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Wochenkommentar

Wer hilft beim Wegschauen?

Tobias Graden vergleicht den jüngsten Skandal der Fifa mit der Doping-Problematik im Radsport.

Tobias Graden, stv. Chefredaktor

Erinnern Sie sich an die Tour de France 1998? Pantani und all die anderen Cracks sassen am Boden, sie streikten. Zülle weinte vor den TV-Kameras. All die gedopten Fahrer klagten, jetzt werde der Sport von den Ermittlern kaputtgemacht – dabei dienten die Anti-Doping-Ermittlungen doch dazu, den Radsport überhaupt wieder zu einem Sport zu machen. Es wurde in den folgenden Jahren vorerst nicht besser. Der Radsport hatte in den Nullerjahren ein gravierendes Problem, Sponsoren sprangen ab, TV-Stationen boykottierten die Rennen, viele Fans wandten sich angewidert ab. Und heute? Es scheint, dass der Dopingsumpf tatsächlich zu einem guten Teil ausgetrocknet ist – mit Sicherheit garantieren lässt sich das aber kaum, vielleicht sind auch die Dopingpraktiken stark verfeinert worden. Offenbar haben aber viele wichtige Akteure im Radsport die Lektion begriffen: Wenn man der Öffentlichkeit nicht zumindest das Bild des fairen Wettkampfs einer aufrichtigen, integren Sportart verkaufen kann, droht das Produkt ernsthaft Schaden zu nehmen. Nun ist der Fussball noch ein ganz anderes Kaliber als der Radsport. Er ist wahrlich globalisiert und international, es geht um viel mehr Austragungsorte, zahlreichere und teurere Sponsoringverträge und Ausstrahlungsrechte, um viel mehr TVZuschauer, kurzum: um viel mehr Geld. Es wäre allein schon darum völlig naiv zu meinen, es gehe in diesem Abermilliardengeschäft nach hehren Idealen zu. Es geht aber auch nicht nur um Sport und um Geld, sondern auch um Politik. Im besten Fall kann dies – bei allen Ambivalenzen – tatsächlich eine Art sinnvolle Entwicklungspolitik sein – die WM auf dem afrikanischen Kontinent setzte grundsätzlich ein schönes Signal. Eine Endrunde im zunehmend autoritären Russland oder gar im Emirat Katar dürfte dagegen eher den dortigen Machthabern zur Konsolidierung ihres Systems nützen.Hinzu kommt, dass die beschworenen Werte, auf denen die jetzige hiesige Empörung fusst, keineswegs überall geteilt werden. Was da als Korruption bestraft wird, ist dort höchstens ein Kavaliersdelikt. Schützt man hier Gastarbeiter mit allgemeingültigen Gesamtarbeitsverträgen, sind andernorts deren an Sklaverei gemahnende Bedingungen plausible Folge des herrschenden Menschenverständnisses.Natürlich ist Blatter kaum der geeignete Präsident, um die Fifa zu erneuern. Natürlich ist das Steuerprivileg für die Fifa in der Schweiz ein Skandal. Doch wahre Veränderungen werden erst erfolgen, wenn der Verkaufserfolg des Produkts tatsächlich gefährdet ist, das hat das Beispiel Radsport gezeigt. Das heisst: Wenn wir Fussballfans nicht mehr Fussball-WM schauen. Und das müssten sehr viele von uns so handhaben.

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