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Oper

Wer wagt gewinnt, aber nicht immer

Die Oper «Eiger» von Autor Tim Krohn und Komponist Fabian Müller hat am Samstag Premiere am Stadttheater Solothurn gefeiert. Die Produktion zeugt von Mut. Aber sie erschüttert auch.

Touristen nehmen die spektakulären Vorgänge am Eiger ins Visier. Bild: zvg/Suzanne Schwiertz

Annelise Alder

Worin liegt der Reiz des fast Unmöglichen? Nämlich einen Berg zu bezwingen, der bislang als unbezwingbar galt? Die Oper «Eiger» von Autor Tim Krohn und Komponist Fabian Müller gibt mögliche Antworten.

Die Handlung spielt im Jahr 1936. Bis dahin waren erste Versuche, die Eigernordwand zu bezwingen, gescheitert. Nun versuchen es vier testosterongeschwängerte Männer, sich selber und der Welt etwas zu beweisen. Sie sind in zwei Seilschaften unterwegs. Bei ihrem ersten Zusammentreffen wird klar: Es geht auch um Konkurrenz. Zwei Deutsche gegen zwei Österreicher, wobei letztere, nämlich Eduard Rainer (Wolfgang Resch) und Willy Angerer (Jonathan Macker) SA-Mitglieder sind. Das verleiht der Rivalität zusätzliche Brisanz.

«Wir übernehmen die Führung», sagen die Österreicher. «Sollen sie am Berg sterben, dann richten sie am Boden weniger Unheil an», sagen die Deutschen. Sie beschliessen trotzdem, zusammen weiter zu klettern. Schliesslich verfolgen alle dasselbe Ziel: den Berg zu besiegen.

 

Ist man einmal in der Wand, gibt es kein Entrinnen mehr

Das Vorhaben wird scheitern. Das verraten bereits die allerersten Takte Orchestermusik. Es sind tiefe, bedrohliche Töne, die aus dem Graben heraus den Raum des Stadttheater Solothurn füllen. Dann fallen erste Steine vom Berg. Ihr Getöse geht unter die Haut, was der simplen, aber wirkungsvollen Kletterwand von Alain Rappaport zu verdanken ist.

Willy Angerer ist der Erste, den der Mut verlässt. Er fände es doch schöner, zuhause Kuchen zu essen, als zu klettern. Schliesslich hat er bald Geburtstag. Seine Vorahnung hat ihn nicht getäuscht: Er fällt dem Steinschlag zum Opfer.

Rainer geht es beim Klettern nicht darum, den Gipfel zu erklimmen. «Die Schwerkraft besiegen und sich frei fühlen.» Das ist es, was er sucht. Er wird der Illusion erliegen.

Es bleiben Hinterstoisser (Robert Koller) und Toni Kurz, der von Alexander Kaimbacher vortrefflich verkörperte Leader der Gruppe. Sie wissen beide: Einmal in der Wand, gibt es kein Entrinnen mehr. Das Seil am heute noch benannten «Hinterstoisser-Quergang» ist abgezogen. «Der einzige Weg führt über den Berg», singt Toni selbstbewusster Stimme.

 

Regie, Textbuch und Musik liegen in Schweizer Hand

Theater Orchester Biel Solothurn (Tobs) beweist einmal mehr grossen Mut. Dieses Mal nicht mit einer Opern-Rarität. Diese ist nebenbei in der nächsten Premiere zu erwarten. Vielmehr setzt Tobs mit «Eiger» auf einheimische Kräfte und weckt damit weitherum Begeisterung, wie die positiven Besprechungen der Bieler Premiere belegen.

Die Spannung während der rund 80 Minuten Dauer der Oper lässt nie nach. Fabian Müller packt das Hoffen und Leiden der Männer, die Ästhetik und das Bedrohliche des Bergs in illustrative und farbenreich schillernde Musik. In dieser Fassung der Oper für kleines Orchester dominieren Streicher, Schlagwerk und Blechbläser, wobei das Horn als alpenländisches Klangkolorit besonders prominent eingesetzt wird. Die Oper hat im Sinfonieorchester Biel Solothurn unter der Leitung von Kaspar Zehnder wahrlich engagierte Fürsprecher gefunden.

 

Tiefgang dank Visionen, Videos und Touristen

Den realen Kletterkünsten der vier Männer setzt der deutsch-schweizerische Textautor Tim Krohn (Traum-)Visionen entgegen: Da ist die Liesl (Adi Denner), die Schwester von Toni, die ihm nachts im Traum erscheint. Sie ist als Braut verkleidet, schliesslich will Hinterstoisser sie bald heiraten.

Da sind ein Berggeist (Natalia Pastrana) und der Erstbesteiger Sedlmayr, dessen Leiche die Wagemutigen zu ihrem Entsetzen entdecken und sie zur Umkehr veranlassen.

Die Vorgänge am Berg erschüttern. Umso mehr, als dass die Schweizer Regisseurin Barbara-David Brüesch sie mit dem beschaulichen Leben argloser Touristen kontrastiert. Der Berg dient ihnen einzig als prächtige Kulisse. Sichtbar gemacht wird der Kontrast durch die bunten Kostüme von Sabine Blickenstorfer, die sich vom Grau-Beige-Weiss der Kletterpioniere abheben.

Das Bindeglied zwischen diesen beiden Zeitebenen bildet der Streckenwärter Albert von Allmen (Walter Küng in einer Sprechrolle). Er nimmt das Treiben von damals wie heute auf stoische Art ins Visier. Aus ihm spricht lebenslange Erfahrung. Er scheint die Menschen und ihre Begehren zu kennen. Und er weiss um die Faszination des Eigers als gewaltige Naturschönheit, aber auch als eine den Menschen weit überlegene Naturgewalt. Selbst der Retter (Konstantin Nazlamov) kann gegen diese Übermacht nichts ausrichten.

Stichwörter: Oper, Kultur, Tobs, Biel

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