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Martin Suter und Stephan Eicher

«Wir streiten noch nicht miteinander»

Der Schriftsteller Martin Suter und der Musiker Stephan Eicher landen mit «Song Book» den ersten grossen gemeinsamen Wurf. Er reflektiert ihre Künstlerfreundschaft stimmungsvoll, phantasiereich und selbstironisch.

Martin Suter (l.) und Stephan Eicher zeigen sich nicht nur beim Fototermin stilvoll, aber nicht steif. Bild:zvg/Vera Hartmann

Interview: Reinhold Hönle


Stephan Eicher, Martin Stuter, was haben Sie empfunden, als Sie vor bald 12 Jahren die erste Frucht Ihrer Zusammenarbeit gehört haben?
Martin Suter (MS): Ich lag auf Ibiza mit einer Erkältung oder Grippe im Bett, als «Weiss nid was es isch», dass ich erst am Vortag geschrieben und gemailt hatte, vertont und gesungen zurückkam. Ich dachte: «Genauso muss es klingen!» Diesen Gedanken habe ich nicht jedes Mal, aber immer wieder, wenn wir zusammenarbeiten.
Stephan Eicher (SE): Meine Erfahrung ist jüngeren Datums, da ich mich immer von seinen Texten inspirieren liess. Bei den letzten beiden Liedern auf «Song Book» war es erstmals umgekehrt. Als er mir den Text «Ds alte Paar» zu meinem Stück schickte, habe ich vor Rührung geweint. Ich habe sofort daran gedacht, wie meine Eltern aus ihrem Haus ins Altersheim zogen. Das hat mich ziemlich umgehauen. Auf diesen schwierigen Schritt wird man weder in der Sekundarschule noch an der Uni vorbereitet.


Welche Ideen liefern Sie dem Koautor mit?
SE: Es ist nicht so, dass mir Martin sagt, welche Musik er sich zu einem Text vorstellt. Oder nur selten. Er sagt ja immer, er will eine Country-Nummer! (lacht) Nein, ich glaube, wir lassen uns maximale Freiheit: Jeder macht seine Arbeit und hofft auf die bestmögliche Ergänzung des anderen, der meistens weit weg ist. Und jedes Mal ist das Produkt grösser als das, was jeder von uns allein könnte. Das erzeugt in mir ein extremes Hochgefühl – wie alle Sachen auf dieser Welt, die gelingen, weil Menschen gut zusammenarbeiten.


Wie nimmt ein Schriftsteller diese zusätzliche Dimension wahr?
MS: Bisher war es den meisten Leuten nicht bewusst, dass ich hin und wieder einen Text für Stephan schreibe. Da es nun erstmals ein ganzes Album ist und wir gemeinsam auf Tournee gehen
werden, könnte sich das nun ändern.
Generell sind Songtexter aber ebenso wenig im öffentlichen Bewusstsein wie Drehbuchautoren. Es gibt nur wenige Eingeweihte. Einmal bin ich jedoch einem begegnet, als ich mit dem Zwillingskinderwagen an der Limmat spazieren ging. Ein Velofahrer, in dessen Anhänger zwei Kinder sassen, hat angehalten und gefragt: «Zrügg zu mir – wem sagt er das?» Ich antworte: «Dem Neuen sagt er das über seine Ex». Worauf er aufatmet: «Gut, das habe ich mir gedacht!»
(«Zrügg zu mir» ist eine Zusammenarbeit von 2007, Anm. der Red.)


Wie haben Sie Ihren Auftritt bei Stephans Eichers Konzert am Zürcher «Live At Sunset» im Juli in Erinnerung?
MS: Der Zuspruch von so vielen Leuten, die eigentlich nicht an eine Lesung gehen wollten, war für mich eine neue Erfahrung. Zumal nur wenige wussten, dass ich dort sein würde.
SE: Es waren schon einige mehr! Und als du auf die Bühne kamst, haben sich bei allen die Herzen geöffnet. In Anbetracht dessen ist das Lesen damals noch zu kurz gekommen.
Was unterscheidet Ihre Zusammenarbeit mit den Schriftstellern Martin Suter und Philippe Djian?
SE: Martins Präzision und sein Liedverständnis sind höher entwickelt. Dafür darf ich bei Philippe weiter hinausschwimmen. Bei Martin ist alles mehr durchgetaktet, aber nicht beengend. Seine Texte reimen sich stetiger als die von Philippe.


Haben Sie sich diesmal – für ein ganzes Album und Buch – gemeinsam zurückgezogen?
MS: Nein, aber wir hatten das Hotel in Lugano sogar schon reserviert ...
SE: ... und ich habe es vermasselt. Die Sommerferien gingen zu Ende, mein Sohn musste zurück in die Schule und ich hörte am Zürcher Hauptbahnhof, dass das Früchtchen nicht dort war. Da musste ich in die Hosen und Martin eine halbe Stunde vor Abfahrt des Zuges absagen. Das war doppelt hart, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wir dürfen die drei bezahlten Nächte im Fünfsterne-Hotel «Splendid» nachholen.


Haben Sie noch nie im gleichen Raum Songs geschrieben, weil Sie Ihre Freundschaft nicht riskieren wollen?
MS: Nein, wir möchten es ja wirklich mal machen.
SE: Wenn ich ehrlich bin, würde ich sogar sagen, dass Interviews wie dieses einfach eine Ausrede sind, um etwas mehr Zeit mit einem spannenden Menschen wie Martin zu verbringen.


Wie gross ist die Streitlust, von der Martin Suter im «Songbook» erzählt, bei Ihnen tatsächlich?
SE: Leider meinte Martin in einem früheren Interview, wir seien dann doch nicht so gute Freunde, dass wir schon miteinander streiten würden ... (lacht) Nein, wird sind auf der Hut, dass so ein Bullshit wie das Streiten zwischen uns nicht aufkommt. Deshalb verzichten wir darauf, gemeinsam zu kochen. Da würden vermutlich die Fetzen fliegen. Auch die künstlerische Distanz ist wohlüberlegt.


Waren Sie eingeschnappt, dass Martin Suter seinen «Swiss Award» drei Jahre vor Ihnen erhalten hat?
SE: Eingeschnappt beim Swiss Award bin ich eigentlich nur, dass er, wie andere schweizerische Awards , unbedingt Englisch betitelt sein muss… Seien wir ehrlich, das lässt uns in einem bizarren Licht erscheinen. Und Neid kenne ich nicht. Martin verrät mir die Adressen, wo er seine tollen Anzüge her hat, und den Trick, wie man vor Publikum eine Mundharmonika nicht verkehrt in den Mund nimmt...


Wann haben Sie erstmals voneinander gehört?
MS: Ich habe mich schon immer für Musik interessiert – Rock, Pop und Schweizer Lieder. Ganz früher habe ich zusammen mit Thomas Hürlimann und Daniel Fueter zwei Alben und drei Liederabende für die Zürcher Schauspielerin Kathrin Brenk geschrieben. Schon seit ich den «Eisbär» kannte, dachte ich, dass es toll wäre, einmal für Stephan Eicher zu schreiben.


Und wer hat die Initiative ergriffen?
MS: Vor fast 20 Jahren hat Stephan über den Verlag meine Adresse herausgefunden und mir geschrieben, ihm würde ein Lied von Kathrin Brenk so gut gefallen. Ich antwortete, dass ich gerne mit ihm zusammenarbeiten würde. Es hat dann aber noch eine rechte Weile gedauert, bis mein Traum in Erfüllung gegangen ist.
SE: Wegbereiter war mein damaliger Manager Martin Hess, der fand, ein Rockstar brauche einen Sponsor. Ich entgegnete, ich bringe es nicht über mich, für ein Auto oder Joghurt zu werben. Meine Musik gehöre dem Publikum und nicht irgendeiner Firma. «Aber wenn wir Diogenes überreden können, dass wir sagen dürfen, der Verlag wäre unser Sponsor, das wäre doch was!» Mit Hilfe von Philippe Djian hat es tatsächlich geklappt.


Mit welchen Folgen?
SE: Martin Hess schlug Daniel Keel vor, ein Konzertplakat im Diogenes-Design zu entwerfen und auf Tournee im Foyer von mir ausgesuchte Bücher zu verkaufen. Dank seinem Geniestreich haben die Feuilletons darüber geschrieben und der «Spiegel» drei Seiten. Ausserdem sind echte Freundschaften mit dem Verlag entstanden.


Bei einigen Zwischentexten, die Martin Suter zu den Liedern geschrieben hat, kann man sich vorstellen, dass sie von der Realität inspiriert sind. Als Strahler oder Hornusser kann ich Sie mir allerdings nicht vorstellen ...
MS: Als wir unser Projekt anlässlich einer Matinée im Bernhard Theater vorstellten, und ich vom Strahlen erzählte, zeigte sich die «Glanz & Gloria»-Interviewerin sehr erstaunt. Ich sagte, dass wir unser Hobby nicht an die grosse Glocke hängen würden. Als ich danach in jedem folgenden Interview auf dieses Thema angesprochen wurde, sah ich mich schliesslich zum Geständnis gezwungen, dass diese Geschichte frei erfunden ist. So warne ich zu Beginn des «Song Books», nicht alles für bare Münze zu nehmen.
SE: Ich glaube langsam, wir sollten alles, was im Buch beschrieben ist, wirklich einmal zusammen machen und in einem Film festhalten! (lacht)


Das Publikum scheint Ihnen beiden neben der Kunst noch einiges anderes zuzutrauen.
SE: Schauen Sie uns doch an, Hochstapler wie sie im Buche stehen! Aber solange man das nicht merkt ...
MS: Unsere Lieder haben oft mit dem Ernst des Lebens zu tun. Wären die Zwischentexte auch in dieser Tonlage, ergäbe das vielleicht zu schwere Kost.


Wie können Sie als Zürcher eigentlich in Berner Mundart dichten?
MS: Da jede Mundart andere Reime hat, bleibt mir gar nichts anderes übrig, als es zu tun. Wenn ich unsicher bin, konsultiere ich das Berndeutsche Wörterbuch, das leider unvollständig ist. Dann rufe ich manchmal Stephan an, oft wälze ich solche Probleme jedoch zu so später Stunde, dass ich mich nicht getraue.


Wie ist Ihr kürzestes Liebeslied der Welt entstanden, das nur aus den Worten «I bi dir, du bisch bi mir u fertig» besteht?
MS: Ursprünglich war das Lied viel länger. Im Text habe ich immerhin Versatzstücke aus dem ursprünglichen Songtext verwenden können. Stephans Mini-Version gefällt mir aber sehr gut. Er hat auch ein anderes Lied auseinandergenommen und neu zusammengesetzt: «Du». Die dramatische Verbesserung, die der Song dadurch erfahren hat, hat schon etwas schockiert. (lacht)


Sie gehen ab Februar erstmals gemeinsam auf Tournee. Was erwartet die Leute?
SE: Ein Abend mit uns beiden: Martin wird Geschichten lesen, während Stephan, der daneben steht, vor Freude fast vergeht. Ausserdem eine tolle Band, nicht allzu gross, doch facettenreich genug, um die Texte gut zu untermalen. Da wir noch nie zusammen auf Tour waren, wird es einige Zeit dauern, bis alles rund läuft. Gut möglich, dass sie dann fast vorbei ist. Aber wir haben auch vor dem Start noch Zeit, um an unserem Zusammenspiel zu feilen.

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Zu den Personen
Martin Suter (69) arbeitete erfolgreich als Werbetexter, Creative Director und Kolumnist, ehe er sich 1991 für die vollberufliche Schriftstellerei entschied. Die Business-Class-Geschichten, seine Allmen-Krimiserie und Romane – zuletzt «Elefant» – haben ihm auch international eine grosse Fangemeinde beschert. Seit dem Album «Eldorado» schreibt er auch Songtexte für Stephan Eicher. Er lebt mit seiner Familie in Zürich.
Stephan Eicher (57) landete seinen ersten Hit «Eisbär» 1980 mit seinem Bruder Martin und der NDW-Band Grauzone. Kurz darauf begann er Solo-Alben – vornehmlich mit französischen Texten und in Mundart – zu machen. Seit «Engelberg» (1991) hat er mit fünf CDs die Spitze der Schweizer Hitparade erreicht und in Frankreich hohe Anerkennung erworben. Nicht zuletzt mit exzellenten Konzerten. Eicher lebt mit seiner Familie in der Camargue. rhö
 

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