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Verhütung

Die Krux der optimalen Verhütung

Einmal Pille, immer Pille? Nicht unbedingt. Die Ansprüche der Frauen an die Verhütung ändern sich – und damit auch die passende Methode.

Symbolbild: ky

(mis) In ihrer Studienzeit durchlebte Julie Keller* ein seelisches Tief. Sie fühlte sich niedergeschlagen, lustlos und erschöpft, blieb zuhause und grübelte. Über das Leben und was es mit ihr machte. Und während sie nachdachte, begann sie sich zu fragen: Was, wenn meine depressive Verstimmung von der Antibabypille herrührt? Der Gedanke verunsicherte sie so sehr, dass sie sich sagte: «Jetzt ist Schluss mit Hormonen». Sie, die seit zwei Jahren in einer festen Beziehung lebte, setzte die Pille ab und stellte auf Kondome um.


Heute, sechs Jahre später, verhütet die 29-jährige Soziologin noch immer so. «Klar, ab und zu denk ich schon, schön wär’s, wenn man auf den Gummi verzichten könnte; doch ich habe mich so sehr daran gewöhnt, dass Hormone kein Thema mehr sind», sagt sie. Ob das Absetzen der Pille damals zu ihrer Genesung beigetragen hat, kann sie nicht mit Bestimmtheit sagen. Aber eines weiss sie sicher: «Ich möchte mich nicht mehr mit einem Medikament vor einer Schwangerschaft schützen.»

Persönliche Situation wichtig
So wie Julie Keller denken auch etliche Klientinnen, die bei Yvonne Studer im Geburtshaus Luna Biel eine Verhütungsberatung besuchen. «Sie haben es satt, die Pille zu schlucken; entweder weil sie damit schlechte Erfahrungen gemacht haben, oder weil sie nicht mehr mittels Medikament verhüten möchten», sagt die Fachfrau für sexuelle und reproduktive Gesundheit. Sie hat beobachtet, dass sich Frauen in jüngster Zeit vermehrt Gedanken über die optimale Verhütungsmethode machen und sich fragen, was in ihrer Lebensphase Sinn macht.


Genau da setzt Studer in ihren Beratungen an: bei der persönlichen Situation ihrer Klientinnen. Sie findet es wichtig, dass bei der Wahl der Verhütungsmethode nicht nur medizinische Faktoren eine Rolle spielen, sondern auch die Psyche und das soziale Umfeld der Frau, etwa der Partner. Verhütung sei zwar noch immer in erster Linie eine Frauensache, sagt Studer. Sobald eine Frau aber eine nicht-hormonelle Methode in Betracht ziehe, wachse das Interesse der Männer.

Bei der Pille geblieben
Auch Claudia Maurer von der Beratungsstelle für Familienplanung in Biel findet es wichtig, die persönliche Lebenssituation zu berücksichtigen. Denn sie sagt: «Die ideale Verhütungsmethode gibt es nicht; eine Frau muss entscheiden, welches Mittel zu welchem Zeitpunkt das richtige ist.»


Der Blick auf eine Gesundheitsbefragung des Bundesamts für Statistik (2007) zeigt: Die Mehrheit der 15- bis 44-jährigen Frauen (27,4 Prozent) verhütet mit Kondom; 21,7 Prozent nehmen die Pille; bei 17,2 Prozent der Schweizer Paare ist entweder der Mann oder die Frau sterilisiert; 13,2 Prozent haben eine Spirale einsetzen lassen. Nur gerade 4,9 Prozent der Frauen gaben an, auf «natürliche» Weise zu verhüten. Die Pille ist also nach dem Kondom das meistgewählte Verhütungsmittel. Woran könnte das liegen?


«Diaphragma, Kupferspirale oder Temperaturmessen – all das ist mir einfach nicht sicher genug», sagt die 25-jährige Lisa Knecht*. Darum nimmt die Kleinkindererzieherin seit rund acht Jahren die Pille, obwohl sie «kein Fan» davon ist. Der Grund: Während der siebentägigen Einnahmepause plagen sie jeweils Kopfschmerzen. Ausserdem leidet sie regelmässig an depressiven Verstimmungen. Da ihr aber sämtliche nicht-hormonelle Verhütungsmethoden nicht zuverlässig genug erschienen und sie zurzeit auf keinen Fall schwanger werden will, ist sie bei der Pille geblieben. «Die Frage der Sicherheit spielt bei der Wahl der Verhütungsmethode eine wichtige Rolle», sagt Claudia Maurer. Ein zuverlässiger Schutz vor einer ungewollten Schwangerschaft – aber auch vor Geschlechtskrankheiten – sei vor allem jungen Frauen wichtig. Sie entschieden sich deshalb meist für die Pille.


Ältere Frauen hingegen, die die Familienplanung schon abgeschlossen haben, setzten oft auf die Spirale. Auf Klientinnen, die sich für eine «natürliche» Verhütungsmethode interessieren, trifft Maurer in ihren Beratungen kaum. Wenn jemand danach fragt, empfiehlt sie einzig die symptothermale Methode, jedoch nur unter der Bedingung, dass die Frau ihren Körper gut kennt und in einer festen Beziehung lebt. Dabei werden die fruchtbaren Tage des weiblichen Menstruationszyklus (mittels Schleimbeobachtung und Temperaturmessung) ausgewertet.

«Nicht mehr allzeit bereit»
Eine breitere Palette an nicht-hormonellen Verhütungsmitteln bietet Yvonne Studer an. Zwar findet auch sie: «Eine Frau, die nicht-hormonell verhütet, muss sich fragen, ob sie mit einer möglichen Schwangerschaft umgehen könnte.» Gleichzeitig kritisiert sie aber, dass es in unserer Gesellschaft einzig darum gehe, «das Risiko für eine Schwangerschaft zu eliminieren». Wie wohl sich eine Frau mit einer Methode fühle, werde meist ausgeblendet. Dasselbe gelte für mögliche Nebenwirkungen der Pille, etwa Depressionen, Migräneanfälle oder Thrombosen.


Dass viele Frauen noch immer auf die Pille zurückgreifen, erklärt sich Studer nicht nur mit dem Bedürfnis nach Schutz vor einer Schwangerschaft, sondern auch mit der Angst, sich selbst zu nahe zu kommen. Gebärmutterhals, Muttermund, Ausfluss – viele Frauen seien damit kaum vertraut. Die meisten zeigten sich aber neugierig, mehr darüber zu erfahren. «Je reifer eine Frau ist, desto besser kennt sie ihren Körper», sagt Studer – und desto eher spreche sie auf nicht-hormonelle Methoden an. Unter anderem auch, weil sie «nicht mehr allzeit bereit für Sex» sei oder den Partner in die Verhütungsverantwortung einbinden wolle.


Letzteres trifft auch auf die Sozialpädagogin Emma Lanz* zu. Sie vertritt punkto Verhütung «eine feministische Haltung». Will heissen: Sie hat die Pille abgesetzt, weil sie nicht alleine für die Verhütung verantwortlich sein will. Nun schützt sie sich mit Kondomen vor einer ungewollten Schwangerschaft. Dass Kondome erwiesenermassen unsicherer sind als die Pille, stört sie nicht. Die 35-Jährige, die seit drei Jahren in einer festen Beziehung lebt, würde es nicht tragisch finden, «wenn es einschlägt».


* Namen von der Redaktion geändert

Stichwörter: Gesundheit, Verhütung

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