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Moderne Nomaden

Oh, wie schön ist Panama

Für die Dreharbeiten 
zu ihrem ersten Film weilen Martina Zürcher und ihr Mann für einen Monat in Panama. 
Der Bus bleibt aber zuhause in Aarberg.

Mitten im Dschungel und glücklich: Julio. Martina Zürcher
  • Dossier

Martina Zürcher

Ich kann nicht aufhören zu grinsen. Wir fahren in einem kleinen Motorboot, einem sogenannten Panga, durch die Flussmündung hinaus ins Meer. Etwas später ziehen Felswände und Hügel, bewachsen mit sattgrünem Dschungel, an uns vorbei. Pelikane segeln über unsere Köpfe, fliegende Fische springen neben uns aus dem Wasser. Ich kann unserem Kapitän nur zu stimmen. «Muy lindo.» Es ist wunderschön hier, an dem Ort, der so ganz von der Welt abgeschnitten ist.

Der Hund, der schnüffelt
Wir sind in der Provinz Darien, im Süden von Panama. Was wir sehen, ist der Darien-Dschungel; er streckt sich zwischen Panama und Kolumbien weit über Berge und Täler aus und macht es unmöglich, auf der Strasse von einem ins andere Land zu gelangen. Während wir uns für den Dokumentarfilm zu unserem Buch via Boot weiter Richtung Kolumbien bewegen, wird es schnell normal, den Pass an einen Polizisten auszuhändigen und das Gepäck nach der Rückkehr an Land von einem Drogenspürhund beschnüffeln zu lassen. Aber die Schönheit dieser verlassenen Gegend, die Einfachheit des Lebens fasziniert mich. Mein Mann Dylan, der hier bereits vor vier Jahren mangels Strassen mit seinem Motorradfloss unterwegs war, sowieso. Für den Film suchen wir nun die Menschen auf, die ihm damals bei seinem Abenteuer unterstützt haben. Dabei finden wir nicht nur Freunde wieder, sondern auch wunderbare Geschichten.

«Er gab mir damals 20 Dollar»
Die von Julio zum Beispiel. Als Dylan ihn damals zum ersten Mal traf, war er gerade erst mit Frau und Kindern in Ardita, einem Dorf bestehend aus neun Familien, angekommen. Sie waren zehn Tage durch den Dschungel marschiert, um der andauernden Gewalt, die zwei Gangs in ihrer Heimat verbreiteten, zu entkommen. Im Gepäck nichts ausser dem Mut, neu anzufangen.

Das erste, was er zu mir sagt ist: «Er gab mir damals 20 Dollars!» Und Dylan erklärt, dass er den Mann nicht anders hatte unterstützen können als mit 20 Dollar – alles was er damals noch übrig hatte, nachdem er sechs Wochen auf dem Pazifik unterwegs gewesen war. Jetzt will Julio unbedingt, dass wir am nächsten Morgen seine Finca besuchen.

Um 7 Uhr holt er uns ab. Es folgen 20 Minuten Fussmarsch durch den Dschungel. Wir gehen Julio hinterher, der in seinen Gummistiefeln zügig vorangeht. Irgendwann kreuzen wir sechs seiner acht Kinder auf dem Weg zur Schule. Dann plötzlich, in einer Flussbiegung, ein grosses Holzhaus auf Pfählen, gedeckt mit einem einfachen Palmenblätterdach. Die Hunde begrüssen uns bellend, während die Hühner und Katzen uns nicht beachten und die Schweine sich überglücklich über den Mais hermachen, der Julio ihnen füttert.

Geschuftet wie verrückt
Um das Haus herum führt er uns über sein Farmland, welches er und seine Frau sich in den letzten Jahren erarbeitet haben. Er hat dem Dschungel ein Stück Land gestohlen und daraus eine kleine Farm gemacht, die es ihm ermöglicht, seine Familie zu ernähren und den Kopf über Wasser zu halten. Sie haben Mais, Papaya, Ananas, Avocados, Kartoffeln, Kochbananen und vieles mehr angebaut. Er muss wie verrückt gearbeitet haben in den letzten Jahren. Wahnsinn, was er hier mitten im Dschungel geschafft hat.

Einen Dollar aufbewahrt
Dann erhalten wir einen schwarzen Kaffee und eine frisch gepflückte Papaya gereicht. Das wohl beste Frühstück der gesamten Reise. Und als wären wir nicht schon über die Kraft seines Willens gerührt, verschwindet Julios Frau hinter einem Vorhang und kommt mit einem zerknitterten Dollarschein in der Hand zurück. Sie reicht ihn Julio, und dieser sagt zu Dylan: «Schau, diesen einen Dollar von den 20, die du mir damals gegeben hast, habe ich aufbewahrt, um dich in Erinnerung zu behalten!» Wir sind sprachlos und froh, den beschwerlichen Weg in das kleine Dorf auf uns genommen zu haben.

Geld – wir brauchen es, Julio braucht es. Die Frage ist aber: Wie viel brauchen wir wirklich? Oder wie viele der Dinge bräuchten wir nicht?

«Muy feliz!»
«Julio, bist du glücklich?», fragen wir den Mann, der in einem einfachen T-Shirt und abgewetzten Hosen vor uns steht. «Ja!», sagt er ohne zu zögern. «Muy feliz!» Sehr glücklich! Seine Augen strahlen, und er verliert kein Wort darüber, wie anstrengend die letzten vier Jahre für ihn gewesen sein müssen. Er zeigt uns, hier mitten im Dschungel, abgeschnitten vom Rest der Welt, was es bedeute, wenn wird das Glück im Herzen anstatt auf dem Bankkonto tragen.

Stichwörter: Nomaden, Dschungel, Panama

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