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Musikbranche

Wo die junge DJane ihre Mentorin findet

Regula Frei hat eine Pkattform mitbegründet, die für mehr Diverstität in der Muskbranche sorgen soll. Aber nicht alle Menschen haben dort Platz.

Regula Frei sagt über ihre Anfangszeit in der Musikbranche vor über 20 Jahren: "Zum Glück sind wir heute gesellschaftlich an einem anderen Punkt."

Flavia von Gunten

Regula Frei geht es um Gerechtigkeit. Um gleiche Chancen für alle. Von diesem Zustand ist die Schweizer Musikbranche weit entfernt: Acht von zehn Menschen auf den Bühnen sind Männer, ihnen gehören die meisten Musikrechte, und an den Musikhochschulen kommt auf neun Lehrer nur eine Lehrerin.

Die Männerdominanz ist ein Fakt. Frauen werden als Anfängerinnen behandelt oder für Groupies gehalten. Sie bleiben oft unberücksichtigt, wenn Personal gesucht wird, mit der Argumentation, dass es kaum Bassistinnen, Produzentinnen oder Tontechnikerinnen gebe.

Aussagen nach diesem Muster bezeichnet Regula Frei als Ausreden. Sie muss es wissen, spielt sie doch Bass in verschiedenen Bands, seit sie 16-jährig ist. Frei sagt: Es gibt sie, die Bassistinnen, Produzentinnen und Tontechnikerinnen. Sie sichtbar zu machen, hat sich die Bernerin mit dem Verein Helvetiarockt zur Aufgabe gemacht und nun eine neue Datenbank erschaffen.

«Music Directory» nennt sich die Plattform. Sie soll Frauen, inter, trans und non-binäre Menschen in der Musikbranche sichtbar machen und vernetzen. Zum Beispiel kann eine junge Frau aus Bern, die gerne auflegen möchte, in der Datenbank nach DJs im Kanton Bern suchen, diese Menschen nach Tipps und um Rat fragen oder sich mit anderen Einsteigerinnen kurzschliessen. Geeignete Personen finden sich auch für Vorstände und Jurys – denn Diversität soll nicht nur auf der Bühne, sondern in allen Bereichen der Kulturbranche angestrebt werden.
 

Was heisst Frauenförderung?
Helvetiarockt setzt sich bereits seit elf Jahren für die Gleichstellung von Frauen in der Schweizer Musikbranche ein. Die 45-jährige Frei war die erste bezahlte Angestellte und arbeitet nun seit neun Jahren für den Verein, aktuell als Fundraiserin und Konzepterin.
Bereits kurz nach der Vereinsgründung existierte eine Datenbank, mit der sich Musikerinnen untereinander vernetzen konnten. Allerdings war diese in die Vereinswebsite integriert und auf Musikerinnen beschränkt. Mit der Zeit reifte die Erkenntnis: «Wir müssen am ganzen System schrauben und alle Rollen berücksichtigen.»

Darum jetzt die neue Datenbank. Auf ihr können auch Techniker*innen, Booker*innen, Veranstalter*innen und Mitarbeiter*innen von Labels oder Festivals Profile erstellen. Ausserdem läuft sie auf einer eigenen Website, womit sie weiterbestehen würde, wenn Helvetiarockt einst das erklärte Vereinsziel erreichen sollte: die Selbstabschaffung – sobald Gleichstellung erreicht ist.
Mit der Gründung der «Music Directory» sah sich das Team von Helvetiarockt mit einer Frage konfrontiert, die den Verein schon lange umtreibt. Was heisst es, Mädchen und Frauen zu stärken? Welche Menschen will der Verein ansprechen? Menschen, die biologisch als Frau gelten, oder jene, die sich als Frau fühlen? Jene, die als Frauen gelesen und sozialisiert werden oder wurden? Und was ist mit non-binären Menschen?
 

Kein Platz für Cis-Männer
Für Vereinsbelange hängt Helvetiarockt an das Wort «Frau» zurzeit ein Gendersternchen an und stellt damit gesellschaftliche Normen und das zweigeschlechtliche System infrage.

«Music Directory» hingegen geht einen Schritt weiter. Die Datenbank ist explizit für inter, trans und non-binäre Menschen offen. Menschen also, die mit Variationen der körperlichen Geschlechtsmerkmale geboren wurden, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt oder die sich nicht in den Kategorien «Frau» oder «Mann» repräsentiert sehen.

Menschen, die in der Musikbranche unsichtbar sind und darüber hinaus auch in der Gesellschaft. «Uns ist es ein Anliegen, diese Ungleichheit zu benennen und zu thematisieren», so Frei.

So divers die Datenbank ist, für eine Personenkategorie bietet sie keinen Platz: Cis-Männer. Dabei handelt es sich um jene Personen, denen bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wird und die sich auch mit diesem identifizieren. Fakt sei ja, dass es in der Branche bereits viele Cis-Männer und auch entsprechende Plattformen gebe, so Frei. Bislang fehlte der Branche aber die Haltung, mehr Diversität erreichen zu wollen und entsprechende Massnahmen zu ergreifen.

«Music Directory» ist eine solche Massnahme, die von Frauen, inter, non-binären und trans Personen selbst initiiert wurde. Sobald es selbstverständlich wird, Musikerinnen, Produzentinnen und Tontechnikerinnen miteinzubeziehen, zu buchen und ihre Professionalität anzuerkennen, könne die «Music Directory» auch für alle Geschlechter geöffnet werden.

Eine weitere Herausforderung für das Projekt ist der Umstand, dass die Datenbank nur jene finden, die explizit nach ihr suchen, und so die Wirkung verpufft, da keine Menschen ausserhalb der Blase darauf stossen. Regula Frei ist sich dieser Gefahr bewusst. Betont aber, dass Helvetiarockt gut vernetzt ist in der gesamten Musikbranche und auch mit Einzelpersonen, um möglichst viele verschiedene Menschen zu erreichen.

Dass zum Beispiel Stefanie Heinzmann und Sina die Kampagne unterstützen, freut Frei besonders. Denn beide gehören eben gerade nicht der stereotypen Blase der «linken Superfeministinnen» an, sondern erreichen ein breites Publikum.
 

Breite Finanzierung
Am 20. Oktober wurde die Datenbank lanciert, mittlerweile zählt sie über 900 Einträge. Bald sollen es 1000 sein. Anders als zum Beispiel bei einem Crowd-funding geht das Projekt nicht unter, sollte diese Marke verpasst werden. Frei sieht die Challenge als Spielerei, die alle Beteiligten anspornt, «Music Directory» auf den Kanälen der sozialen Medien zu verbreiten. Später, nach Corona, soll es Treffen geben. Bereits stattgefunden hat ein erster digitaler Austausch zum Auftakt der «Music Directory».
Finanziell gesichert ist die Datenbank für ein weiteres Jahr. Geld fliesst von 22 Kantonen, nicht aber von den Nutzenden der Plattform, für sie ist das Angebot kostenlos. Regula Frei: «Von Anfang an war klar, dass Geld kein Hinderungsgrund sein sollte, sich anzumelden und die Datenbank zu nutzen.»

Ob sie als 16-Jährige die Datenbank genutzt hätte, weiss Regula Frei nicht. «Damals schämte ich mich fast, wenn ich mich für Gleichstellung einsetzte.» Ein hartes Pflaster sei das gewesen, nicht nur in der Musikbranche. «Zum Glück stehen wir heute gesellschaftlich an einem anderen Punkt.»

 

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