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Coronakrise

«Alle ziehen den Hut»

Für den ehemaligen Chefjuristen von Roche, Gottlieb Keller, ist klar, dass der Bund nach dem Angebot des Lonza-Präsidenten Albert Baehny den Impfstoff direkt bei Lonza hätte kaufen können.

Symbolbild: Keystone

Interview: Isabel Strassheim

Gottlieb Keller, war es von Lonza-Präsident Albert Baehny absurd, beim Bund um Investitionshilfe für die Impfstoffproduktion nachzufragen?

Gottlieb Keller: Keineswegs, es scheint ein einfacher Fall gewesen zu sein: Lonza suchte Kapital, um rasch Kapazitäten für die Herstellung des Covid-Impfstoffs in Visp aufzubauen, und hat sich an den Staat gewendet. Lonza selbst hat offenbar investiert, suchte aber offenbar noch einen zusätzlichen Investor. Die Schweiz hatte allen Grund, am Aufbau von Kapazitäten im Wallis interessiert zu sein.

 

Die Gretchenfrage ist, ob Lonza dem Bund dafür auch eine schnelle Impfstoffbelieferung hätte zusichern können.

Ich habe keinen Zweifel daran, dass Lonza der Schweiz die rasche Impfstoffbelieferung hätte garantieren können. Das hätte sich vertraglich einfach regeln lassen. Einerseits spricht die Schweiz Lonza eine bestimmte Summe als Finanzierungshilfe für den Anlagenaufbau zu; Lonza und Moderna vereinbaren andererseits, dass dafür eine bestimmte Menge an Impfstoff vorrangig an die Schweiz geliefert wird. Ohne diese Möglichkeit wäre Herr Baehny kaum auf den Bund zugekommen.

 

Hätte es nicht auch einen Vertrag zwischen dem Bund und Moderna geben müssen?

Nein, einen direkten Vertrag zwischen der Schweiz und Moderna hätte es dafür nicht unbedingt gebraucht. Ein Dreiecksvertrag hätte genügt: Bund-Lonza, Lonza-Moderna.

 

Alain Berset behauptete, die Schweiz hätte nichts von einer Unterstützung von Lonza gehabt, denn der Impfstoff wäre zu 100 Prozent in den Händen von Lonza geblieben.

Nein, Lonza hätte den Impfstoff in Absprache mit Moderna – sogar zu einem vorab vertraglich festgesetzten Preis – direkt an die Schweiz verkaufen können. Moderna ist zwar die Patentinhaberin, aber als Produzentin hätte Lonza dennoch vertraglich mit ihr vereinbaren können, dass sie eine bestimmte Zahl an Dosen verkaufen kann.

 

Hätte der Bund dafür eine eigene Produktionslinie nur für die Schweiz besitzen müssen?

Nein, die Produktionsstrasse wäre im Besitz von Lonza gewesen. Hätte die Schweiz investiert, hätte für sie eine vorab festgelegte Menge an Impfdosen garantiert werden können.

 

Aber Lonza stellt nur den Wirkstoff für den Impfstoff her.

Für die Endfertigung hätten Lonza oder der Bund dann weitere Firmen finden müssen. Ein lösbares Problem.

 

Im Protokoll der Sitzung zwischen dem Bund und Lonza wird von der Kommerzialisierung durch eine separate Firma berichtet. Was bedeutet das?

Das wäre eine mögliche Komplikation gewesen, erschiene mir aber lösbar.

 

Sind in der Pharmaindustrie Investitionsverträge zur Eigenvermarktung und Herstellung von Medikamenten oder Impfungen bekannt?

Solche Verträge zwischen zwei Firmen werden in der Pharmabranche durchaus gemacht.

 

Für Sie ist der Vorschlag Baehnys, den er dem Bund offenbar machte, also valabel?

Alle, die ich in der Pharmabranche kenne, ziehen den Hut vor dem Lonza-Präsidenten und seinem damaligen Angebot an die Schweiz. Ich kann zwar nicht für Roche sprechen, aber wäre Baehny auf Roche zugekommen, hätte ich eine mögliche Finanzierung der Produktionskapazität als realistisch beurteilt und dafür mit ihm vertraglich vereinbaren können, dass er vorrangig eine bestimmte Zahl an Impfdosen an die Roche-Mitarbeitenden liefert. Das ist zwar ein theoretisches Beispiel, aber das wäre aus meiner Sicht realisierbar gewesen.

 

Was denken Sie über den Bund?

Dass die Schweiz das nicht verstanden hat und nicht darauf eingegangen ist, kann ich nur darauf zurückführen, dass das Risiko zu hoch erschien, denn es war damals ja nicht klar, ob der Impfstoffkandidat Erfolg haben würde.

 

Hätten Sie damals in den neuartigen mRNA-Impfstoff investiert?

Ja, auch wenn es natürlich um Risikokapital geht. Der Bund muss da natürlich vorsichtiger sein als die Pharmaindustrie, die ja laufend in riskante Forschungsprojekte investiert. Aber der Bund wie auch Schweizer Firmen haben seinerzeit viel für die Rettung der Swissair gezahlt. Allein Roche hatte 100 Millionen Franken gegeben. Die Unterstützung der Impfstoffproduktion kann ebenso als Infrastrukturmassnahme gelten. Der Bund hätte sich da meiner Meinung nach ruhig beteiligen sollen.

 

Und jetzt? Inzwischen ist das Covidgesetz geändert und sieht auch die staatlichen Investitionshilfen vor, könnte sich der Bund noch am Aufbau zusätzlicher Produktionslinien in Visp beteiligen?

Ich glaube nicht. Im letzten Frühling war noch nicht klar, dass der Moderna-Impfstoff sicher und wirksam ist. Damals suchte Moderna noch Produktionskapazitäten und hätte sich auf einen solchen Dreiecksvertrag mit dem Bund und Lonza eingelassen. Schon kurze Zeit später dürfte das nicht mehr der Fall gewesen sein, und man konnte nur noch Bestellungen treffen, ohne bevorzugte Liefergarantie.

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