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Mein Montag

«Mein Lebensbaum hat wieder Wurzeln geschlagen»

Morgen ist Weltkrebstag. Er steht unter dem Motto «Bewegung tut gut». Eine ehemalige Brustkrebspatientin, die anonym bleiben möchte, berichtet, wie sie mit Waldspaziergängen und Yoga die bisher schwerste Zeit ihres Lebens überstand.

Heute lebt sie den Moment, «weil ich erfahren habe, dass man nicht wissen kann, was morgen ist». Bild: Aimé Ehi

Aufgezeichnet: Brigitte Jeckelmann


Brustkrebs, hochaggressiv. Die Diagnose traf mich aus heiterem Himmel, ein Schock. Warum ich? Ich hatte doch immer gesund gelebt, viel Sport getrieben, mich vegetarisch ernährt, nicht geraucht und kaum Alkohol getrunken. Vor meinem inneren Auge zog mein Leben an mir vorbei, meine Kinder, die Eltern, mein Mann. Mir blieb keine Zeit, mich damit auseinanderzusetzen. Die Ärzte drängten, diese Art Tumor wächst besonders schnell. Sie machten mir klar: Ohne Chemotherapie stehen die Chancen schlecht. Ich musste den Ärzten vertrauen, wollte ich überleben. Und das wollte ich, nur schon als Mutter von zwei halbwüchsigen Kindern. Vor dem Tod hatte ich keine Angst, aber grossen Respekt. Ich sah ihn als Herausforderer, dem ich mich um keinen Preis geschlagen geben wollte.


Gleich am Tag nach der Diagnose musste ich in die Röhre. Die Ärzte wollten meinen ganzen Körper auf Ableger kontrollieren. Kurz danach ging es los mit der Chemotherapie. Ich musste meine ganze Familie und meinen Freundeskreis über meine Krankheit informieren und dann auch noch mit ihrer Trauer fertig werden. Das kostete mich viel Kraft, statt dass mein Umfeld mir Kraft gab, wie ich erwartet hatte. Aber ich hatte auch Freundinnen, die mich in meiner positiven Einstellung unterstützten und für mich da waren. Zudem begleiteten sie mich abwechselnd zu den Chemotherapien. In den ersten anderthalb Monaten ging ich wöchentlich in die Klinik Linde Biel. Dort verabreichte man mir die Antikrebsmittel mit einer Infusion. Während der ersten zwei Chemotherapien – es waren insgesamt 16 - ging es mir schlecht. Mir war ständig übel. Und dann fielen meine Haare aus, das war für mich das Schlimmste. Um damit fertig zu werden, rief ich mir immer den Lebensbaum ins Gedächtnis. Er verliert im Herbst die Blätter und ist im Winter kahl. Wie ich es wurde.


Bewegung war immer meine alltägliche Begleiterin. Ich fuhr mit dem Velo zur Arbeit, machte lange Spaziergänge in der Natur und praktizierte Yoga. Während der ersten Zeit der Chemotherapie schränkten Schmerzen und Übelkeit meinen Bewegungsdrang ein. Aber ich merkte: Wenn ich mich bewege, geht es mir nachher besser. So überwand ich mich. Das war manchmal schwer. Doch es lohnte sich. Denn Bewegung linderte die Übelkeit und die Schmerzen in Muskeln und Gelenken, Nebenwirkungen der Chemo. Wichtig war für mich, jeden Tag einen Plan zu haben. Zuviel Nachdenken tat mir nicht gut. Frühmorgens begann ich mit einem Yoga-Ritual. So konnte ich mit meinen Gedanken in den Tag starten. Danach ging ich hinaus, oft in den Wald, mein Kraftort.


Ich brauche die Bewegung, um mich gut zu fühlen, es ist ein Bedürfnis, keine Pflicht. Die Therapie verband ich meistens mit einem Besuch im Elfenaupark. Auch dort spüre ich eine Kraft, die guttut. Ich bin davon überzeugt, dass Gehen in der Natur und Yoga mir dabei geholfen haben, wieder gesund zu werden. Die positive Energie von Bewegung gibt Mut und Kraft.


In den ersten Tagen nach der Diagnose fühlte ich mich sehr verloren. Aber ich hatte grosses Vertrauen in die Ärzte, die mich behandelten. Ich glaube, das hat mich gerettet. Wenn ich in einem solchen Moment wegen Misstrauen noch andere Meinungen hätte einholen müssen, hätte mich das gestresst und geschwächt. Ich habe immer positiv in die Zukunft geblickt. Schon nach wenigen Wochen konnten die Ärzte einen messbaren Erfolg feststellen: Der Tumor in meiner Brust wurde kleiner. Das gab mir einen enormen Schub. Die Chemo schlug an, ich war auf gutem Weg und motiviert für die weiteren drei Monate Therapie. Noch stand mir aber die Brust erhaltende Operation bevor, bei der die Ärzte das Tumorgewebe entfernten und einen Expander einsetzten. Dies war aber erst möglich, nachdem alle Krebszellen zerstört waren. Zuhause zeichnete ich mir alle Wochen, ab dem Tag der Diagnose bis zur ersten Operation, auf Papier. Das half mir. Ich häkelte Woche für Woche ab, bis zum Zeitpunkt, als es dann so weit war. Danach hatte ich grosse Schmerzen, auch die Beweglichkeit der Arme war stark eingeschränkt. Während rund zwei Monaten konnte ich mich nicht so bewegen wie gewohnt. Als die Narben zu heilen begannen, konnte ich wieder mit Yogaübungen beginnen, ich gewann meine Beweglichkeit zurück.


Ein Jahr nach der Diagnose sagte mir mein Arzt, dass ich physisch wieder intakt sei. Doch das Urvertrauen in meinen Körper hatte ich verloren. Wie ein Baum, dessen Wurzeln verkümmert sind. Mein Körper hatte mich in einem Moment im Stich gelassen, als ich nicht im Traum daran dachte. Alles war ja gut in meinem Leben. Und dennoch entstand etwas so Hochaggressives in mir. Dank der Unterstützung meiner Psychologin und einer guten Freundin, die auch Yogalehrerin ist, gewann ich das Vertrauen in meinen Körper zurück. Diesen Frühling sind drei Jahre seit der Diagnose vergangen. Die Erfahrung mit meiner Krankheit hat einen anderen Menschen aus mir gemacht. Heute schaue ich zuerst, was für mich selber stimmt. Das hat nichts mit Egoismus zu tun. Ich lasse mich nicht mehr ablenken durch äussere Umstände oder Werte der Gesellschaft. Ich habe etwas erfahren, das mir die Augen geöffnet hat. Ich weiss jetzt, dass meine Vorstellung davon, wie ich etwas tue oder wie ich arbeiten möchte, für mich richtig ist. Es ist mir ein Bedürfnis, meine Erfahrungen weiterzugeben. Heute bin ich für alles, das ich habe, dankbar. Dankbarkeit ist für mich das Höchste – und den Moment leben. Weil ich erfahren habe, dass man nicht wissen kann, was morgen ist. Das empfinde ich als Bereicherung.


Wenn ich das Ganze im Nachhinein anschaue, habe ich den Eindruck, dass es für mich positiv ist. Ich hatte eine schlimme Krankheit, die man therapieren konnte. Das ist längst nicht bei allen Krebspatienten so. Bei mir hat die Chemo angeschlagen, ich hatte Glück, habe aber auch selber etwas dazu beigetragen. Meinen Körper empfinde ich als wieder gesund. Manchmal habe ich sogar ein besseres Gefühl als vorher. Auch, weil ich heute mehr bei mir selber bin. Es war ein Reifungsprozess. Seit Kurzem habe ich einen neuen Job, bei dem ich meine Kreativität für Menschen einsetzen kann. Ich war immer sehr kreativ, habe Bilder gemalt, Kunsthandwerk hergestellt und Kleider genäht. Fast zehn Jahre lang war ich als Kunstschaffende selbstständig. Nach der Geburt meiner Kinder arbeitete ich im Marketing. Die Krankheit hat mich zur Kreativität zurückgeführt, die mich glücklich macht, für mich eine Belohnung.


Der Kreis schliesst sich wunderbar. Mein Lebensbaum hat wieder Wurzeln geschlagen, seine Blätter sind grün und er ist voller Kraft.

Info: Auf der Website der Schweizer Krebsliga www.krebsliga.ch finden Sie Sportkurse in Ihrer Nähe.

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