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Kolumne

Das Abdeckproblem

Die Schneegrenze steigt, die Gletscher schwinden. Das hat böse Folgen

Gletschertourist. Symbolbild: pixabay

von Benedikt Loderer

Die Alpen entblössen sich. Statt in herrlichem Weiss zu strahlen, hocken sie gerölldumpf am Horizont und rufen nicht länger: Besteige mich! Das schadet dem Tourismus und damit der Schweiz. Doch haben die Tourismusleute auch schon ein Abwehrmittel erfunden: die Kühlpackung. Sie decken die Gletscher im Sommer mit Kunststoffplanen zu. Doch sind die Gletscher erst der Anfang, mit dem ewigen Schnee geht es weiter, am Schluss sind die Alpen kahl und grau.

Nicht einmal die Gletscher sind gerettet, da es zu viele davon gibt. Es fehlt allerdings nicht an den weissen Plastiktüchern, sondern an Leuten und am Geld. Wo gibt es Leute? In der Armee. Die ist zwar ursprünglich zur Wahrung der Unabhängigkeit des Landes und nicht zur Bewahrung der Vereisung desselben erfunden worden, immerhin, die Soldaten arbeiten fast gratis und sind wohlgezielt eingesetzt, denn lohnt sich die Verteidigung einer Schweiz ohne Alpenfirn überhaupt? Dazu kommt, dass man heute schon feststellen muss, dass um die ganzen Alpen einzupacken, selbst die reiche Schweiz nicht reich genug ist.

Wir müssen also Prioritäten setzten, was durch den Föderalismus behindert wird. In den Kantonen Baselstadt, Basel-Landschaft und Schaffhausen ist die Bereitschaft mitzuzahlen gering. Wir sehen diese Alpen sowieso nicht, sagen die Leute hinter dem Jura. Im Kanton Bern hingegen ist die Überfülle an eisverlierendem Gebirge so riesig, dass die Aufgabe die Kassen sprengt. Wir brauchen also ein eidgenössisches Eis- und Firngesetz, das das Abdecken zur Bundessache macht. 

Prioritäten, das heisst doch, nicht alle und nicht überall. Es bricht der Kampf ums Bundesgeld aus und wir brauchen einen Verteilschlüssel, ein Mass, das das Abdeckgeld gerecht verteilt. Es ist die AD, die Aufmerksamkeitsdichte. Wie viele Augenpaare ruhen wie lange auf einem Quadratmeter Alpeneis? Die Betrachtungsintensität durch die zahlenden Touristen entscheidet über die Abdeckwürdigkeit.   

Selbstverständlich sind damit hauptsächlich die Interessen des Tourismus berücksichtigt. Doch wofür, wenn nicht touristisch, kann man Eis und Firn sonst noch gebrauchen? Überdies ist damit auch die föderalistische Verteilgerechtigkeit erreicht, jeder kriegt nach seinem Bedürfnis. Leider hat man damit die Standortfrage noch nicht beantwortet. Da man nicht die ganzen Alpen abzudecken vermag, ja schlimmer noch, selbst jene Eisflächen mit einer hohen Aufmerksamkeitsmenge nicht vollständig, so gibt es Orte, von denen aus die Alpen weiss wären, von anderen aber sind sie schmutzig oder gar schon kahl. Was ist wichtiger die Fern- oder die Nahsicht? Ist es besser, das Weiss der Berner Alpen von Magglingen aus zu bewahren oder muss der Blick von der Grossen Scheidegg aus makellos bleiben? Man merkt: Die Alpen gehören dem Schweizervolk und nicht den Berglern. Es genügt also nicht, die lokale Aufmerksamkeitsdichte als einzigen Massstab zu nehmen, man muss auch alle möglichen Fernstandorte hierarchisieren. Der Gurten zum Beispiel wird dabei der Bütschelegg vorgezogen, weil es auf den Gurten ein Bähnli gibt. Es gibt also mehr Gurten- als Bütscheleggblicke, also muss vom Gurten aus auch das Hochgebirge weisser strahlen als von der Bütschelegg.

Können sie sich die Alpen kahl und grau vorstellen? Wenn nicht, dann wählen sie am 18. Oktober die Abdecker in den Nationalrat.

Info: Benedikt Loderer ist Journalist, Architekt und Stadtwanderer.

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