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Popmusik

«Wir brauchen positive Energie»

Der Engländer Jack Savoretti, der im Tessin aufgewachsen ist, eroberte sein Publikum mit rauem Timbre und mediterranem Charme. Nun bietet er auf «Europiana» auch sommerliche Disco-Rhythmen.

Jack Savoretti: "Ich versuche bewusst, gute Laune zu wecken." Bild: zvg

Interview: Reinhold Hönle

Jack Savoretti, welche Mannschaft unterstützen Sie bei der Fussball-EM?

Jack Savoretti: Da mein Vater Italiener ist und ich in der italienischen Schweiz aufgewachsen bin, schlägt mein Herz für die Azzurri. Mein Sohn, der in London geboren wurde, unterstützt das englische Team. Ich versuche ihn aber gerade wieder auf unsere Seite zu ziehen.

Welche Fussball-Erfahrungen als Spieler und Zuschauer sind Ihnen besonders präsent?

Ich spielte sehr kurz für den FC Lugano und dann für Carona, das Dorf, in dem ich wohnte. Eines der tollsten Erlebnisse meines ganzen Lebens war das WM-Finale in Berlin 2006, in dem Italien im Penaltyschiessen gegen Frankreich gewann.

Der Grund, weshalb wir uns unterhalten, ist aber nicht die Europameisterschaft, sondern «Europiana». Weshalb haben Sie Ihr neues Album so getauft?

Da ich mich die meiste Zeit meiner Karriere keinem bestimmten Genre zugehörig fühlte, weder zu Folk, Pop oder Rock, noch zu Hiphop, Latin oder Jazz, war ich irritiert und fragte mich, wie ich meine Musik wohl bezeichnen könnte. Eines Tages sagte jemand, sie würde europäisch klingen, also «Europiana», und ich dachte: Genau, das ist der Titel.

Viele Ihrer Songs haben das Flair von Canzoni und Chansons, einige sind von Disco und Soul beeinflusst. Welche Künstler haben Sie inspiriert?

Phoenix, Daft Punk, Julio Iglesias, ABBA, Georgio Moroder, Battisti, Mina, Battiato und andere, die zur Vielfalt der europäischen Kultur beitragen.

Für mich ist das Album ein richtiger Aufsteller …

Genau, darum geht es, das brauchen wir! Es ist das erste Mal, dass ich bewusst gute Laune zu wecken versuchte. Starke Gefühle wollte ich früher schon vermitteln, aber welche, war weniger klar definiert. Die Songs sollen glücklich machen. Nach diesem harten Jahr brauchen die Menschen positive Energie. Ich hoffe, meine Musik trägt ihren Teil bei.

Die raue Stimme ist Ihr Markenzeichen. Wie sind Sie zu ihr gekommen?

Das hat sicher mehr mit Lebensstil als mit Talent zu tun! (Lacht) Früher bereitete es mir Sorgen, wie sich meine Stimme verändert. Heute nehme ich es gelassener, mag es sogar, dass sie reflektiert, wer ich gerade bin.

Wie würden Sie Ihre Stimme beschreiben?

Sie ist wie ein oft benutzter Koffer, der an den Ecken abgewetzt ist. Man hört ihr definitiv an, dass ich die letzten 15 Jahre auf Tournee war.

Wie kam Sie auf die Idee, Ihre Familie in «Europiana» einzubauen?

Als ich wegen der Coronakrise viel Zeit mit ihnen verbrachte, hat mich das beim Songschreiben beflügelt. So sollte meine Familie auch ein Teil des Albums werden. Am Anfang sind meine Frau und meine Tochter zu hören, am Schluss meine Tochter und mein Sohn.

In «I Remember Us» erinnern Sie sich an die erste Zeit mit Ihrer Frau. Wie haben Sie sich kennengelernt?

Wir sind uns an der Geburtstagsparty eines Freundes begegnet. Es war Liebe auf den ersten Blick. Danach wusste ich jedoch erst ihren Namen und dass sie in einem Restaurant jobbte, das gleich gegenüber des Tonstudios lag, in dem ich arbeitete. Ich getraute mich jedoch nur, ihr kurz «Hallo» zu sagen, und ging dann wieder. Glücklicherweise fand sie nach einer Telefon-Odyssee meine Nummer heraus und rief mich an, um sich mit mir auf einen Drink zu verabreden.

Sie sind inzwischen 15 Jahre zusammen. Gerade im Showbusiness keine Selbstverständlichkeit. Was ist Ihnen in Ihrer Beziehung besonders wichtig?

Die Liebe, viel, viel Liebe! Das Leben ist ein grosses Abenteuer und in einer Partnerschaft gibt eine Menge Probleme, die es zu lösen gilt. Das ist nicht leicht. Es gibt keine perfekte Beziehung, aber solange genügend Liebe im Spiel ist, macht es Sinn, den Weg gemeinsam zu gehen.

Wie haben Sie sich unterwegs verändert?

Gute Frage … Am Anfang war ich ein unsicherer junger Kerl und sie ein Mädchen. Zusammen entwickelten wir uns zu Mann und Frau. Wenn man sich gegenseitig beim Wachsen zusieht, realisiert man auch, wie man nicht werden möchte. Trotz oder gerade wegen unserer Fehler blieben wir uns nahe. Ich denke, wir haben gelernt, uns nicht zu verurteilen und Geduld zu haben. Wir akzeptieren uns, wie wir sind.

Obwohl Ihre Single «Who’s Hurting Who» heisst, klingt sie beschwingt und funky, nicht zuletzt dank Nile Rodgers. Wie konnten Sie ihn gewinnen?

Mein Co-Autor kennt Nile Rodgers gut und meinte, es wäre super, ihn an der Gitarre zu haben. Er ist eine lebende Legende. Als seine Musik aus den Hinterhof-Clubs von New York emporstieg und die Welt eroberte, veränderte dies auch die musikalische Landschaft in Europa. ABBA, Phoenix oder Daft Punk hätte es ohne Nile Rodgers und Chic wohl nie gegeben.

Wo wurde der Videoclip gedreht, der aussieht wie ein Film aus den 60er-Jahren?

Er entstand in Portofino, an der ligurischen Küste. Ich habe jeden Sommer meiner Kindheit bei meinen Grosseltern in den Cinque Terre verbracht. Der Audi 90, den ich im Video fahre, ist ebenfalls eine Hommage an jene Zeit.

Wie nostalgisch waren die «Europiana»-Aufnahmen in den Abbey Road Studios?

Diese zehn Tage waren pure Magie! Das Studio 2 ist quasi ein heiliger Ort. Dort entstanden alle Beatles- und Pink-Floyd-Alben.

Sind Sie auf Relikte von damals gestossen?

Ja, Mrs Mills, ein wunderschönes Steinway-Klavier, das nach einer englischen Pianistin benannt wurde, die in den Sixties oft darauf gespielt hatte. Die Beatles haben es in Songs wie «Lady Madonna» verwendet. Es kommt bei mir fast auf dem ganzen Album vor.

Wo kann man es besonders gut heraushören?

Zum Beispiel auf «The Way You Say Goodbye» und «When You’re Lonely».

Sie sind im Tessin aufgewachsen. Wie kam es dazu?

Weil mein Vater im Schiffsverkehr tätig war, haben wir ihn in meiner Kindheit selten zu Gesicht bekommen. So beschlossen meine Eltern nach Lugano zu ziehen, wo er eine Stelle fand, bei der er nicht mehr dauernd auf Reisen war. Ich konnte eine tolle amerikanische Schule in Lugano besuchen, wo ich verschiedene Kulturen, Sprachen und die Musik kennenlernte. Ich bin sehr glücklich, dass ich in diesem Umfeld aufwachsen durfte. Die habe auch die Natur genossen, die nirgends so schön ist wie in der Schweiz.

Haben Sie noch Kontakt zum Tessin?

Ja, mein Vater lebt noch in Carona, auf dem Rücken des Monte San Salvatore, wo ich ihn oft besuche.

Sind Sie eigengtlich schon einmal beim «Moon & Stars» auf der Piazza Grande von Locarno aufgetreten?

Leider nein! Das ist eines der Festivals, an denen ich liebend gerne spielen würde. Ich warte sehnsüchtig darauf, dass ich angefragt werde. Ich würde mit der Zusage keinen Augenblick zögern. Das Montreux Jazz Festival und Zermatt Unplugged, aber auch das Blueballs Festivals in Luzern sind weitere Favoriten. Die Schweizer können Festivals, das ist sicher!

Zur Person

  • Jack Savoretti wurde am
10. Oktober 1983 in London als Sohn eines Italieners und einer Engländerin geboren.
  • Nach seiner Jugend im Tessin kehrte er nach England zurück, wo er 2006 seine erste Single veröffentlichte. Der Durchbruch gelang ihm erst 2015 mit dem vierten Album «Written In Scars», das seinen ersten Hit «Home» enthielt.
  • Das letzte Album «Singing to Strangers» mit dem Ohrwurm «Candlelight» erreichte in England Platz eins.
  • «Europiana» (Universal Music, erschienen Ende Juni) enthält neben seinen vertrauten Popballaden mit teils bondesken Arrangements, denen er mit seinem rauen Timbre den Stempel aufdrückt, neu auch Disco-Einflüsse, die ihnen sommerliche Leichtigkeit verleihen.
  • Savoretti tritt am 9. November im Luzerner KKL und am
20. März 2022 im Zürcher Volkshaus auf. rhö

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