuvor. Derzeit lässt sich das noch sehr schwer abschätzen. Sollte mich das Publikum nicht mehr sehen mögen, werde ich es halten wie Lorenz Keiser und sagen: Adieu, merci, Karriere beendet.

Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, Künstler würden aufgerieben?

Am Theater zeigt sich, dass wir wirklich in einer Krise stecken. Die Situation zwingt mich schier dazu, Stellung zu beziehen. Und genau das stinkt mir. Ich mache ja kein Programm zu Corona, es gibt für mich wichtigere Themen, etwa das Klima. Ob sich jemand impfen lässt, ist für mich etwas Privates, wie die Religion. Aber sobald ein privater Entscheid andere Menschen beeinträchtigt, ist er eben nicht mehr nur privat. Genau das ist jetzt der Fall, und das führt zum Dilemma: Je länger wir die Massnahmen ablehnen, desto länger braucht es sie. Lösen kann ich das nicht, will ich auch nicht. Und ich will mich auch nicht zum Anti-Rima machen und auf der Bühne für die Massnahmen werben.

Künstler wie Andreas Thiel haben sich klar positioniert und die Massnahmenkritik zu ihrer eigentlichen raison d’être gemacht. Ein solcher Weg – auf der anderen Seite – wäre für Sie also keine Option?

Genau das ist das Dilemma: Muss ich jetzt als plumper Pro-Massnahmen-Comedian auf die Bühne gehen, bloss um jemandem wie Andreas Thiel entgegenzuhalten, der sich komplett in einem Thema verrannt hat? Natürlich mache ich das nicht. Ich glaube auch nicht, dass es eine künstlerische Zukunft hat, bis ans Ende der Tage Massnahmenkritiker zu sein. So aber stehe ich zwischen den Fronten und werde aufgerieben.

Lässt sich denn überhaupt Corona auf der Bühne thematisieren, ohne dass sich die eine oder andere Seite vor den Kopf gestossen fühlt?

Die Schweiz hat eine gewisse Erfahrung mit Spaltungen, man denke etwa an die letzten Agrarinitiativen. Das waren aber Themen, bei denen ich das Gefühl hatte, ich könne vermittelnd auftreten. Schliesslich komme ich vom Land, lebe aber in Zürich. Ich konnte im Frühling in den hintersten Ecken des Landes sticheln und sagen, ich hätte auch was zur Agrarpolitik zu sagen, da ich als Steuerzahler die Landwirtschaft mitfinanziere. Das ging, das Lachen lockerte die Leute auf. Jetzt aber ist es so: Was man auch sagt, es ist falsch. Es ist dermassen eine Verhärtung da.

Wie gehen Sie auf der Bühne damit um?

Ich wechsle auf die Meta-Ebene. Ich rufe natürlich nicht direkt zur Impfung auf, aber ich kann ja auch nicht mit einem zwei Jahre alten Programm kommen und so tun, als sei in der Zwischenzeit nichts passiert. Ich passe es an die Aktualität an, aber den richtigen Ton zu treffen war noch nie so schwierig.

Wie beeinflusst diese Zeit ihr nächstes Programm?

Ich glaube, wir leben tatsächlich in einer Zeit des Umbruchs. Das Denken und Verhalten der Menschen verändert sich gerade in vielen Punkten. Dies zu spiegeln ist Thema meines nächsten Programms. Es geht gerade darum, dass es keine einfachen Antworten gibt und alles sehr kompliziert ist. Das klingt nach kabarettistischem Selbstmord, denn unser Job wäre ja eigentlich, Dinge zuzuspitzen und auf den Punkt zu bringen. Ich mache es trotzdem.

Immerhin dürften sich darin beide Seiten wieder finden.

Vielleicht. Es hat aber auch damit zu tun, dass ich dieses Land immer besser kenne. Witze über Frau Martullo-Blocher beispielsweise funktionieren überall. Wenn ich dann in Domat-Ems mit den Menschen rede, merke ich: Das wirkliche Bild ist differenzierter. Sie ist sehr beliebt und eine soziale Arbeitgeberin, es gibt Aspekte an ihrer Person, über die ich noch gar nie nachgedacht habe. Ohnehin, Kontakte mit den Menschen in diesem Land geben mir immer wieder zu denken. Da werden die Haltungen, die ich in meiner urbanen Bubble in Zürich pflege, stets auf die Probe gestellt.

Als Bühnenkünstler haben Sie doch immer schon den schweizerischen Konsens bedient.

Das hat mit dem hiesigen Humorverständnis zu tun. Wir sind ein zu kleines Land, als dass ich mich in einer Nische bewegen könnte. Ich könnte in den USA rabenschwarze ultralinke Satire machen und fände im TV immer noch ein Publikum von drei Millionen Menschen. Das funktioniert hier nicht.

Warum eigentlich nicht? In Österreich sind Satire und Kabarett viel angriffiger.

Das hat kulturelle Hintergründe. Ich bewundere den österreichischen und britischen Humor sehr, aber ich selber bin nicht so, ich bin nicht so aufgewachsen, und mein Publikum auch nicht. Es gibt Stellen in meinem Programm, da lacht seit zweieinhalb Jahren niemand, weil sie zu sehr wehtun. Letzthin aber in Bern lachte eine Frau in der hintersten Reihe lauthals. Es war eine gebürtige Wienerin. Es gibt einen einzigen Ort in der Schweiz, an dem es mehr verträgt, nämlich in Basel.

Warum?

Dort wachsen die Menschen mit einer zugespitzten Form des Humors auf, und mit der Schnitzelbank-Kultur sind sie es gewohnt, Themen in 16 Sekunden auf den Punkt zu bringen. Dort lacht das Publikum oft, bevor ich die Pointe gesagt habe, es antizipiert diese schon vorher. Ich habe das mal gemessen: In Basel dauerte mein Programm 17 Minuten weniger lang als am Abend zuvor in Bern.

Wie ist es in Biel?

In Biel herrscht eine grosse Offenheit. Biel ist einer der wenigen wirklich urbanen Orte der Schweiz, im Guten wie im Schlechten. Zudem: Bielerinnen und Bieler kann nicht mehr viel erschüttern.

Sie machen gerne mal einen Spruch auf Kosten der Politiker, damit lassen sich leicht Punkte holen. Handhaben Sie das auch weiterhin so, wenn ohnehin die Hälfte des Landes glaubt, der Bundesrat sei von Bill Gates gesteuert?

Auf die Mächtigen zu spielen, das ist ein Rezept, das bislang immer funktioniert hat. Nun aber finde ich mich plötzlich in der Situation wieder, für den Mainstream zu stehen. Als Massnahmenbefürworter werde ich für manche plötzlich zur Stütze der bösen Regierung in Bern. Ich habe gar nichts dazu getan, ich werde von einem Teil des Publikums so positioniert. Das werde ich im neuen Programm reflektieren.

Überlegen Sie sich nun also, für wen Sie Witze machen?

Nein. Ich mache jenen Witz, der für mich stimmt. Und ich kitzle gerne – in Bern mache ich keine Blocher-Witze, sondern stichle gegen Rot-Grün. Aber nun hat es Verschiebungen gegeben, die ich nicht für möglich gehalten hatte. Nur weil ich im Radio SRF auftrete, bin ich für manche ein Gehilfe des Berset-Regimes. Ob ich will oder nicht, ich finde mich in diese Rolle gedrängt. Im neuen Programm wird es darum gehen, zuerst aus dieser wieder herauszufinden.

Rechnen Sie also damit, einen Teil Ihres bis anhin sehr breiten Publikums zu verlieren, weil es Sie an einer Stelle verortet, wo Sie selber sich gar nicht sehen?

Das ist denkbar. Ich habe realisiert, dass es auch in der Schweiz eine ganze Menge Menschen gibt, von denen ich bislang dachte, sie existierten bestenfalls in den USA. Es sind Menschen, die eigentlich antipolitisch eingestellt sind und bislang ausserhalb der Gesellschaft und der politischen Meinungsbildung standen. Nun aber sind sie durch die Pandemie politisiert worden. Sie werden bleiben, die SVP umgarnt sie ja bereits. Sie werden bei den nächsten Wahlen erstmals an die Urne gehen, so wie eine Freundin von mir in Kentucky, die mit 50 zum ersten Mal wählen ging – Donald Trump war der erste, der sie erreicht hat.

Wird da nicht die integrative Kraft des Schweizer Systems zum Tragen kommen? Wenn etwa die SVP sie integrieren kann, werden diese Menschen ins politische System eingebunden und der Demokratie nicht abspenstig.

Sie sind ein Optimist. Das ist unser altes zivilgesellschaftliches Denken. Ich habe meine Zweifel, dass dies gelingt. Zumindest wird es hochinteressant zu beobachten sein und ich hoffe, dies weiterhin von der Bühne aus tun zu können – mit einem lebendigen Programm.

Ist denn Ihr jetziges, «Was würde Elvis sagen?», mittlerweile veraltet?

Elvis ist glücklicherweise derart unsterblich, dass er auch die Pandemie gut überstanden hat. Aber natürlich habe ich vieles im Programm angepasst – manche Dinge sind heute schlicht anders als 2019.

Elvis ist im Programm der stumme Zeuge, der für jede Lebenslage die passende Songzeile parat hat. Ist das auch in Ihrem persönlichen Leben so?

Ja, Elvis und Kuno Lauener wissen meistens Rat. Es gibt stets eine Zeile von einem der beiden, die mich wieder etwas munterer stimmt. Manchmal fragen mich Leute nach dem Auftritt, ob ich denn tatsächlich Elvis-Fan sei. Aber ich erzähle doch nichts Erfundenes! Wenn ich sage, dass ich 830 Elvis-LPs habe, dann stimmt das auch. Ausser dass es mittlerweile mehr sind.

Welcher Song würde denn zur jetzigen Zeit passen?

«Suspicious Minds» (ungefähr: «Misstrauische Köpfe») würde am besten passen. Mein Favorit ist derzeit aber «Walk a Mile in My Shoes» («Gehe eine Meile in meinen Schuhen»), um zu sagen: Derzeit haben wir alle es nicht allzu leicht.

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