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Biel

«Wenn man sich treiben lässt, gibt es keine Fehler»

Biel Ein Dialog der sonderbaren Art: Sie spricht ihre Texte und phrasiert sie immer wieder neu. Er improvisiert auf der Gitarre. Anna Frey und Flo Stoffner spielen am Sonntag im Café Atomic.

Ihre Musik funktioniert nur, weil sie sich in jeder Hinsicht aufeinander verlassen. Bild: zvg/Maxi Schmitz
  • Dossier
Vera Urweider
 
Es kann ganz schön eng werden. Eng und laut. Wenn im kleinen «Café Atomic» am Bieler Bahnhofplatz musiziert wird. Tagsüber, wenn da ein paar Seelen draussen an den runden Bistrotischchen ihren Kaffee schlürfen und drinnen Zeitung gelesen wird, kann man sich ja kaum vorstellen, dass da überhaupt Konzerte stattfinden. Doch das «Atomic»-Kulturprogramm ist vielschichtig und ziemlich dicht. Konzerte, Lesungen, Diskussionen. Ein Programmpunkt, der sich immer wieder wiederholt, sind die 18 Uhr-Sonntagskonzerte mit dem Namen «Atomic Fireside». Eine Kooperation des «Atomic», des Bieler Künstler- und Eventduos  Artimp und der Fireside-Hausband, das Improtrio Hans Koch, Tobias Schramm und Andi Marti. Manchmal bringen sie einen Gast mit. Und manchmal setzen sie auch aus. Dann kommt wer ganz anderes.
 
Genau die richtige Grösse für sie
«Ich kenne das Atomic noch von früher», sagt er. Er, Florian Stoffner, Gitarrist aus Zürich. Er habe da immer seinen Kaffee getrunken, wenn er in Biel geprobt habe. Stoffner ist kein unbeschriebenes Blatt in der Schweizer, ja sogar in der internationalen Improszene und deshalb auch musikalisch und freundschaftlich mit Biels Improvisateuren vernetzt. «Für uns hat es genau die richtige Grösse. So zwanzig, dreissig Leute, das ist die perfekte Publikumsmenge.» Uns, das ist Stoffner mit Duo- und Lebenspartnerin Anna Frey. Sie rapt. Und zusammen sind sie die Hälfte der Zürcher Band «Anna & Stoffner», parallel dazu das vollzählige Improduo «Anna Frey & Flo Stoffner».
 
Seit etwa vier Jahren haben sie sich der gemeinsamen Improvisation verschrieben, ganz ohne Schlagzeug. Nur Gitarre und Rap. «Das gibt einen ganz anderen Puls. Einen anderen Rhythmus», sagt Frey. Dann nämlich, wenn kein Schlagzeug dabei ist, entstehen dieser Puls und dieser Rhythmus während des Machens auf der Bühne. Aus dem Dialog zwischen Gitarre und Stimme. Jedes Mal etwas anders. Da es ja keine Kompositionen sind, sondern stets ad hoc improvisiert wird. «Ich komme ja aus der Impro-Szene», so Stoffner. Für ihn ist diese Arbeit also quasi normal. Und es ist für ihn beinahe besonders, wenn er in der Vierer-Kombo «Anna & Stoffner» komponierte Songs spielt. Oder auch früher, vor rund zehn Jahren, als die beiden auch bereits duellierten, aber eben komponiert und nicht improvisiert.
Doch das sei eine andere Geschichte. Das hat mit dem heutigen Improduo nichts zu tun. Nicht mal die Texte sind dieselben, geschweige denn ähnlich. Nun, wie improvisiert denn Frey ihre Texte? Als Rapperin?
 
Jein. Im Duo, wie sie am kommenden Sonntag im Atomic auftreten werden, benutzt sie eher Spokenword-Texte. Lyrisch. Komplex. Manchmal etwas hart.  Schon auch gerappt. Und aber gelesen. Sie erfindet die Texte nicht im Moment auf der Bühne, wie man bei «Improvisation» denken könnte. Sie sind ausgeschrieben. Frey improvisiert also nicht den Inhalt ihrer Stücke, sondern die Artikulation. Den Atem. Die Phrasen. Das wiederum hilft diesen einen immer wieder einzigartigen Rhythmus, gemeinsam mit Stoffners Gitarre, zu kreieren. «Ich staune manchmal selber, wie verschieden ich schreibe», sagt sie. Denn fürs Improduo benutzt sie ganz andere Strukturen als für die Viererband. «Der Text hat im Duo halt ein ganz anderes Gewicht und ist eben auch Teil der Rhythm-Section.»
 
Wenn man «Anna Frey & Flo Stoffner» zuhört, hat man manchmal das Gefühl, sie würden stolpern. Oder gar auseinanderfallen. Es kratzt mal. Mal hinkt es. Doch bleibt es immer ein Gemeinsam. Ein Gemeinsam mit Ecken und Kanten. «Diese Art von Gitarren-Text-Impro vor Publikum, das funktioniert wohl nur, weil wir uns so gut kennen und auch schon so lange gemeinsam musizieren», so Frey. «Wir hören auch viel zusammen Musik», ergänzt Stoffner, «und probieren einfach Dinge aus.» «Und dieses Magische, das wir jedes Mal irgendwie auf der Bühne kreieren, das entsteht nur, weil wir uns komplett aufeinander einlassen können», so Frey wieder.
 
Eigenständig und ebenbürtig
«Das Gute ist ja, bei dieser Art des Zusammenspiels – und durch unser gegenseitiges Vertrauen – gibt es eigentlich keine Fehler mehr», sagt Stoffner und spricht damit eben diese Stolperungen oder Ecken und Kanten an. «Man setzt das Bild einfach immer neu zusammen», sagt er weiter. Fehler entstünden ja sowieso nur, wenn man erstarre. Dieser Meinung ist auch Frey. Und doppelt nach: «Wenn man sich treiben lässt und einfach annimmt, was gerade geschieht, dann ja, gibt es keine Fehler mehr.» Auch für sie ist die Improvisation der Kern des Musikmachens. «Man hört enorm aufeinander. Und bleibt wach.»
 
Ein Dialog auf der Bühne also. Sie werfen sich den Ball hin und her, reagieren agil und manchmal sehr witzig aufeinander. Für beide wichtig und nicht zu unterschätzen: Stoffners Gitarre ist definitiv keine Hintergrundmusik zu Freys Texten. Es ist ebenbürtig. Und je eigenständig. Und trotzdem ein Gemeinsam. Mal stützt die Gitarre die Stimme, mal genau umgekehrt. Mal ist die Sprache Musik. Mal die Musik Sprache. Mal driften sie auseinander, dann finden sie wieder zueinander. Eben: ein Dialog. Und gleichzeitig ist es auch ein Dialog, zwischen ihnen und dem Publikum. Deshalb mögen sie die Grösse und die Intimität, die das «Atomic» bietet. Die Energie sei bei jedem Auftritt anders und die Zuhörenden spielen dabei eine richtig grosse Rolle. Das merke man eben besonders stark, wenn man nah am
Publikum dran sei.
 
Ende Dezember 2019, kurz vor der Pandemie, erschien das erste Album des Impro-Duos. Festgehaltene Improvisation also. Wenn man auf Repeat drückt, hört man immer wieder dasselbe. Und doch immer etwas Neues. Diese Kombination von Stimme und Gitarre, sie ist ungewohnt. Und vielleicht nicht in jeder Laune leicht zugänglich. Doch genau das macht sie so interessant. Hört man einmal rein, will man irgendwie wissen, wie die nächste Kante gemeistert wird. Zum Beispiel sonntags auf der «Atomic»-Bühne. 
Stichwörter: Musik, Café Atomic, Kultur

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