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Industrie

Auch in Biel werden Chips gebaut

Die Mikrochip-Produktion hinkt der global starken Nachfrage hinterher. Das führt bei vielen Unternehmen zu Produktions- und Lieferproblemen. In Biel gibt es aber auch Profiteure.

Symbolbild: Keystone

Manuela Schnyder

Aus der modernen Welt sind sie nicht mehr wegzudenken: die Mikrochips. Sie stecken in Handys, Computern, Autos, Medizinapparaten wie Zahnbohrern oder Herzschrittmachern oder in Industriemaschinen, die über einen Computer gesteuert werden, bis hin zur automatischen Spülung bei Pissoirs oder Lichtschalter. Und auch in Biel gibt es eine Firma, die Chips konzipiert und vertreibt.

«Wir entwickeln Chips unter anderem für die Automobilbranche. In einem Auto werden heute mehrere 100 Chips eingebaut, die Fensterheber, Rückspiegel, Lüftungen und Klimaanlagen steuern oder für die Sensorik benötigt werden», erklärt Verwaltungsratspräsident Andreas Reber von der Bieler HMT Microelectronic AG. Das Unternehmen bedient nicht nur die Autobranche, sondern entwickelt auch Chips für Produktionsanlagen der Industrie oder Applikationen für die Medizinalbranche. Und die Firma kann sich derzeit kaum vor Aufträgen retten: «Wir bearbeiten rund 50 Prozent mehr Aufträge als vor der Krise», sagt Reber.

So geht es nicht nur dem Bieler Chipentwickler, sondern auch anderen Entwicklern. Die Folge: Die Werke, die für die Fabrikation der Chips zuständig sind, können die starke Nachfrage nicht bewältigen. «Unsere Partner in Italien und Belgien, die die Chips auf unseren Auftrag hin produzieren, haben aktuell ein Auftragsvolumen, das rund 20 Prozent über der verfügbaren Kapazität liegt», erklärt Reber. Das führt gezwungenermassen auch bei den Kunden der HMT Microelectronics zu Lieferverzögerungen von bis zu einem halben Jahr.

 

Wie eine Brücke bauen

Um ein Gerät, eine Maschine oder ein Fahrzeug zu steuern, braucht es Materialien, die elektrische Spannungen und Ströme verarbeiten können. Silizium kann das und ist das meist verwendete sogenannte Halbleitermaterial. Es kommt in der Natur vor wie Sand am Meer. Das aufbereitete Silizium wird zu einem grossen Teil in Taiwan, China, Südkorea und USA, aber auch in Europa auf «Wafern», also in dünne Scheiben geschnittene Halbleiterplatten, verarbeitet. Weitere sogenannte Diffusionsschritte verändern die Eigenschaften des Halbleitermaterials dann so, dass hochkomplexe Funktionen darauf realisiert werden können.

«Das Entwickeln von Chips ist wie eine Brücke bauen, bei der man den Einsatz definieren, die Statik und die Tragfähigkeit berechnen, sowie das Material, den Aufbau und die Arbeitsschritte bestimmen muss», erklärt Reber. Das macht das 24-köpfige Bieler Entwicklerteam und lässt die Chips anschliessend in Italien, Belgien oder in den USA produzieren. Weitere zehn Angestellte, die überwiegend aus der Uhrenbranche stammen und daher die Arbeit mit ganz winzigen Teilen gewohnt sind, testen die Chips auf ihre Funktionstüchtigkeit. Danach werden sie bei externen Firmen hauptsächlich in Fernost in die bekannten kleinen schwarzen Kästchen verpackt, bevor sie an die Kunden ausgeliefert werden.

Rund 30 Prozent der Chips liefert die HMT Microelectronics an Kunden in der Schweiz, der restliche Teil wandert ins umliegende Ausland, unter anderem an bekannte Zulieferer der deutsche und französische Autobauer. «Wenn wir nicht liefern können, kommt es dort zu Produktionsstopps», sagt Andreas Reber.

 

Swatch Group will ausbauen

Das Bieler Unternehmen ist übrigens nach eigenen Angaben das älteste Unternehmen in Europa, das solche Chips auf Kundenwunsch konzipiert. Es wurde einst (1978) von Jack Heuer als Spin-off des Schweizer Uhrenunternehmens Heuer-Leonidas, heute TAG-Heuer, gegründet.

Während das HMT-Entwicklerteam alle Hände voll zu tun hat, verzögern sich die Auslieferungen. Zwar werden auch Naturereignisse in Asien wie Dürre und Hochwasser oder Stromunterbrüche in Texas als Gründe für eine geringere Produktionsleistung bei den Halbleiterherstellern ins Feld geführt. Laut Reber sorgen aber vor allem Produktionskapazitäten für Engpässe bei den Chips: «Die Werke haben während der Pandemie ihre Kapazitäten nicht ausgebaut oder mussten wegen fehlenden Personals diese sogar stark reduzieren und können diese nun nicht so schnell wieder ausbauen. Gleichzeitig ist der Bedarf übermässig angestiegen.» Erschwerend kämen wegen der längeren Lieferfristen auch Hamsterkäufe hinzu.

Beim Bieler Unternehmen bindet die aktuelle Situation vermehrt Kapital: «Anders als vor dem Engpass müssen viele Aufträge nun per Vorkasse bezahlt werden. Gleichzeitig sind die Preise für die Verarbeitung teilweise um 20 bis 25 Prozent gestiegen», sagt Reber. Gemäss den Aussagen der Halbleiterlieferanten dürfte der Engpass noch mindestens bis Ende 2022 anhalten.

Die Leidtragenden sind alle Firmen, die Chips in ihre Güter verbauen. Aber es gibt in der Region auch einen weiteren Gewinner der Halbleiter-Krise: die Swatch Group. Das Unternehmen hat in Marin eine eigene Chip-Produktion für seine Uhren, kann aber dank der eingerichteten Industrieanlagen auch viele andere Industriebereiche bedienen. Es ist zudem eines der wenigen Chip-Werke in ganz Europa: «Der aktuell riesige Bedarf an Mikrochips hat zu einer weltweiten Knappheit geführt. EM Microelectronic-Marin profitiert von dieser Situation und hat sich sogar Zugang zu neuen Märkten und Kunden geschaffen», bestätigt Mediensprecher Bastien Buss.

Die Auftragslage sei «ausserordentlich gut» und Swatch Group werde in Marin über die nächsten Jahre massiv in die Erweiterung von Produktionskapazitäten investieren, heisst es weiter. Damit will der Konzern laut dem Sprecher das Bekenntnis zum Industrie- und Innovationsstandort Schweiz und zum Swiss Made, auch im Bereich der Mikroelektronik, weiter bestärken.

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