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Automobilbranche

Auf dem Weg in die Zukunft

Der Lysser Technologiekonzern Feintool hat die Coronakrise grossteils hinter sich gelassen. Für die nächsten Jahre rechnet er mit einer klaren Zunahme der Elektromobilität.

Da geht's lang, Richtung Elektromobilität: Knut Zimmer an der Halbjahreskonferenz. keystone

Tobias Graden

Knut Zimmer zeigt eine golden schimmernde Platte. Sie ist in Plastik eingefasst, denn sie ist sehr dünn, man könnte sich leicht an ihr verletzen. Das Teil ist eine sogenannte Bipolar-Platte, wie sie in Brennstoffzellen benötigt wird. Gefertigt wird sie mittels Feinschneidtechnologie mit der «FB One», der neusten Pressmaschine des Lysser Technologiekonzerns. Der Feintool-CEO führt diese Platte vor, weil sie verkörpert, was Feintool leistet: «Wir bieten die Technologie, die Werkzeuge, die Maschine und die Teile an», sagt Zimmer. Interessant für Kunden ist dies dann, wenn sie grosse Volumen benötigen – für eine einzige Brennstoffzelle braucht es 800 solcher Platten.

Offen für alle Technologien
Der Markt für Brennstoffzellen dürfte in den nächsten Jahren nicht gleich explodieren, das weiss auch Knut Zimmer. Doch das Bauteil verdeutlicht einen zweiten wesentlichen Punkt: In der Transformationsphase, in der sich die Autobranche noch für viele Jahre befinden wird, bleibt Feintool als Zulieferer «technologieoffen». Das heisst: Das Unternehmen konzentriert seine Bestrebungen nicht auf eine bestimmte Antriebstechnologie, sondern sucht Möglichkeiten in allen Bereichen, seien dies Verbrennungsmotoren, Elektroantrieben oder eben auch in der Brennstoffzelle.
In absehbarer Zukunft aber wird der Elektromotor an Boden gewinnen. Zimmer illustriert dies mit den Daten von IHS Markit, einem Unternehmen, das unter anderem Analysen für den Automarkt erstellt. Schon im Jahr 2024 wird der Anteil reiner E-Wagen an allen produzierten Autos über 15 Prozent betragen, jener der Hybride knapp 40 Prozent – es ist das erste Jahr, in dem gemäss Prognosen die Verbrenner weniger als die Hälfte der neu gefertigten Fahrzeuge stellen.

USA folgen später
Die Entwicklung ist allerdings je nach Region sehr unterschiedlich. In China folgt sie mit etwas Verzögerung, in den USA dagegen sollen die Verbrenner zu diesem Zeitpunkt immer noch über 70 Prozent ausmachen. Feintool forciert denn auch die eigene Transformation in den verschiedenen Märkten unterschiedlich stark: In China sei die Fertigung von Rotoren und Statoren nun «state oft he art», sagt Zimmer. Es handelt sich dabei um Technologie, die Feintool vom zugekauften Standort im deutschen Jessen «hinüberkopiert» hat. In den USA kommt diese noch nicht zur Anwendung.
Doch an der grundsätzlichen Richtung gibt es keinen Zweifel: «Wir verzeichnen weiterhin wachsendes Auftragsvolumen im Bereich E-Mobilität», so der CEO. Getrieben ist die Entwicklung durch politische Entscheide: Gemäss EU-Kommission sollen bis zum Jahr 2035 alle Neuwagen emissionsfrei sein, die US-Regierung hat das Ziel, dass bis 2030 alle in den USA verkauften Neuwagen elektrisch fahren sollen. Gleichzeitig werde Automarkt insgesamt weiter wachsen, sagt Knut Zimmer – wovon Feintool zweifellos profitieren dürfte.
Insbesondere der für die nächsten Jahre erwartete deutlich höhere Marktanteil für Hybridfahrzeuge wird für Feintool höhere Umsätze bringen. «Kaufen Sie einen Hybrid-Allrad», sagt darum Knut Zimmer, «dort sind am meisten Feintool-Teile drin.»

«Robuste» Steigerung
Das Lysser Unternehmen sieht sich also gut aufgestellt für die Zukunft, es hat aber auch die jüngste Vergangenheit mittlerweile grösstenteils gemeistert. Das zeigt sich in den gestern veröffentlichten Halbjahreszahlen (vgl. Infobox). Der Vergleich mit der Vorjahresperiode ist zwar wenig aussagekräftig, war doch das erste Halbjahr 2020 komplett geprägt von der Coronapandemie mit diversen Lockdowns und Betriebsschliessungen. CEO Zimmer bezeichnet aber die nun erzielte Umsatzsteigerung in der Teilefertigung (dem Segment System Parts) als «robust», auch wenn der Markt insgesamt noch unter dem Niveau von 2019 bleibt. Dazu geführt hat in erster Linie die breite Erholung des Automarkts, aber auch betriebsintern getätigte Massnahmen haben geholfen. Man habe die Produktion flexibler gestaltet und weiter digitalisiert, so Zimmer. Das Unternehmen hat dafür sogar einen Award einer Fachzeitschrift erhalten. Auch Künstliche Intelligenz kommt zunehmend zum Einsatz. Sie soll in der Fertigung mögliche Störungen erkennen, noch bevor diese überhaupt aufgetreten sind.
Das Investitionsgütergeschäft (Segment Fineblanking Technology) dagegen harzt nach wie vor. Es ist der einzige Bereich, in dem derzeit noch Kurzarbeit geleistet wird. Das Segment leidet darunter, dass noch nicht überall Kapazitätsgrenzen erreicht sind und Investitionsentscheide noch zurückhaltend gefällt werden. So rasch werde dies auch nicht ändern, führt Zimmer aus, doch immerhin sei mittlerweile eine Steigerung des Auftragseingangs zu verzeichnen. Im ersten Halbjahr aber hat Fineblanking Technology ein negatives Ergebnis auf Stufe Ebit von 2 Millionen Franken geschrieben und damit auch die Ebit-Marge von 6,3 Prozent etwas getrübt.

Extreme Kurzfristigkeit
Doch auch das Teilegeschäft ist derzeit nicht frei von Risiken. Die Angebotsknappheit an Halbleitern (das BT berichtete) führt dazu, dass die Autohersteller ihre Produktion bisweilen kurzfristig drosseln müssen und in solchen Fällen jeweils auch die Abrufe bei Feintool verschieben. «Die Halbwertszeit der Informationen seitens unserer Kunden beträgt derzeit gerade mal zwei Stunden», sagt Knut Zimmer.
Die Situation lässt sich auch in der Bilanz ablesen: Die Position «Warenbestand/angefangene Arbeiten» ist um über 20 Prozent auf knapp 100 Millionen Franken gewachsen. Es sei aber keineswegs das Ziel, künftig grössere Lagerbestände zu halten als Reaktion auf die Kurzfristigkeit und die Risiken des Teilegeschäfts, betont Zimmer in seiner Antwort auf eine entsprechende Frage.
Ein weiterer Faktor ist auch der gestiegene Stahlpreis, der sich gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt hat. Ein Teil des Mehrumsatzes wie auch des gestiegenen Werts der Lagerbestände sind darauf zurückzuführen.

E-Auto: «Anders, aber gut»
Für die nahe Zukunft rechnet Feintool mit einer weiteren Erholung – allerdings dürften auch die Unsicherheiten in den internationalen Lieferketten andauern. Dies betrifft die erwähnte Versorgungssituation mit Halbleitern und die Stahlknappheit. Derzeit beschäftigt Feintool etwa gleich viele Mitarbeitende wie Ende 2020, aber das Ziel für das Unternehmen als Ganzes ist klar: «Wir wollen weiter wachsen» sagt Knut Zimmer.
Er selber ist mittlerweile auch auf ein Elektroauto umgestiegen – von welcher Marke es ist, mag er offiziell nicht verraten. Grossen Ausbaubedarf sieht er insbesondere in der Ladeinfrastruktur: «Am besten ist es, wenn man problemlos am Start- und Zielpunkt einer Fahrt eine Schnellladung durchführen kann.» Insgesamt fällt sein persönliches Zwischenfazit aber positiv aus: «Es ist anders», sagt er, «doch es funktioniert ganz gut.»
Info: In der morgigen Ausgabe erscheint das Samstagsinterview mit dem Mobilitätsforscher Tomas Sauter-Servaes zur Zukunft der Automobilität.

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