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Seniorenfahrdienst

Zeit und Mobilität als Geschenk

Die freiwilligen Chauffeure stellen ihre Freizeit und ihr Fahrzeug für gebrechliche Menschen zur Verfügung. Ein Blick hinter die Kulissen des SRK-Fahrdienstes der Region.

Will Menschlichkeit leben können: Jean-Luc Chatelain ist Chauffeur beim Fahrdienst des SRK Sektion Biel-Seeland. Leiterin Miranda Della Valentina beobachtet ein verändertes Verhalten von Hilfsbedürftigen. Carole Lauener

von Ursula Grütter

«Man soll noch Menschlichkeit leben können, das ist mir wichtig», sagt Jean-Luc Chatelain. Der 65-Jährige ortet einen Schwund des humanitären Gedankengutes in unserer Gesellschaft. Und dem setzt er ein Stück menschliche Anteilnahme entgegen, als ehrenamtlicher Fahrer des Schweizerischen Roten Kreuzes Biel-Seeland.

Wird er gerufen, fährt er gebrechliche Menschen zum Arzt, in die Therapie oder zu einer Untersuchung ins Spital. Und sein «Taxidienst» fängt oft nicht erst vor der Haustüre des Fahrgastes an. Hat jemand Mühe, seine Schuhe anzuziehen, hilft er mit. Braucht jemand einen starken Arm für den sicheren Gang zum Auto, ist er da. Und oft bleibt er während Stunden im Warteraum von Spitälern, als Vertrauter und als Beruhigungspille für seinen Fahrgast. Dann kommt es vor, dass der Chauffeur für seinen Kunden betet. Denn Chatelain war früher Pfarrer. «Wir bieten den Leuten nicht nur eine Fahrt an, wir zollen ihnen Respekt», sagt er. Chatelain, der vor einigen Jahren aus gesundheitlichen Gründen aus dem Berufsleben ausschied, will seinen Fahrgästen auf Augenhöhe begegnen, wie er es nennt.

 

Nur Spesenentschädigung

Um die 9000 Kilometer kurvt Chatelain jährlich für das SRK durch die Gegend. Geld gibt es dafür nur in Form von Spesenentschädigungen. 80 Rappen pro gefahrenen Kilometer müssen die Nutzer des Fahrdienstes zahlen, bei einem Mindesttarif von 10 Franken. Eingezogen wird das Geld direkt nach der Fahrt.

Zusammen mit Chatelain leisten noch weitere 55 Fahrer, darunter auch 18 Frauen, ihren Beitrag an Freiwilligenarbeit. Insgesamt betreut der SRK-Fahrdienst im Seeland 2100 Kunden, allein in Biel sind es 600 bis 700 Personen. Die Anfragen haben laut Miranda Della Valentina, Leiterin Fahrdienst der Sektion Biel-Seeland, stark zugenommen. Den Grund sieht sie im veränderten Verhalten der Hilfsbedürftigen. «Noch vor zehn oder fünfzehn Jahren empfanden viele ältere Menschen es als Schande, den SRK-Fahrdienst nutzen zu müssen. Sie schämten sich wegen der Nachbarn, weil man krank war, und weil die eigene Familie nicht einspringen konnte», erklärt Della Valentina. Heute sei diese Hemmschwelle weit weniger da. In der heutigen Gesellschaft nehme man Hilfe einfacher an.

In ihrer täglichen Arbeit erlebt Della Valentina auch fordernde Menschen. Solche, die auf der Suche nach einem Privatchauffeur sind und gesetzte Regeln nicht akzeptieren wollen. Biel sei durch die Diversität der Leute ein anspruchsvolles Pflaster, sagt sie dazu. Dennoch: Das SRK-Team setzt auf Vertrauen und erspart sich so viele administrative Arbeiten. Wer gesundheitlich angeschlagen ist und niemanden findet, der die Fahrt zum Arzt oder ins Spital wahrnehmen kann, wird abgeholt. Dazu reicht ein erster Telefonanruf. Nach der Fahrt erfolgt eine Rückmeldung des Chauffeurs an die Dienststelle. Tauchen bei einem Kunden Zweifel zu den Angaben auf, wird genauer hingeschaut. Zur Konkurrenz von Taxibetrieben wolle man nicht werden, das sei nicht Aufgabe des SRK, so Della Valentina. Auch Personen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, nehmen die SRK-Fahrer nicht mit. Diese Dienstleistung deckt der Behindertentransport des Kantons Bern ab.

 

Die meisten sind über 80

Allein in Biel sind im letzten Jahr beim Fahrdienst 9050 Stunden Freiwilligenarbeit geleistet worden, mit gefahrenen 145 000 Kilometern. Eindrücklich ist eine weitere Zahl: 80 Prozent der Fahrgäste sind über 80-jährig. Und das Durchschnittsalter der Fahrerinnen und Fahrer liegt bei 69 Jahren. Auch hier setzt das SRK auf Vertrauen. Einen eigentlichen Eignungstest gibt es nicht, dafür ein einstündiges Gespräch. Della Valentina will von den künftigen Einsatzkräften wissen, welche Motivation sie antreibt. «Helfen ist gut, aber man muss sich auch abgrenzen können», sagt sie. «Es braucht Leute, die etwas Sonne und Fröhlichkeit in den Alltag der Kunden bringen.» Freiwilligenarbeit sei immer ein Geben und Nehmen.

Die Fahrtüchtigkeit der Bewerber kontrolliert Della Valentina, indem sie sich den Fahrzeugausweis und den Führerschein vorlegen lässt. Fahre jemand unsicher, werde ihr dies sofort von den Fahrgästen zurückgemeldet. Als zusätzliche Sicherheit zahlt das SRK allen 76- und 78-Jährigen einen obligatorischen Fahrtest. Und mit 80 ist definitiv Schluss mit den Fahrten für das SRK.

Noch ist es für Jean-Luc Chatelain nicht soweit, und ans Aufhören denkt er nicht. «Wenn ich einmal zwei oder drei Wochen keine Einsätze für das SRK fahre, fehlt mir etwas», sagt er. Er fährt gerne Auto und ihn beleben die Begegnungen mit Menschen.

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