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Mittendrin

Die eskalierende Deeskalation

Damit ein Konflikt mit anderen Menschen nicht ausser Kontrolle gerät und eskaliert, muss man mit sogenannten Ich-Botschaften arbeiten. Dies habe ich einmal in einem Kommunikationskurs gelernt.

Niklaus 
Baschung

Wenn sich also im Zugsabteil nebenan eine Familie aufhält, deren zwei Kinder mit ihren dreckigen Schuhen auf den Sitzen herumhüpfen, dann sagen Sie nicht: »Holen Sie sofort ihre nervigen, dummen Saugoofen herunter.»

Sondern: «Entschuldigung, mir wird bei herzigen Kindern, die im Neigezug so süss auf den Polstern tanzen, immer ganz schlecht. Ich werde mich bald übergeben. Das macht mich sehr traurig. Wäre es ihnen unter Umständen möglich, in einem vorderen Abteil weiterzutanzen?» Die Dringlichkeit des Wunsches kann man vielleicht noch mit zusätzlichen Würggeräuschen betonen.

Auch an diesem Sonntagvormittag bin ich voll auf Deeskalation eingestellt. Wenn ich ganz alleine bin, funktioniert das wirklich prima.

Schade nur, dass meistens noch andere Leute dazukommen. Wie dieser Typ, der sich da verärgert meinem parkierten Auto nähert und mit seiner verspannten, bulligen Körperhaltung wie fleischgewordene Aggression wirkt. Er blickt wütend auf den Lack seines neben mir parkierten Gefährts, wo sich ... was eigentlich befindet? Eine Schramme? Eine Delle?

Ich erkenne gar nichts. Ich sehe nur einen doppelt so grossen und mehrfach teureren Wagen als meinen. Mehr Panzer als Auto – der Mann befindet sich auf dem Kriegspfad.

Ich blicke also ratlos auf das Nichts an seinem Wagen, und versuche mir vorzustellen, was passieren würde, wenn da noch mehr von diesem Nichts zu sehen wäre.

Ausserdem ist der Vorwurf, ich hätte sein Fahrzeug verunstaltet, absurd. Er hat eindeutig einige Zeit nach mir auf das zuvor leere Parkfeld parkiert. Aber das will ihm nicht in den Kopf.

Interessant übrigens, wie klein die Köpfe von uns Menschen neben grossen Autos wirken. Mittlerweile hat sich noch ein zweiter Mann dem Riesenkasten genähert. Jetzt wird es Zeit für eine eindeutige Ich-Botschaft. «Ich kann sofort die Polizei rufen», drohe ich den beiden mehrmals, «denn wo Nichts ist, kann auch Nichts aus dem Nichts entstanden sein.»

Der letzte Satz schüchtert
sie dermassen ein, dass sie
mich tatsächlich weiterfahren lassen.

«Musst du dich eigentlich immer in solche Diskussionen einlassen?», fragt meine Frau, die bislang ganz ruhig im Auto auf dem Mitfahrerinnensitz gesessen ist. «Das sind keine Diskussionen, das sind gezielte Deeskalationen.» «Hat sich aber genau umgekehrt angehört, das wurde richtig ungemütlich.» «Was hätte ich denn sonst machen sollen?» «Einfach wegfahren und Tatsachen schaffen.» «Weisst du was, solche Vorschläge finde ich so was von dermassen ...» «... du musst jetzt nicht hässig werden.» «ICH BIN NICHT HÄSSIG.»

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