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Schrattenfluh

Auf und ab über Mondlandschaft

Ein grosses Karstgebiet, eine Militärleiter, die durch einen Schacht auf die andere Bergseite führt, auf den Spuren des Teufels einen unterirdischen Gletscher finden: Die Schrattenfluh ist für mehr als nur eine Überraschung gut.

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Lotti Teuscher

Nachdem wir durch gefühlte tausend Kurven durch das Luzernische gefahren sind, vorbei an blumengeschmückten Bauernhäusern und Kühen, sehen wir sie zum ersten Mal: Die Schrattenfluh, sechs Kilometer lang, weiss wie gebleichte Knochen, abweisend und anziehend zugleich.

Bei der Alp Schlund gehen wir los, und lassen den Wald bald hinter uns. Die hügelige Landschaft wirkt wie eine Steppe, übersäht mit Steinbrocken, die aus den erodierten Kreten und Hängen herausgebrochen sind.

Linkerhand reicht der Blick bis zu den schneebedeckten Berner Alpen, rechts taucht der Schibengütsch auf, der erste Gipfel der Schrattenfluh. Zwar nur 2037 Meter hoch, aber von unten sieht der stotzige Berg imposant aus. Seinen Namen hat er von der Schafalp Schibe (Scheibe) an seinem Südhang; diese wiederum wird so genannt wegen der auffallend gleichmässigen, abgeplatteten Weide.

Zwei Wege führen auf den Schibengütsch, wir wählen den steileren, nicht markierten. Denn im oberen Viertel des Berges lockt ein Loch im Fels. Nach vollem Einsatz der Beine und manchmal auch der Hände stehen wir ein wenig atemlos vor einer Felswand – was nun?
Der einzige Ausweg scheint durch das Loch zu führen, das wir von unten gesehen hatten. Im Karst der Schrattenfluh gibt es 250 erforschte Höhlen, doch diese hier ist nicht natürlich entstanden: 1934 errichtete die Schweizer Armee vom Hohgant bis zur Schrattenfluh die Sperrstelle Bumbachtal. Die Bauten sind heute als militärhistorische Objekte von nationaler Bedeutung geschützt.

Hinauf durch den Schacht
In einer grossen Kaverne stehen bis heute die Gitterroste von Betten, Stacheldraht rostet vor sich hin. Davor entdecken wir Leitern, die nach oben führen – der Ausweg! Gut 30 Meter steigen wir durch den Schacht hoch, der auf die andere Bergseite führt, kurz danach ist der erste Gipfel der Wanderung erreicht. Der Blick schweift nun über die Schratten, die sich fast über die ganze Bergkette ziehen: Eine riesige, schräg gestellte Kalkplatte, eine Mondlandschaft, auf der kaum etwas wächst.

In sanftem Auf und Ab führt der Weg der Krete entlang, immer mit einer beglückenden Aussicht. Überall entdecken wir Hinterlassenschaften der 250 Steinböcke, die im Biosphärenreservat Entlebuch leben. Nur von den Gehörnten selber ist nichts zu sehen.

Auch ein anderer Gehörnter hat hier Spuren hinterlassen, und zwar gewaltige. Dort, wo heute die Schratten sind, stand laut einer Sage einst ein wunderbarer Wald mit der prächtigsten Alp im Entlebuch. Die Alp gehörte einem Senn, der zwei Söhne hatte, einer war blind. Als der Vater starb, teilten die Brüder die Alp untereinander auf. Unter dem Einfluss der bösen Magd betrog der sehende Bruder den blinden. Als der Blinde den Betrug bemerkte, verwünschte er seinen Bruder mitsamt der Magd, worauf der Teufel mit seinen Krallen die Alp vom Berg wegkratzte. Es gibt auch eine moderne Version für die Entstehung der Karrenfelder: Das Kalkgestein wird durch Kohlensäure gelöst. Regenwasser zerfrisst den Fels zu einer bizarren Landschaft aus Schründen, Spalten, Dolinen und messerscharfen Graten.

Eine besonders eigenartige Form hat das Türstenhäuptli, dem wir nun begegnen: Eine Kugel aus Fels, sicher 20 Meter hoch, die auf dem Grat thront. Danach nähern wir uns dem höchsten Gipfel der Schrattenfluh, dem Hengst. Durch einen breiten Spalt im felsigen Grat entdecken wir eine Erosion, die wohl Namensgeber des Gipfels ist. Das Schamgefühl verbietet allerdings, das Bild von dieser Formation zu veröffentlichen; sie ist nur in der Internetgalerie zu sehen.

Gletscher im Boden
Der steile Pfad auf den Hengst erfordert nochmals den Einsatz der Hände, danach stehen wir auf dem Gipfel auf 2093 Meter über Meer, unserem zweiten an diesem Tag. Auf dem Abstieg wartet bald darauf ein Naturwunder: Ein Karstloch, mit ewigem Eis gefüllt. Die Grotte hat zwei Eingänge, durch die der Wind zirkuliert und die Innentemperatur konstant auf etwa null Grad abkühlt.

Der «Weg» führt nun direkt über den schrattigen Fels. Zahlreiche rotweissrote Markierungen lotsen die Wanderer um tiefe Karstlöcher herum, über Felsriegel und zwischen steilen Wänden hindurch. Trotzdem macht uns der Karst zur Schnecke. Buchstäblich. Denn auf dem geneigten, zerfressenen und oft sehr spitzen Fels zu gehen, ist heikel.

Doch auch wenn wir könnten, wir würden den Blick nicht heben wollen. Denn was saures Wasser aus dem einst kompakten Fels gemacht hat, ist faszinierend. Mancherorts ragen versteinerte Muschel- und Schneckenhäuser aus dem Fels. Andernorts sind die Platten auseinandergebrochen und haben an den Rändern die Form eines Reissverschlusses.

Früher glaubten die Entlebucher, in den Löchern und Grotten würden Dämonen wohnen. Unser eigener Dämon ist der innere Schweinehund, der darum bittet, sich hinsetzen zu dürfen, weil die Beine verkrampfen. Doch das geht nicht, wir sind spät dran. Und bei Nacht über diese Felsen zu gehen – da wären die Schratten wirklich dämonisch.

 

Tipps zur Tour
• Route: Alp Schlund (nur mit dem PW erreichbar), Schibengütsch, Hengst, Alp Schlund
• Dauer: Rund vier Stunden
• Höhenmeter: 800 hinauf und hinunter
• Anforderung: T3+, anspruchsvolles Bergwandern, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit  erforderlich
• Einfachere Variante: Aufstieg zum Hengst, Abstieg vom Schibengütsch über Normalroute

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