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Prototyp

Aus dem Rollstuhl in die Kletterwand

Der E-Climber bringt Personen mit Behinderung in die Vertikale. Abgänger der Berner Fachhochschule wollen mit ihrer Idee den Reha-Markt aufmischen.

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Daniela Deck

«Wie ein E-Bike für die Kletterwand»: So beschreibt Fabio Fitz das Gerät, das er zusammen mit Michael Haldimann in den letzten anderthalb Jahren am Institut für Rehabilitation und Leistungstechnologie der Berner Fachhochschule (BFH) entwickelt hat. Räder hat der E-Climber-Prototyp keine, dafür ein Seil, das oben an der Kletterwand verankert ist. Je nach dem Grad der Unterstützung nimmt das Seil der kletternden Person von fünf bis zu höchstens 80 Prozent ihres Körpergewichts ab und zieht sie entsprechend stark nach oben. Zur Veranschaulichung: Die Maximalleistung des E-Climbers ermöglicht das Klettern ganz ohne den Einsatz der Beine.

Ein Sensor misst die Kraft im Seil, regelt die Zugfunktion und passt sie der jeweiligen Bewegung an. Will die Kletterin verschnaufen, braucht sie sich nur in die Gurte zu setzen und die Pausenfunktion wird automatisch aktiviert. Streckt sich die Person nach dem nächsten Klettergriff, springt der Motor wieder an.

Fitz und Haldimann haben bis letztes Jahr am Departement Technik und Informatik zusammen Maschinentechnik studiert und gingen in der Freizeit gemeinsam klettern. «Alles hat damit begonnen, dass wir über eine Entlastung für das Training anspruchsvoller Routen in der Vertikalen nachdachten», erinnert sich Fitz.

 

Interesse aus der Physiotherapie

Dann dachten die Studenten einen grossen Schritt weiter. Fitz erzählt: «Eine Erleichterung für Sportler ist schön und gut. Dann haben wir uns überlegt, welches Feld ein E-Climber für Leute eröffnen würde, die aufgrund eines Handicaps, zum Beispiel nach einem Unfall, überhaupt keine Wand hochkommen. Denn Klettern ist gesund, weil es viele Muskeln braucht und zugleich die Gelenke schont. Damit ist das Klettern als Bewegungsablauf für die Rehabilitation interessant.»

Die beiden Freunde besprachen die Sache mit einer Expertin für therapeutisches Klettern in Bern. «Sie war begeistert von der Idee», sagt Haldimann. Auch bei Physiotherapeuten habe die Vorstellung einer motorisierten Kletterhilfe Anklang gefunden.

So entschloss sich Fitz, seine Bachelorarbeit der Konstruktion des E-Climber-Prototyps zu widmen. «Vor allem die Konstruktion und das Konzept der Steuerung hätte ich mir einfacher vorgestellt», sagt er. Einerseits war da die Programmierung der Software, die immer wieder Herausforderungen bereithielt. Andererseits musste ein Gehäuse für alle Komponenten wie etwa den Motor und das Getriebe entwickelt werden. Fitz erklärt: «Beim Klettern wechseln sich der Einsatz von Kraft und die Sicherung der Balance ab. Solche Unterschiede im Programm abzubilden, ist nicht einfach.»

Haldimann hatte seine Bachelorarbeit früher begonnen und der Verbesserung eines Rehageräts mit Seilwinden in der Horizontalen gewidmet, für die Gangrehabilitation auf dem Laufband. «Fabio wurde während des Studiums Vater und hat deshalb ein Semester ausgesetzt», sagt Haldimann. «Dank dieser Verschiebung konnte ich ihm Tipps geben aus meiner Erfahrung mit der Bachelorarbeit zum Seilzug auf dem Laufband.»

Zusammengebaut wurde der Prototyp des E-Climbers teilweise aus handelsüblichen Komponenten und teilweise aus Bestandteilen, die nach eigenen Computerzeichnungen in der Werkstatt der BFH in Burgdorf nach Mass hergestellt wurden. Ein erstes Antriebsband sei im Versuch gerissen, anschliessend hätten sie das Ersatzband zuerst im Labor auf Belastbarkeit getestet, sagt Fitz.

 

Förderpreis von 150 000 Franken gewonnen

Der Prototyp ist mit 25 Kilo Gewicht noch so schwer, dass er am Fuss der Kletterwand steht und nicht oben aufgehängt werden kann. Zudem muss eine Hilfsperson den Kletterer sichern. Das Ziel ist nun, den E-Climber so weit abzuspecken, dass der Motor oben an der Wand aufgehängt werden kann und die Hilfsperson nicht mehr benötigt wird.


Haldimann und Fitz wollen den E-Climber auf den Markt bringen. Diesen Sommer hat ihre Innovation einen Förderpreis der Gebert-Rüf-Stiftung im Umfang von 150 000 Franken gewonnen. Haldimann erklärt: «Das Geld geht an die BFH, die uns daraus während zwei Jahren einen Lohn zur Entwicklung des E-Climbers auszahlt. Zudem können wir Räume, Material und Infrastruktur der BFH nutzen.»

Michael Haldimann studiert inzwischen teilzeitlich an der Universität Bern für den Masterabschluss in Biomedical Engineering, daneben ist er an der BFH als wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellt. Fabio Fitz arbeitet Teilzeit in einem Ingenieurbüro. Ihre restliche Arbeitszeit wollen beide in die Lancierung des E-Climbers investieren. Ihr Fokus richtet sich auf den Markt der Rehabilitationsgeräte.

Bis zur Marktreife des E-Climbers gibt es noch viel zu tun. Es müssen Brems- und Sicherungssysteme eingebaut und zertifiziert werden für den Fall, dass Steuerung oder Strom ausfallen. Für die Serienproduktion muss ein Wirtschaftspartner gefunden werden. Läuft alles wunschgemäss, sieht der Zeitplan wie folgt aus: Im Oktober soll die Entwicklung beginnen, im Mai 2022 folgt eine Testphase mithilfe von Physiotherapeuten, im August 2023 findet die Firmengründung statt und 2024 die Lancierung des E-Climbers auf dem Markt.

Haldimann sagt: «Von Anfang an haben wir für den E-Climber eine grosse Hilfsbereitschaft erlebt. Das gilt ebenso für die Dozenten der BFH wie für die Physiotherapeutinnen und -therapeuten, mit denen wir zusammenarbeiten. Das Interesse am Produkt ist uns ein grosser Ansporn.» Fitz ergänzt: «Die Anerkennung, die der E-Climber durch den Förderpreis der Gebert-Rüf-Stiftung erfahren hat, gibt uns die Zuversicht, die Idee weiterzuentwickeln.»

Diese Seite ist eine Co-Produktion des Departements Architektur, Holz und Bau der Berner Fachhochschule BFH und des BT. Die BFH ist als Partnerin in die Themenplanung involviert. Die redaktionelle Hoheit liegt bei der Redaktion. Die Seite erscheint einmal pro Monat im BT und im Journal du Jura.

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