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Biel

Was wir nicht dürfen, tun wir 
doppelt

Etwas nicht tun dürfen, heisst, es irgendwo anders doppelt tun.» Dieser Satz stammt von Robert Walser und ich frage mich, ob er stimmt.

Symbolbild Keystone
  • Dossier

Clara Cauthey, Redaktorin

Walser nennt ein schönes Beispiel: das unterdrückte Lachen. Das kitzele so wunderbar: es nicht loslassen zu dürfen, was doch so gerne hinausschiessen möchte. Ich stelle mir vor, wie dieses sprudelnde Gelächter im Bauch blubbernd hochsteigt, immer höher – und, aus Rücksichtnahme oder Anstand, nicht hinaus soll. So wie wir jetzt nicht hinaus sollen. Ich stelle mir vor, wie sich diese Energie umso heftiger entlädt, wenn sie es nicht mehr muss: drin bleiben. Wie sie vulkanartig herausbricht als leuchtende, hitzige Lava.

«Was nicht sein darf, was in mich hinab muss, ist mir lieb. Es wird dadurch peinlicher, aber zugleich wertvoller», schreibt Walser. Die verbotenen Früchte, die verbotene Liebe, von der wir nicht lassen können. Aber lässt sich das ins «Coronäische» übersetzen?

Werden Kontakte intensiver, weil wir uns lange nicht gesehen haben? Werden wir noch verrückter und gieriger die Welt bereisen als zuvor schon? Wird die Liebe der Fernbeziehungs-Paare explodieren? Werden die Kinder die Schulen euphorisch stürmen? Werden die Nach-Corona-Parties, von denen wir jetzt träumen, überhaupt stattfinden? Und werden wir Nachbarschaften haben, die durch das jetzige Miteinander zugewandt sind wie nie?

Oder werden wir nur müde blinzelnd in die grelle Sonne treten, die am Corona-Horizont aufgeht? Wintermüde von Enthaltsamkeit, benommen vom Entzug. Entwöhnt sozialer Interaktion und noch lange verloren in öden Tagen, unseren Träumereien, Sorgen und einsiedlerischen Gewohnheiten? Ich glaube, es wird eher so sein. Kein Fest, kein Taumel, kein unterdrücktes Lachen, das herausbricht, genussvoll und ekstatisch. Keine «Roaring Twenties», eher eine Art Schwarzwald-Klinik mit Menschen, die sich ihrer Krücken entwöhnen müssen, um weiterzulaufen.

Ich glaube nicht, dass ein Virus uns zusammenbringt, die Welt schöner, sauberer, besser oder konsumfeindlicher macht. Gefühle beschwört, die nicht da waren. Es ist wie mit dem Lachen: Der Auslöser ist da – oder nicht. Dann werden wir weitermachen, wo wir aufgehört haben. Oder eben von jenem Ort aus, an den uns die Entwicklungen stellen.

cgauthey@bielertagblatt.ch

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