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Wenn nur die Heimat Bern die steile Karriere nicht mitkriegt

Nora Schmid wird Intendantin der Dresdner Semperoper. Der schwindelerregende Aufstieg einer Bernerin, die mit beiden Beinen auf der Brücke steht.

Opernintendantin Nora Schmid soll die "Perspektive Semperoper 2030" umsetzen. Bild: Raphael Moser

Michael Feller

«Hallo Nora!»

Kaum beginnen wir mit dem Fotoshooting auf der Kirchenfeldbrücke, winkt eine Schulfreundin von der anderen Strassenseite. Nora Schmid ist mal wieder in Bern, sie besucht mit ihrem Sohn ihre Mutter. Ein Jahr lang reiste sie pandemiebedingt nicht mehr in die Stadt, in der sie aufgewachsen ist. Und in der die Brücke steht, an die sie denkt, wenn sie an Bern denkt. Die Kirchenfeldbrücke hat sich bei ihr eingebrannt.

«In Bern habe ich nie das Gefühl, weg gewesen zu sein», sagt sie – obwohl sie seit Jahren im Ausland lebt und eine schier unglaubliche Karriere hingelegt hat. Nur in ihrer Heimatstadt hat man kaum Notiz davon genommen, dass sie sich zu einer der erfolgreichsten Schweizer Kulturmanagerinnen emporgeschwungen hat.

Seit 2015 ist sie Intendantin der Oper Graz. Immerhin das zweitgrösste Opernhaus Österreichs. Im Juni wurde bekannt, dass Schmid 2024 die Intendanz der Dresdner Semperoper übernehmen soll, eines der geschichtsträchtigsten Häuser im deutschsprachigen Raum.

Erwachen mit «Rigoletto»

Ihre Liebe für die Oper hat Nora Schmid im Stadttheater Bern entdeckt. Als Kind hatte sie jeweils mit ihrer Familie das Weihnachtsmärchen besucht, später war sie immer mal wieder im Theater. Dann gab es dieses Erweckungserlebnis. Sie war ein Teenager, als sie «Rigoletto» von Giuseppe Verdi sah. Mit der Sängerin Christine Schäfer in der Rolle von Rigolettos Tochter Gilda. «Der Vater meint es gut und verursacht das Schlimmste. Dann das tragische Ende. Das hat mich wahnsinnig berührt.»

Von da an drehte sich bei ihr alles um das Musiktheater. Sie kaufte sich Opernführer, CDs, Klavierauszüge und nahm Gesangsunterricht. Sie wollte Opernsängerin werden. Bald sang sie im Extra-Chor des Stadttheaters. Vor jeder Vorstellung ging sie, schon damals passionierte Fussgängerin und Aare-schwimmerin, vom elterlichen Zuhause im Berner Kirchenfeldquartier über die Kirchenfeldbrücke ins Theater. «Das hat mir viel gegeben. Wenn ich nicht auftrat, stand ich still neben der Bühne und beobachtete», sagt sie.

Schönster Arbeitsweg

Irgendwann wurde ihr klar, dass ihre Rolle nicht auf der Bühne sein würde. Sie studierte Musikwissenschaft und Betriebswirtschaft. Mit ihrer Fächerkombination war sie eine Exotin, im Nachhinein wirkt ihre Studienwahl wie der kalkulierte Beginn ihres späteren Werdegangs. Nora Schmid verneint. «Ich habe meine Karriere nie geplant. Ich hatte das Glück, immer wieder Menschen zu treffen, die an mich geglaubt haben und vielleicht auch mal im richtigen Zeitpunkt den ‹Stupf› gegeben haben, etwas zu wagen.»

Nach dem Studium arbeitete Schmid zuerst bei der Basel Sinfonietta, zog dann nach Berlin, wo sie bei der Staatsoper Unter den Linden im Marketing mitwirkte. 2005 wurde sie Musiktheaterdramaturgin im Theater Biel-Solothurn. Von da an ging es schnell. Zwei Jahre später wurde sie Dramaturgin am Theater an der Wien. Wiederum drei Jahre später zog es sie ein erstes Mal an die Semperoper Dresden.

In Dresden wohnte sie auf der anderen Seite des Flusses, der Elbe, und wieder war es eine Brücke, die sich ihr einbrannte. Sie spazierte jeden Morgen über die Augustusbrücke. «Einen schöneren Arbeitsweg kann man sich nicht vorstellen. Wenn ich über eine Brücke gehe, ist etwas im Fluss. Die Wahrnehmung ist geschärft. Das habe ich gerne.»

In Dresden stieg sie zur Chefdramaturgin unter Intendantin Ulrike Hessler auf – eine ihrer Förderinnen, die allerdings schwer erkrankte und verstarb. So gehörte Nora Schmid ab 2012 zum interimistischen Leitungsteam der Semperoper. Ihr Wechsel nach Graz bedeutete für sie die erste Gesamtverantwortung – über einen Betrieb mit Hunderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit einem Saal, der 1200 Menschen fasst, der doppelt so gross ist wie das Stadttheater Bern.

Sie setzte auf Klarheit in der Kommunikation, hatte ein offenes Ohr und eine offene Bürotür – woran sich die hierarchiegewohnten österreichischen Mitarbeitenden erst gewöhnen mussten. Während in Bern die Kollegin von früher quer über die Brücke grüsst, ist sie in Graz zu einer Person der Öffentlichkeit geworden. In einer Gruppe Menschen erkennt sie bestimmt immer jemand, daran hat sie sich gewöhnt. Opernabonnentinnen sprechen sie auf der Strasse an. Mehrere People-Blätter bringen jede Woche Bildergalerien von Promis, und da ist sie regelmässig vertreten.

Wieder ein Riesenschritt

Der Laden läuft, und deshalb ist sie längst jedes Mal auf dem Zettel der Headhunter gelandet, wenn irgendwo eine Intendanz neu zu besetzen war – zumal sie noch jung ist und doch schon viel Erfahrung mitbringt. So wurde sie etwa als Nachfolgerin von Robert Meyer an der Volksoper Wien gehandelt. «Es war nie etwas unter den Angeboten, für das ich Graz aufgegeben hätte», sagt sie. Bis Dresden anklopfte.

Der nächste Wechsel ist ein Riesenschritt. Ein weiterer. «Immerhin heisst es nicht mehr so oft: ‹Die ist aber noch jung dafür›», sagt die 42-Jährige und lacht. Wobei die Frage «Ob die das kann?» bei Nora Schmid definitiv hinfällig geworden ist, was vor allem daran liegt, dass sie an allen Stationen gute Arbeit geleistet hat. Mit Akribie, Sinn für Ästhetik – und Sinn für die Geschichte ihrer Wirkungsstätte. Diese wird in Dresden besonders hochgelobt. Hier wurden diverse Opern von Richard Strauss uraufgeführt. Vor knapp 80 Jahren wurde die Semperoper zerstört, 1985 wurde sie wiedereröffnet.

Doch die Semperoper soll vorwärtsblicken. Die sächsische Kulturministerin Barbara Klepsch – sie ist direkt verantwortlich für die Besetzung der Staatsoper-Chefposten – hat die «Perspektive Semperoper 2030» ausgerufen. Wie Nora Schmid diese Erneuerung anpacken wird, will sie drei Jahre vor der neuen Aufgabe nicht sagen. «Darüber zu sprechen, ergibt erst Sinn, wenn ich ein Saisonprogramm präsentieren kann.»

Vorerst geniesst sie den Rest der Ferien. Wandern in den Bergen, vielleicht reichts noch für einen Aareschwumm. Und dann gehts zurück nach Graz, wo sie bis 2023 noch zwei Spielzeiten verantwortet. Parallel dazu laufen die Planungen für die neue Aufgabe in Dresden – und da ist sicher auch die Vorfreude auf den schönsten Arbeitsweg der Welt über die Augustusbrücke.

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