Sie sind hier

Abo

Radiumzifferblätter

Auf der Suche nach der strahlenden Uhr

Früher schliefen die Menschen neben ihnen, heute gibt es radioaktive Leuchtzifferblätter selbst in Uhrenmuseen kaum mehr. Die Uhren sind rar geworden. Sammler aber kommen kaum um sie herum.

Jean-Michel Piguet, Vize-Konservator des Internationalen Uhrenmuseums in La Chaux-de-Fonds, mit Geigerzähler und amerikanischen Weckern aus der Zeit um 1920. Copyright: Olivier Gresset

von Tobias Graden

Rue des Musées 29 in La Chaux-de-Fonds, Dienstagnachmittag, das Wetter kann sich nicht recht entscheiden, ob es so grau werden will wie die Betonmauern des Internationalen Uhrenmuseums, das sich von der Strasse versetzt im Grünen versteckt. Dick sind sie, diese Mauern, als gelte es, die Aussenwelt vor dem zu schützen, was sich in ihrem Inneren befindet. Etwa vor radioaktiver Strahlung?

Jean-Michel Piguet lächelt und winkt ab. Er kramt einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und verschwindet in den Katakomben des Museums. «Die Uhren mit den Radium-Zifferblättern haben wir in einem Spezialabteil», sagt der Vize-Konservator des Museums über die Schulter.

 

Wecker: 0,8 Mikrosievert

Kurze Zeit später kommt er mit der Ausbeute zurück: Ein paar Wecker, Taschenuhren mit Weckfunktion, eine Armbanduhr. Die Uhren haben etwas gemeinsam: Sie leuchten in der Nacht - und sie strahlen. Das Radiumpulver, das in Biel auf der A5-Baustelle gefunden wurde, diente der Uhrenindustrie bis in die 60er-Jahre zur Herstellung von Leuchtzifferblättern (siehe BT von gestern). Millionen von Menschen schliefen Nacht für Nacht neben Zifferblättern, die radioaktives Material enthielten, wurden doch Leuchtzifferblätter besonders gern für Wecker verwendet.

Jean-Michel Piguet hält den Geigerzähler an eine Taschenuhr. Sie dürfte um 1920 hergestellt worden sein und trägt keine Marke, was für diese Zeit nicht unüblich war. Das Messinstrument blinkt, das charakteristische Knattern erklingt, die Nadel schlägt aus. 0,8 Mikrosievert.

 

Spitzenreiter aus Murten

Gefährlich ist diese Strahlung nicht, der Geigerzähler spricht nur an, wenn man das Gerät sehr nah ans Zifferblatt hält. Gleichwohl: In der Ausstellung seien keine Uhren mit Radium-Zifferblättern mehr zu finden, sagt Piguet. Das Museum besitzt etwa 50 Wecker und 15 Armbanduhren mit «strahlenden» Zifferblättern. Das sind wenige angesichts der Gesamtmenge von 1300 Weckern und insgesamt 4000 Uhren, die das Museum besitzt. Wertvoll sind die Radium-Wecker in der Regel nicht: Sie waren ein Massenprodukt, kein Luxusgut.

So wie «The National Call». Der schöne, grosse Wecker stammt aus den USA, strahlen tut er kaum: 0,4 Mikrosievert zeigt der Geigerzähler an. Spitzenreiter ist eine Armbanduhr der Marke Montilier, die bei Murten produziert wurde: gegen 2,0 Mikrosievert, verrät das Messinstrument. Je mehr sich der Geigerzähler dem Zifferblatt nähert, desto stärker schlägt er aus.

Es sei nicht ausgeschlossen, dass das Museum auch künftig Uhren mit Radium-Zifferblättern ankaufe. «Ein Kriterium ist das aber nicht», sagt Jean-Michel Piguet, «für uns ist entscheidend, ob die Uhr interessant ist oder nicht.»

 

Das historische Erbe

Auch der Bieler Hersteller Omega verwendete - wie zu jener Zeit unzählige andere Uhrenmarken - Radium für Leuchtzifferblätter. Das Omega-Museum in Biel hat noch einige Uhren aus dieser Zeit. Es sind allerdings sehr wenige, in der Ausstellung finden sich bloss zehn Stück. Zum Vergleich: Insgesamt besitzt das Omega-Museum um 7000 Uhren.

Radium-Zifferblätter, die offen aufbewahrt werden, gibt es nicht. Die Ausstellung entspreche den gesetzlichen Vorgaben, sämtliche Arbeitsplätze auch, heisst es beim Museum auf Anfrage. Mehr noch: Die Swatch Group kontrolliere den Ort regelmässig und wende strengere Vorgaben an als gesetzlich verlangt. Die Strahlung der Exponate ist zu schwach, um durch das Glas der Uhr und jenes der Vitrine nach aussen zu dringen.

Die entsprechenden Zifferblätter abzuändern, kommt für das Museum ohnehin nicht in Frage: Es bewahrt das historische Erbe der Marke und hat darum die Aufgabe, die Uhren im Originalzustand ihrer Entstehungszeit aufzubewahren.

 

Uhren heute strahlungsfrei

Bei Omega wurde ab Anfang der 60er-Jahre nicht mehr Radium verwendet, sondern Tritium. Diese Uhren sind am Symbol eines grossen «T» neben dem «Swiss made»-Schriftzug bei 6 Uhr zu erkennen. Spätestens in den 1990er-Jahren hatte in der Uhrenbranche auch Tritium ausgedient. Heute werden Leuchtzifferblätter mit dem sogenannten «Superluminova» hergestellt, einem chemischen Produkt, das leuchtfähig ist, aber nicht strahlt.

Eine Gruppe kann den Kontakt mit radioaktiven Zifferblättern kaum vermeiden: die Uhrensammler. Maurizio Zannol kann davon ein Liedchen singen. Er führt das Fachgeschäft Horlogerie Herrli in Biel, das eine grosse Auswahl an alten Uhren und Bestandteilen bietet. Zannol ist Anlaufstelle für viele Spezialisten. Vor einigen Jahren hatte er einen Suva-Kontrolleur zu Besuch, dieser mass erhöhte Radioaktivität. Zannol fürchtete schon, sein Laden müsse geschlossen werden, doch das war nicht der Fall. Stattdessen übergab ihm der Kontrolleur einen Geigerzähler.

Eine zweite Episode: Einmal überliess Zannol eine grössere Menge Altmetall zur Entsorgung, fast eine Tonne. An der Grenze zu den Niederlanden wurde die Ladung gestoppt - zurück in der Schweiz mussten Mitarbeiter der Entsorgungsfirma Zifferblätter und Zeiger in Kleinarbeit aus der Ladung rausfischen.

Seit das Thema der strahlenden Uhren bekannt ist, wird selbst das Altgold, das Zannol dem spezialisierten Unternehmen zum Einschmelzen bringt, auf Strahlung untersucht. Zannol sagt aber auch: «Wer sich für Uhren aus der Zeit von 1900 bis 1960 interessiert, kommt um Zifferblätter mit Radium nicht herum.» An jeder Brocante, an jeder Uhrenbörse dürfte der Geigerzähler erhöhte Werte anzeigen.

Zannol achtet nun darauf, dass er strahlende Uhren ohne Handelswert fachgerecht entsorgt. Er ist froh um das gute Einvernehmen mit dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) - alle paar Monate kann Zannol das radioaktive Material einem freundlichen Herrn zur Entsorgung mitgeben. Für die Kunden im Laden besteht keinerlei Gefahr, das haben ihm Fachleute des BfS und der Suva bescheinigt. Einzig bei den Schubladen mit den Zifferblättern knattert der Geigerzähler etwas rascher.

Nicht beruhigen liess sich dagegen Zannols Frau: Ihr hatte er eine alte Enicar-Armbanduhr geschenkt. Als sich herausstellte, dass das Zifferblatt strahlte, wollte sie die Uhr nicht mehr tragen. Das Paar entschied sich, die Uhr zu verkaufen - was ohne Probleme gelang, denn die Rarität hat Sammlerwert.

Nachrichten zu Wirtschaft »