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Literatur

«Wertschätzung muss man üben»

BT-Kolumnist Niklaus Baschung hat sein drittes Buch mit ausgewählten Texten veröffentlicht. Er erweist sich in diesen immer wieder als Menschenfreund – gibt im Gespräch aber zu, dass ihm diese Haltung bisweilen schwerfällt.

Niklaus Baschung: «Mit Ironie finde ich einen Umgang mit Dingen, die ich unfassbar finde.» copyright: matthias käser/bieler tagblatt

Interview: Tobias Graden

Niklaus Baschung, sind Sie ein freundlicher Mensch?
Niklaus Baschung: Ich bin ein wertschätzender Mensch. Ich will das sein, auch gegenüber Haltungen, die ich nicht teile. Ich habe natürlich meine Meinung, versuche aber auch, die gegenteilige zu verstehen.

Ihre Kolumnensammlung trägt den Titel «Freundlichkeit ist ansteckend». Ist Freundlichkeit ein Symptom von Wertschätzung?
Ursprünglich wollte ich folgenden Titel setzen: «Die Welt geht heute noch nicht unter». Das war aber vor dieser Pandemiegeschichte – und das Thema Freundlichkeit zieht sich in Ansätzen durch alle Texte. Es ist so: Mich interessieren die Menschen. Darum ist Wertschätzung eigentlich der bessere Begriff als Freundlichkeit.

Fällt es Ihnen manchmal auch schwer, eine wertschätzende Haltung einzunehmen?
Manchmal sehr, ja. Für viele Kolumnen ist ein Gefühl der Auslöser – und zwar oft ein negatives Gefühl, ein Ärger. Das Kolumnenschreiben ist für mich dann auch eine Verarbeitung eines solchen Erlebnisses. Ich erwecke während des Schreibens bei mir selber das Verständnis für das, was mich verärgert hat.

Man muss die Wertschätzung also üben, damit man sie nicht verliert?
Ja, man muss sie üben. Ich bin jetzt 65 und kann sagen: Mit 20 war ich überhaupt nicht wertschätzend. Da hatte ich eine Meinung, diese war richtig, und wer das nicht begriff, war ein Arschloch. Heute kann ich viel besser andere Meinungen gelten lassen. Und wichtig ist eben das «anstecken»: Wer Menschen mit einer wertschätzenden Haltung begegnet, kommt näher an sie heran, und diese lassen mehr zu. Man erreicht sie besser mit Freundlichkeit und Wertschätzung.


Aber sie ist mehr als eine Taktik, sondern eine Lebenshaltung. Mein Eindruck über all die Jahre, den ich aus Ihren Kolumnen gewonnen habe: Sie sind ein Menschenfreund.
Das ist eine schöne Umschreibung. Doch das beste Kompliment, das man mir für eine Kolumne machen kann, ist, wenn mir jemand sagt, ich hätte genau seine Meinung ausgedrückt – dabei aber nicht merkt, dass ich genau ihn porträtiert habe, weil mich etwas an ihm stört. Dann…

…lächeln Sie auf den Stockzähnen und sagen, er solle den Text doch noch einmal lesen?
Ich lächle und denke: Ist doch gut, er hat immerhin einen Zugang gefunden. Wenn ich nur von der Anfangssituation meines Ärgers geschrieben hätte, könnte er die Kritik wohl gar nicht annehmen.

Ist es nicht bisweilen schwierig, die Menschen zu lieben?
Es ist nicht so, dass ich ausnahmslos alle Menschen liebe. Ich finde durchaus nicht alles gut. Und es gibt auch Themen, die sich für meine ironische Art des Kolumnenschreibens nicht eignen. Manchmal hilft mir Selbstironie: Damit kann ich an meinem Beispiel ein Verhalten kritisieren, das ich selber gar nicht ausübe, es aber sozusagen stellvertretend auf mich nehme.

Inwiefern fusst Ihre Haltung des Wertschätzens auf einer christlichen Grundhaltung?
Ich arbeite zwar für die katholische Kirche, habe aber nicht in allen Fragen die gleiche Haltung wie sie. Ein Begriff, der für mein christliches Verständnis aber sehr wichtig ist, ist die Gerechtigkeit.

Womit füllen Sie diesen Begriff?
Ich meine damit, dass jeder Mensch ähnliche Lebenschancen verdient. Mich stört zum Beispiel auch, dass wir hier zum Teil auf Kosten anderer Teile der Welt leben. Ich achte jedoch darauf, dass ich in meinen Kolumnen nicht moralisiere oder belehrend wirke. Denn was gerechtes Verhalten konkret heisst, weiss ich manchmal selber nicht. Aber ich wünsche mir, dass wir eine gerechte Haltung gegenüber der ganzen Schöpfung einnehmen – wenn man es in christlicher Terminologie ausdrücken will.

Sie schreiben im Vorwort, Ihre Texte verbinde ein «verwundert-ironischer Blick auf die Welt». Warum nehmen Sie diesen Blick ein?
Ich bin so aufgewachsen. Ironie ist eine Lebenshaltung, ein Umgang mit den Dingen, die passieren. Doch es kann heikel sein – manche Menschen können mit Ironie überhaupt nichts anfangen. Ich dagegen finde mit ihr einen Umgang mit Dingen, die ich anderweitig nicht verarbeiten kann, die ich unfassbar finde. Und da kommt die Verwunderung mit hinein: Ich wundere mich einfach, was auf dieser Welt alles möglich ist.

Ironie ist aber auch eine Möglichkeit zur Distanz.
Das stimmt. Vielleicht braucht es Distanz, um den Menschen gleichwohl mit Wertschätzung begegnen zu können (lacht). Aber klar: Mit meinen Nächsten gehe ich nicht ironisch um, ich führe durchaus echte Beziehungen in meinem Leben.

Sie schreiben weiter, dieser Blick sei für Sie «eine Lebens-, manchmal gar Überlebensstrategie». Fühlen Sie sich bisweilen fremd auf dieser Welt?
Ja, das kommt vor. Starke Aggressionen zum Beispiel kann ich nicht nachvollziehen, und Dummheit – die auch von intelligenten Menschen ausgehen kann – macht mich fassungslos.

Sie scheinen gemäss Ihren Kolumnen Mühe zu haben mit der Gegenwart, mit Phänomenen wie Beschleunigung oder der Entwicklung der Technologie. Hätten Sie lieber in einer anderen Zeit gelebt?
Ich bin froh, in den 50er- und 60er-Jahren aufgewachsen zu sein. Mir scheint, für mich als Kind und Jugendlicher gab es damals mehr Freiheiten als heute. Ich bin als 17-Jähriger fünf Wochen lang durch Frankreich getrampt, meine Eltern wussten nicht, was ich mache, ich habe eine einzige Karte nach Hause geschickt – und niemand brauchte gross Angst zu haben. Ich habe diese Zeit als sehr offen erlebt.

Aber man hat heute doch mehr Möglichkeiten.
Da kommt eben wieder die Selbstironie ins Spiel. Ich wundere mich ja bisweilen selber, welche Mühe ich habe gerade in technischen Dingen. Und natürlich schätze ich auch die Gegenwart sehr – ich konnte zum Beispiel dank des gesellschaftlichen Wandels eine andere Vaterrolle einnehmen, als dies bei meinem Vater der Fall war. Gerade das Verhältnis der Geschlechter hat sich klar zum Besseren hin entwickelt.

Ihre Texte verbindet jedenfalls eine heitere Grundhaltung zu Beobachtungen im Alltag. Scheuen Sie sich vor wirklich schweren Themen – vor solchen, die mit Verwunderung und Ironie nicht zu bewältigen sind?
Ich scheue mich davor, sie zu Kolumnenthemen zu machen. Ich habe beispielsweise nicht über die Pubertät meines Sohnes geschrieben, die für beide Seiten eine herausfordernde Zeit war. Das wollte ich nicht an die Öffentlichkeit bringen. Es gibt aber auch Kolumnen von mir, die gar nicht ironisch sind. Doch ich will mit meinen Texten auch ein Gegengewicht schaffen zu all den schweren Themen, die zur Genüge in der Zeitung stehen.

Seit 1997 haben Sie Ihr eigenes Gefäss im «Bieler Tagblatt». Ist Ihnen in den fast 25 Jahren nie die Inspiration abhandengekommen?
Nicht oft. Ich gehe mit einem Blick durch die Welt, der ständig nach möglichen Kolumnenthemen sucht. Ich ertappe mich aber bisweilen bei der Furcht, ich könnte die Leute langweilen.

Weihnachten findet in dieser Kolumnensammlung mehrmals statt – was bedeutet Weihnachten für Sie?
Es ist für mich die Zeit bewusster Beziehungspflege. Ich melde mich bei Bekannten, ich erinnere mich daran, mit wem ich vernetzt bin, mache mir bewusst, wer mir wichtig ist im Leben und ich verschicke einen Jahresbrief an mein Umfeld. Aus religiöser Sicht ist mir Ostern wichtiger.

Im Coronajahr könnte das Weihnachtsfest besinnlicher sein als auch schon, weniger materiell ausgerichtet. Das ist wohl in Ihrem Sinne?
Für mich ist der Konsum an Weihnachten kein wichtiges Thema. Ich finde, die Leute haben Geschenke verdient und man soll sie beschenken, auch ich werde gerne beschenkt und ich schenke gerne. Relevanter scheint mir, dass uns gerade jetzt stärker bewusst wird, wie wichtig Begegnungen für unsere Gesundheit und das Wohlbefinden sind.

Info: Niklaus Baschung: «Freundlichkeit ist ansteckend», Eigenverlag, 160 Seiten, Fr. 19.90. Erhältlich über die Website des Autors: www.niklaus-baschung.ch.

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