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«Iiiiihhhhh, diese elitären Worte, wäh, pfui!»

Eigentlich war das Buch von Abel Di Lorenzo für seine Familie und Freunde gedacht. Doch es kam anders. Obwohl «7-Siech» nie lektoriert wurde und vor Fehlern und Fluchwörtern nur so strotzt, wurde es ein Erfolg.

Hat sein Buch seinem Sohn gewidmet: Abel Di Lorenzo. copyright: carole lauener
Sarah Zurbuchen
 
«Ich bin kein Schriftsteller oder so, der Drang zum Schreiben hält sich sehr in Grenzen! Keine Ahnung über ‹Literatur›, Belletristik, Lyrik (iiiiihhhhh, schon diese elitären Worte, wäh, pfui)! Grammatik? Hä? Was?» Diese Sätze stehen auf einer der ersten Seiten des Buches «7-Siech». Welche Seite es genau ist, lässt sich nicht sagen, denn das Buch hat keine Seitenzahlen, keine Kapitel und kein Inhaltsverzeichnis. Die Zeilenschaltung ist auf den ersten paar Seiten relativ eng, während sie willkürlich, mitten auf der Seite X auf eine breitere wechselt. Die Sprache ist derb, voller Schreib- und Interpunktionsfehler, gespickt mit hunderten von Ausrufe- und Fragezeichen, und gefühlt jeder zweite Satz enthält ein Fluch- oder Schimpfwort. 
Entgegen allen Erwartungen, auch denen des Autors Abel Di Lorenzo selbst, kommt das autobiographisch gefärbte Buch gut an. Den Text hatte er dem Onlineverlag epubli.de geschickt, mit der Absicht, ein paar wenige Exemplare für Familie und Freunde drucken zu lassen. Doch kürzlich entdeckte er das Buch im Buchhaus Lüthy in Biel. Und heute, eineinhalb Monate nach dem Erscheinen, belegt es auf Buchhaus.ch den Platz 19 unter den Hardcover-Biographien; vor Mariah Carey und Patricia Highsmith.
 
Überrollt von Anfragen
«Ich werde im Moment überrollt von Telefonaten und Anfragen», sagt der 48-jährige Orpunder, und seine Augen werden dabei ganz gross. Er hatte weder mit Lesen noch mit Schreiben jemals etwas am Hut, «nicht mal Tagebuch habe ich geschrieben». Ein Literaturkritiker, ist er überzeugt, würde es als das schlechteste Buch aller Zeiten bezeichnen. Er lächelt verschmitzt. 
Das Buch handelt von einem Zwiegespräch zwischen zwei Menschen, einem Interviewer und Abraham Moscarelli. Di Lorenzo spricht dabei quasi mit sich selbst über seine Lebensgeschichte. Wobei sich der Interviewer genau so salopp wie sein Gegenüber äussert («Gefühlsduddeldiduddeldi... mach weiter min Jung») und auch gerne mal dessen Aussagen kommentiert («Boh ey, hallo? Aber sonst geht’s dir gut, ja?!») 
Wie es zu diesem Buch gekommen ist? «Als mein Vater starb, wuchs in mir das Bedürfnis, meinem Kind etwas zu hinterlassen», sagt der alleinerziehende Vater eines 10-jährigen Sohnes. Er wurde sich seiner eigenen Vergänglichkeit bewusst, und das Buch versteht er als sein Vermächtnis. Hinter dem ruppigen Stil der Wortwahl verbirgt sich ein durchaus bewegtes Leben: Die Kindheit als Secondo; die heftigen Flegeljahre als Teenager; ein folgenschwerer Töffliunfall mit einer Nahtoderfahrung; ein exzessives Partyleben; lange, prägende Reisen; zwei Burnouts; mehrere Suchtmittelabhängigkeiten; eine gescheiterte Ehe; lebensgefährliche Unfälle und Krankheiten. Hätte er diese Geschichten erfunden, würde man das Buch als überladen bezeichnen.
 
«Krisenüberwindungs-Leseding «
Di Lorenzo sieht sein Werk in erster Linie als Lebenshilfesachbuch für seinen Sohn, «eine Anleitung zum Glücklichsein, ein Mutmacher, ein Krisenüberwindungs-Leseding». «Mit Dir», richtet er im Buch das Wort an seinen Sohn, «aber vor allem in der Zeit bevor Du mein Leben so unglaublich bereichert und schlussendlich gerettet hast.» Denn dass Di Lorenzo heute noch lebt, hat er seinem Sohn zu verdanken, davon ist er überzeugt. «Er gibt mir Halt und Stabilität.» Für den Jungen hat er sich seinen Dämonen gestellt, ein langer Prozess, wie der Sales Manager erzählt. «Die jetzige Version 48.0 ist bisher die beste Version von mir.» Doch dazu musste er vor allem mit seinen Süchten kämpfen. Herausfinden, welche Löcher er damit genau stopfen wollte. 
Heute hat er einen Weg gefunden, seine Energie neu zu kanalisieren. Er führt einen gesünderen Lebenswandel, aber der Genuss darf dabei nicht fehlen. Statt Drogen und Zigaretten geniesst Abel Di Lorenzo die Natur, den Sport und zwischendurch ein Glas Wein – in Massen – wie er betont. Und er widmet sich intensiver seiner Gefühlswelt. Denn lange hat er seine Bedürfnisse wegstecken müssen. «Ich habe mich selbst vernachlässigt, im Beruf, der Familie, der Beziehung.»
Der Buchtitel soll dabei eine Lebensweise ausdrücken. Es gehe darum, wieder aufzustehen, wenn man gefallen sei, sich den eigenen Ängsten zu stellen, sich weiterzuentwickeln. In jedem von uns stecke ein 7-Siech, findet er. Auf Rhodos hat er sich den «7-Siech» denn auch tätowieren lassen, als Versprechen an sich selbst. «Und als Erlaubnis, stolz darauf zu sein, was ich geschafft habe.»
 
Bericht eines «Normalos»
In der Buchhandlung Lüthy bestätigt eine Angestellte, dass das Buch von Di Lorenzo relativ gut läuft. In einem Monat wurden neun Exemplare verkauft, eine respektable Zahl für eine einzige Filiale. Und Rita Zgraggen, Buchhändlerin Lüthy Grenchen, sagt: «Im Vergleich zu ähnlichen Büchern aus dem Bereich Erfahrungen wird das Buch gut verkauft.» Und wie erklärt sie sich das? «Selbsterfahrungsberichte von sogenannten Normalos kommen manchmal sehr gut an.»
Ein weiterer Grund könnte auch das Rebellische sein, etwas, das dem derzeitigen Zeitgeist entspricht. Di Lorenzo hält sich an keine Regeln. Das beginnt bei der Aufmachung des Buches und endet bei der Rechtschreibung. Im Buch erklärt er gleich auch, warum ihm das ziemlich egal ist: «Ein Deutschlehrer sagte mal: Gehen, machen, sagen, tun, seien verboten, wenn wir etwas schreiben.... äääuääää? Isch wahr? Isch aber nid wahr?! Ooohh, nicht weinen liebe Professoren, ich geniesse es erwachsen zu sein und dabei tun und lassen zu können wie es mir gefällt.»
 
Die Weisheiten
Und dann ist da noch der letzte Teil des Buches. Der kommt plötzlich ganz anders daher, in einer für Di Lorenzos Verhältnisse schon fast seriösen Sprache. Übertitelt sind diese Seiten ganz selbstbewusst mit «Die Weisheiten». Darin gibts Ratschläge, Einsichten und philosophische Erläuterungen zu Themen wie Religion, Gesellschaft, Gesundheit, Frauen, ein erfülltes Leben und vielem mehr. Und dank seiner Vergangenheit und seines authentischen Schreibstils nimmt man ihm seine Erkenntnisse auch irgendwie ab.
Berührend wird es, wenn er zum Schluss wieder das Wort an seinen Sohn richtet: «Mein Sohn, Alex, ich liebe Dich, bedingungslos. Always.» Und dann salopp wie eh und je: «Babbedi’bubeddi’hey, tschüssikowsky.» 
Stichwörter: 7-Siech, Abel Di Lorenzo

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