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Zweisprachigkeit

Der Röstigraben erodiert

Mit über 40 Prozent hat Gals mittlerweile einen fast so hohen frankophonen Anteil an der Bevölkerung wie Biel und Leubringen/Magglingen. Gefordert sind auch andere Deutschschweizer Gemeinden an der Sprachgrenze.

Noch führt die Ortstafel nicht wie Biel/Bienne den bilinguen Namen Gals/Chules. Barbara Héritier

Beat Kuhn

Zwischen dem Neuenburger- und dem Bielersee folgt die Sprachgrenze dem Zihlkanal. Auf dessen französischsprachiger Seite im Kanton Neuenburg drängen sich gleich vier Gemeinden, nämlich Le Landeron, Cressier, Cornaux und La Tène. Auf der bernischen Seite hat es lediglich zwei: Gals, das mit allen vieren eine gemeinsame Grenze hat, und Gampelen, das an der Kantonsgrenze La Tène berührt.

Doch der Röstigraben ist hier am Erodieren: Nach Recherchen von «Telebielingue» ist der Anteil der frankophonen Bevölkerung von Gals innert nur acht Jahren von einem Drittel auf über 40 Prozent geklettert. Damit hat er schon beinahe das Level von Biel und Leubringen/Magglingen erreicht (siehe Zweittext).

Attraktiv zum Pendeln
Für Leute, die in Neuenburg arbeiten, ist Gals, das aktuell 842 Einwohnerinnen und Einwohner hat, zum Pendeln ideal. Denn die Kantonshauptstadt ist bloss 13 Strassenkilometer entfernt. Laut Gemeindepräsident Bruno Dorner (parteilos) ist Gals aber noch aus weiteren Gründen attraktiv für die Romands. Bauland werde im Nachbarkanton immer knapper, «und so schauen sie sich mal auf der anderen Seite des Zihlkanals um», sagt er. Überdies hätten die Gemeinden auf der Berner Seite tiefere Steuern. Da die Amtssprache in Gals nach wie vor Deutsch ist, müssen die Kinder der Zugezogenen die deutschsprachige Schule besuchen. Das wird aber offenbar als Chance gesehen, die Zweisprachigkeit zu fördern.

Die Zuziehenden bringen sich auch politisch ein. An der Gemeindeversammlung vom Mai 2012 war es zu einem Eklat gekommen: Frankophone Stimmberechtigte hatten verlangt, dass statt Bärndütsch Hochdeutsch gesprochen werde, weil sie sonst nicht folgen könnten. Dieser Wechsel war zunächst abgelehnt worden. Schliesslich hatte man ihn aber doch eingeführt. Mittlerweile haben sich alle daran gewöhnt, «auch wenn unser Hochdeutsch für das deutsche Fernsehen sicher nicht reichen würde», so Dorner schmunzelnd zu «Telebielingue.»

Keine Gettos in Ins
Im nahen regionalen Zentrum Ins beträgt der Anteil der Französischsprachigen bloss zwölf Prozent, die hauptsächlich aus dem Kanton Neuenburg, aber auch aus dem Freiburgischen und aus der Waadt sowie vereinzelt aus anderen Kantonen stammen. Die offiziellen Schriftstücke werden laut Gemeindeschreiber-Stellvertreter Marc Löffel in der Amtssprache verfasst, die alleinig Deutsch ist. «Am Schalter und am Telefon sprechen wir mit französischsprachigen Personen dagegen auch in deren Sprache – so gut uns das möglich ist.» Viele Frankophone würden erwarten, dass mit ihnen in ihrer Sprache gesprochen wird, sagt Löffel. «Bei der Erklärung komplexer Sachverhalte stossen wir allerdings gelegentlich an unsere Grenzen.» Mit gutem Willen von beiden Seiten komme man aber trotzdem zurecht. Sprachliche Gettos gebe es in der Gemeinde nicht, auch Konflikte in der Bevölkerung aufgrund der Sprache seien nicht feststellbar.

Ligerz: kein Wort Deutsch
Gegen Nordosten folgt die Sprachgrenze dem linken Bielerseeufer. La Neuveville ist zwar bernisch, hat aber Französisch als Amtssprache und gehört zum Verwaltungskreis Berner Jura. Ligerz und Twann-Tüscherz dagegen sind deutschsprachig und Gemeinden des Verwaltungskreises Biel. In Ligerz ist jeder und jede Zehnte französischer Zunge. Auch hier wird laut Gemeindeschreiberin Dora Nyfeler mit ihnen auf Wunsch in ihrer Sprache gesprochen. Die Korrespondenz erfolge in der Regel auf Deutsch, das Stimmmaterial bekämen die frankophonen Stimmberechtigten in ihrer Sprache. Es gebe französischsprachige Bürgerinnen und Bürger, die kein Wort Deutsch verstehen. Diese würden bei Bedarf meistens durch andere Familienmitglieder unterstützt. Spezielle Probleme aufgrund der Sprache seien nicht wahrzunehmen, so Nyfeler.

Pieterlen: Schule nur deutsch
Nordöstlich von Biel verläuft der Röstigraben weiter entlang dem Jurasüdfuss. In Pieterlen beträgt der Anteil Frankophone zirka 15 Prozent. Laut David Löffel, dem Leiter Präsidiales, hat die Gemeinde generell viele Zuziehende aus Biel. Frankophone kämen zudem aus dem Berner Jura. Weiter würden 62 Personen aus Frankreich und weitere Ausländer mit französischer Muttersprache aus diversen Ländern dort leben. Die Gemeinde erwarte von allen Einwohnerinnen und Einwohnern «eine Integration an die hiesigen Verhältnisse», sagt Löffel. Dabei sei die Sprache ein wesentlicher Bestandteil. «Aber wir versuchen, die verschiedenen Sprachen – nicht nur Französisch – bei unseren Dienstleistungen abzudecken.» Die schriftliche Kommunikation erfolge allerdings nur in deutscher Sprache. Spezifische Probleme zwischen den zwei Sprachgruppen seien ihm nicht bekannt. Sie würden aber immer wieder feststellen, dass manche Familien nach Pieterlen ziehen, ohne sich vorgängig über die Konsequenzen bezüglich Schulbetrieb zu informieren. Löffel: «Ein Zuzug in eine deutschsprachige Gemeinde bedeutet, dass die Schule in deutscher Sprache besucht wird.»
 

 

ZWEITTEXT:

Wird Gals nun die dritte offiziell zweisprachige Gemeinde im Kanton?

Als sich die Schweizer Uhrenindustrie ab der Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem in den Kantonen Bern und Solothurn entwickelte, siedelten sich viele vormalige Heimarbeiter aus dem Jura in Biel an.

Das ist der Hauptgrund dafür, dass Biel die grösste zweisprachige Stadt der Schweiz ist, deren Anteil an Französischsprachigen gemäss der jüngsten amtlichen Erhebung – die allerdings von Anfang 2020 stammt – 43 Prozent beträgt. Noch vor wenigen Jahren hatte man von 40 Prozent gesprochen.
Die benachbarte Gemeinde Leubringen/Magglingen hat ähnliche Zahlen: Dort gibt es 46 Prozent Frankophone – in Leubringen 49 Prozent, in Magglingen 34 Prozent.

Wie Biel ist Leubringen/Magglingen deswegen offiziell zweisprachig. Der Gleichwertigkeit von Deutsch und Französisch werde eine grosse Bedeutung beigemessen, sagt Gemeindeschreiber Christophe Chavanne. Von früher Kindheit an würden beide Sprachen praktiziert, also in der Kinderkrippe, im Kindergarten, in der Tagesschule und in der Volksschule. «Die Zweisprachigkeit gehört zum Alltag des Kultur- und Vereinslebens unserer Gemeinde», sagt Chavanne.

Gérard Wettstein, der Generalsekretär der Bieler Präsidialdirektion, sagt für die Stadt dasselbe in anderen Worten. Darum hält er die Journalistenfrage, inwiefern die Stadt den französischsprachigen Einwohnerinnen und Einwohnern «entgegenkommt», für «nicht angemessen».
Durch die strikte Gleichberechtigung beider Amtssprachen gebe es kein «Entgegenkommen», sondern ein gleichberechtigtes Zusammenleben. Über die Gründe für den immer grösseren Anteil der Frankophonen kann er nur spekulieren: «Ich vermute, dass die Stadt Biel in der Romandie vermehrt für ihre Vorzüge ‹entdeckt› wird.»

Biel und Leubringen/Magglingen sind heute die einzigen offiziell zweisprachigen Gemeinden des Kantons. Dies führt laut Simon Koch, dem Stellvertretenden Leiter des kantonalen Amtes für Kommunikation, zwar nicht zu einer kantonalen Finanzhilfe wegen der Zweisprachigkeit der kommunalen Verwaltungen. Das Sonderstatutsgesetz (SStG) schaffe aber die Grundlage für den Rat für französischsprachige Angelegenheiten des Verwaltungskreises Biel (RFB), besser bekannt unter seiner französichen Abkürzung CAF (Conseil des affaires francophones du district bilingue de Bienne). Dieser übe die besonderen Befugnisse aus, die der französischsprachigen Minderheit des Verwaltungskreises Biel übertragen sind. Der Kanton stelle dem RFB/CAF und dessen Generalsekretariat die für ihren Betrieb erforderlichen finanziellen Mittel zur Verfügung, so Koch.

Auf die Frage, ob Gals wegen seines hohen Anteils an Frankophonen nun die dritte offiziell zweisprachige Berner Gemeinde werden könnte, meint Koch, dass der Kanton die Entwicklung der französischsprachigen Bevölkerung im Seeland aufmerksam verfolge. Die letzte Revision des SStG sei aber erst am 1. Dezember letzten Jahres in Kraft getreten, und eine weitere Revision sei in nächster Zeit nicht geplant. Da die besondere Stellung von Biel und Leubringen-Magglingen sogar in der Kantonsverfassung verankert sei, müsste man diese anpassen, wenn man die Situation von Gals verändern wollte. Das sei aktuell auch nicht geplant. bk

Stichwörter: Gals, Chules, Zweisprachigkeit

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