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Coronaregeln 

Noch darf man ohne Zertifikat in die Beiz

Die Belastung der Spitäler ist weiterhin hoch, doch die Fallzahlen haben sich stabilisiert. Deshalb verschiebt der Bundesrat wohl den Entscheid zur Ausweitung der Zertifikatspflicht.

Trotz Gedränge keine Zertifikationspflicht: Sonnenterasse des Stanserhorn (Themenbild). Bild: Keystone

Markus Brotschi

Die Zahl der Covid-Patienten in Intensivpflege steigt weiter an und nähert sich der Marke von 300. Dieser Wert gilt als eine der Schwellen, die auf eine Überlastung der Intensivstationen hinweisen. Gestern lag die Zahl der Intensivpatienten nur noch wenig unter 300. Dennoch sind die Experten des Bundes nicht mehr so alarmiert wie vor einer Woche. Die gemeldeten Infektionen hätten sich in den vergangenen zwei Wochen stabilisiert, sagte Virginie Masserey, Leiterin Sektion Infektionskontrolle im Bundesamt für Gesundheit (BAG), vor den Medien.

Die Auslastung der Intensivpflegeplätze werde aber wegen der zeitlichen Verzögerung zwischen Infektion und Spitaleinweisung wohl auch in den kommenden Tagen noch zunehmen, ebenso die Todesfälle aufgrund von Corona. Die Lage in den Spitälern bleibe angespannt.

Situation ist zurzeit zu volatil

Bis auch in den Spitälern aufgrund der stagnierenden bis leicht rückläufigen Fallzahlen eine Entspannung eintritt, wird es noch mehrere Wochen dauern. Dennoch dürfte der Bundesrat heute die Einführung der Zertifikatspflicht für weitere Bereiche, darunter die Restaurants, aufschieben. Mehrere Quellen bestätigen, dass Gesundheitsminister Alain Berset dem Bundesrat noch keinen Antrag auf Ausweitung der Zertifikatspflicht unterbreite. Die Situation sei zurzeit zu volatil, und die weitere Entwicklung insbesondere in den Spitälern sei abzuwarten.

Falls unmittelbar eine Überlastung des Gesundheitswesens droht, kann der Bundesrat die Zertifikatspflicht auf Restaurants, Bars sowie allenfalls weitere Bereiche wie Fitnesscenter, mittelgrosse und kleinere Veranstaltungen sowie Kinos jedoch rasch ausweiten. Denn in der Konsultation, die der Bundesrat vor einer Woche eröffnete, befürworteten die Kantone sowie Parteien und Verbände die Massnahme. Dagegen äusserten sich nur die SVP sowie der Gastro- und der Gewerbeverband.

Noch vor einer Woche herrschte unter den Experten des Bundes Alarmstimmung. Falls die Spitaleinweisungen von Corona-Patienten und die Zahl der Erkrankten in Intensivpflege weiter so stark anstiegen wie in den ersten Augustwochen, seien die Spitäler in vier bis sechs Wochen überlastet, sagte Patrick Mathys vom BAG.

Anstieg vorerst gebremst

Nun scheint zumindest bei den täglichen Neuinfektionen der Anstieg vorerst gebremst. Das BAG meldete gestern 2703 neue Fälle, vor einer Woche waren es 2993 gewesen. Bei den Spitaleinweisungen lag der 7-Tage-Durchschnitt der täglichen Hospitalisierungen Mitte August noch bei gut 70 Fällen, letzte Woche noch bei rund 55 Fällen.

Nach wie vor ist die Auslastung der Spitäler jedoch hoch, wie Meldungen aus den Kantonen zeigen. «Wir müssen schon seit Tagen Anfragen anderer Kantone ablehnen, die uns Covid-Intensivpatienten überweisen wollen», sagte Philipp Lutz, Kommunikationsbeauftragter des St. Galler Kantonsspitals, gegenüber dem Ostschweizer Newsportal FM1 Today. Auch im Kanton Thurgau waren am Wochenende alle Intensivplätze belegt, sodass Patientinnen und Patienten ausserkantonal behandelt werden mussten. Auch in anderen Kantonen ist die Lage in den Spitälern angespannt.

Der Kanton Thurgau zog wegen der hohen Belastung der Spitäler die Bewilligung für die im September geplante Ersatzveranstaltung des Open Airs Frauenfeld zurück. Wegen der rasant steigenden Fallzahlen und der damit verbundenen Hospitalisierungen wäre die Durchführung Mitte September nicht verantwortbar gewesen, teilte der Regierungsrat mit. Die Veranstalter zeigten Verständnis, stellten jedoch fest, dass die Absage vermeidbar gewesen wäre. In einer Mitteilung wird das potenzielle Publikum aufgefordert, sich impfen zu lassen, damit in der Kulturbranche und anderswo wieder ein wenig Normalität einkehre.

Die SVP wiederum verlangt die Aufstockung der Intensivplätze von derzeit knapp 900 auf 1200 bis 1300. Dies sei «zielführender und letztlich unter dem Strich günstiger» als eine Ausdehnung der Zertifikatspflicht, die wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe verursache.

Spitälern fehlt Personal

Dem hält der St. Galler Spitalsprecher entgegen, dass der grösste begrenzende Faktor für Intensivbetten das Personal sei. Diplomierte Pflegefachleute mit Intensivausbildung seien stark spezialisiert und gesucht. Laut der Berner Kantonsärztin ist die Belastung in den Spitälern auch deshalb so gross, weil Fachpersonal wegen der hohen Belastung in den letzten Wellen abgewandert sei. «Es können also nicht einfach so neue Intensivplätze geöffnet werden.»

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